Kamp-Lintfort. . Ob auf Käsebrötchen oder der Stulle Kränteweck – Rübenkraut ist der Nektar der Niederrheiner.250 Jahre lang stellte die Krautfabrik Bornheim den Sirup auf einem Bauernhof in Kamperbrück her
Es soll ja Menschen – sogar am Niederrhein – geben, die gar nicht hingucken können, wenn jemand wie Liesel Hannen in ihr Käsebrötchen oder ihre Stulle Kränteweck beißt. Weil da nicht nur Käse und Butter drauf sind sondern Kraut. Immer. Rübenkraut, dieses dunkelbraune, zähflüssige, klebrige, wunderbare Zeug, das es mit jeder Nussnougatcreme der Neuzeit, mit Erdnussbutter, selbst mit Schoko-Hagelslag aufnehmen kann: Zuckerrübenkraut, der Nektar der Niederrheiner.
Mehr als 250 Jahre lang wurde auf einem kleinen Bauernhof in Kamperbrück bei Kamp-Linfort Kraut hergestellt und verkauft. Wilhelm Bornheim, der Vater von Liesel Hannen, hat hier im hohen Alter bis 1981 noch am Kessel gestanden. „In unserer Blütezeit haben wir im Jahr so um die 125 Tonnen Rübenkraut, 75 Tonnen Marmeladen und Konfitüren und 50 Tonnen Apfelkraut hergestellt”, erzählt Tochter Liesel. Und fischt ein kleines, abgegriffenes Büchlein aus der Schublade. „Mein Vater hat immer alles fein säuberlich notiert.” Akkurat, mit ordentlicher Sütterlinschrift.
Seit ein paar Jahren ist die Krautfabrik Bornheim im Ruhestand. „Nach dem Krieg hat mein Vater mit seinem Bruder die Zuckerrübenkrautproduktion im Haupterwerb gemacht, aber es wurde immer schwieriger, davon eine große Familie zu ernähren.“ Es gab Zeiten, da hatten die Bornheims zehn Beschäftigte in Brot und Lohn stehen. „Wir haben sogar die Geleemasse für Dominosteine an eine große Krefelder Firma geliefert. Und der Breidenbacher Hof in Düsseldorf hat unser Rübenkraut gekauft.“ Aber in den 70er Jahren musste Papa Wilhelm dann einen Job bei einer Pneumatikfirma annehmen, um finanziell über die Runden zu kommen – Rübenkraut wurde im Nebenerwerb produziert. Ein Feuer hat 1981 dann im Kesselhaus so großen Schaden angerichtet, dass seitdem in Kamperbrück kein Kraut mehr hergestellt wird. „Aber es gibt uns immer noch”, sagt Liesel Hannen. „Wir lassen unser Kraut nach Bornheimer Verfahren in einer Fabrik bei Mönchengladbach herstellen.“
Und auch wenn der Dampfkessel nicht mehr zischt und die Rübentrecker an Kamperbrück vorbeifahren – die Krautfabrik Bornheim gibt es noch: als kleines Museum. Liesel Hannen hat es nicht übers Herz gebracht, all die technischen Utensilien, Kessel, Pumpen, Dokumente, Fotos, Handschriften, Rezepte und täglichen Handwerkszeuge von Generationen von Krautmachern in den Müll zu geben. Und so stehen die alten Gerätschaften noch da, ein bisschen vom Zahn der Zeit gezeichnet, aber irgendwie hat man das Gefühl, es muss nur einer sagen: Komm, wir werfen die Dinger mal an - und es geht wieder los.
Liesel Hannen lacht. „Neinnein, die Krautfabrik ist schon Geschichte. Aber ich halte gern die Erinnerungen an eine alte niederrheinische Tradition wach. Es macht mir Freude, Schulklassen oder Gruppen hier durch zu führen.“ Und so kann man im alten Etikettierraum gemütlich an gehäkelten Tischdeckchen und Tischen aus Omas guter Stube sitzen und sich von Liesel Hannen alles über Kraut und Rüben erzählen lassen. Und natürlich das Bornheimer Kraut auch schmecken. Im ehemaligen Kuhstall sind Sirupgläschen und Marmeladen, Saft von der Streuobstwiese zu kaufen – der Renner ist die Brotbackmischung, der man nur noch Buttermilch und, natürlich, Rübenkraut zufügen muss.
Alles sehr rustikal, alles ist noch im alten Zustand. Die buckligen Mauern sind weiß und grün gestrichen, der Boden so, wie er immer war, ein bisschen uneben und schief, die schmalen Räume sind verwinkelt – und überall lassen sich kleine Dinge entdecken. Die Technikfreaks bleiben am Dampfkessel, den pneumatischen Geräten, den alten technischen Zeichnungen hängen, die anderen bestaunen lieber die Singer-Nähmaschine mit dem Tretantrieb, die Sammeltassen und alten Fotos. Es ist eine Reise in eine vergangene Zeit, die viele Niederrheiner selbst als Kind noch erlebt haben. „Mein Vater war ja auch Archivar bei der evangelischen Kirche in Hoerstgen. Der hat einfach alles aufgehoben und dokumentiert, was ihm so in die Finger kam.”
Warum dieser karamellig-malzige Sirup ausgerechnet Kraut heißt, mögen Sprachwissenschaftler und Volkskundler erforscht haben. Sei es drum, am Niederrhein gehört Rübenkraut oder Apfelkraut auf den Frühstückstisch und in die Bratensoße. „Wir haben früher als Kinder mit Rübenkraut Figuren in unseren Milchpapp gemalt”, schmunzelt Liesel Hannen.
Vor einem halben Jahr ist Wilhelm Bornheim im Alter von 92 Jahren gestorben. Liesel Hannen, die auf dem eigenen Hof in Issum alle Hände voll zu tun hat, wird das klitzekleine Museums-Krauthaus mit Lädchen in Kamperbrück weiter geöffnet halten – an jedem Samstagvormittag. Und wenn es die Zeit hergibt, bietet sie auch für kleine Gruppen eine gemütliche Niederrheinische Kaffeetafel an – mit Bornheimer Kraut, versteht sich.
Das Bornheimer Krauthaus
Liesel Hannen ist an jedem Samstagvormittag von 9 bis 12 Uhr im Bornheimer Krauthaus zu finden – das ganze Jahr hindurch. Es ist ein bisschen schwierig zu finden – Markenzeichen ist das quer stehende alte Bauernhaus mit den beiden Bäumen rechts und links davor, daneben dann das alte, flache Fabrikhäuschen. Zu finden in Kamp-Lintfort, Kamperbrück, Kirchhoffstraße 94. Weitere Informationen gibt’s bei Liesel Hannen unter 02835/9 27 23 oder unter der Mobilfunknummer 0151/ 52 52 54 43.