Köln/Kleve. 1972 wurde das Kunstwerk aus der Stiftskirche gestohlen. Jetzt kehrt es zurück. Bis die Klever es sehen können, wird es aber noch dauern.
Es wäre ja schon schön, wenn der Prophet nicht ganz so hölzern wäre, sondern reden könnte. Aber die Statue schweigt. Wie Holzstatuen es halt so tun. So werden wir wohl nie erfahren, wo die etwa 40 Zentimeter hohe Skulptur die vergangenen 52 Jahre verbracht hat. Jedenfalls nicht dort, wo sie rund 400 Jahre zuvor war: Im Kreuzaltar der Stiftskirche Mariä Himmelfahrt in Kleve.
Dort wurde die hölzerne Prophetenfigur gestohlen. 1972 war das. Damals häuften sich Diebstähle aus Kirchen, schon 1971 war eine erste Statue des prächtigen Altars aus Antwerpener Fertigung entwendet worden. Damals fahndete man vergeblich, doch einer der beiden Propheten kehrte bereits zurück, 2016 war das.
1972 in Kleve gestohlen, 2023 in Köln aufgetaucht
Nun also steht der Prophet gemeinsam mit zwei Leidensgefährten aus einem Altar in Paffendorf vor einer dunklen Wand im Kölner Auktionshaus Van Ham. Und Geschäftsführer Markus Eisenbeis erzählt, wie sie hierherkamen. Eine große Erbengemeinschaft habe diverse Stücke eingeliefert zur Auktion.
Natürlich prüft ein Auktionshaus dann. Fragt bei Interpol, recherchiert im Verzeichnis gestohlener Kunstwerke. Doch da waren die Figuren unbelastet. „Eine halbe Stunde, nachdem der Auktionskatalog online gegangen war, bekam ich einen Anruf“, erzählt Guido de Werd, Gutachter für das Auktionshaus. Und wohl der beste Kunstkenner, wenn es um Kleve geht. Ein befreundeter Kunsthistoriker, Erik Bijzet aus den Niederlanden, meldete sich: „Kommt dir die Figur nicht bekannt vor?“
„Natürlich“, sagt Herr de Werd. Über Jahrzehnte hat er in Kleve gelebt, das Museum Kurhaus geleitet. Heute ist er unter anderem ehrenamtlicher Gutachter für das Auktionshaus. „Ich saß nur nicht vorm Rechner und wartete auf den Katalog.“
Und weil eine gestohlene Figur selten allein kommt, nahm er dann auch noch die anderen Gegenstände der Einlieferung unter die Lupe und erkannte die beiden Figuren: Maria Magdalena und der Heilige Nikodemus aus der Kirche St. Pankratius in Bergheim-Paffendorf. Ebenfalls in den 70er Jahren gestohlen.
Trotz Verjährung: Das Entsetzen war groß
Juristisch ist die Sache längst erledigt. Diebstahl, Hehlerei, Unterschlagung, was da so in Frage käme, wäre verjährt. „Die Erbengemeinschaft war dennoch entsetzt.“ Denn dass der Erblasser womöglich gestohlene Ware gekauft oder gar selbst beschafft hat, damit haben sie nicht gerechnet.
„Als Auktionshaus wollen wir ja kein Diebesgut verkaufen“, sagt Van Ham Geschäftsführer Markus Eisenbeis. Und machte den Erben ein Angebot, das sie nicht ausschlagen konnten: Man einigte sich auf eine Zahlung, deren Höhe er nicht nennt. „Man freut sich doch als Kunsthistoriker, wenn man solche Werke zurückgeben kann“, sagt er und übergab die drei Figuren am Dienstag den jeweiligen Kirchengemeinden als Schenkung.
Für Kleve sind damit beide Figuren wieder da. Die erste, 1971 gestohlene Figur, tauchte schon 2016 wieder auf. Unbekannte warfen damals zwei Sporttaschen über die Mauern des Klosters von Maria Laach in der Eifel. Der Inhalt: Gleich elf Altarskulpturen, die am Niederrhein aus Kirchen gestohlen worden waren – Figuren unter anderem aus Kempen und aus der Kirche St. Peter in Rheinberg, aber eben auch eine der Klever Figuren.
Der zweite Prophet indes aus dem kostbaren „Antwerpener Altar“, der um 1540 für die Klever Kirche geschaffen wurde, blieb bis Anfang diesen Jahres verschwunden. Eine „expressiv ausgearbeitete Gestalt in kostbarer Tracht“, ein Meisterstück der Schnitzkunst jener Zeit, aus Eiche, vielleicht zwei Kilo schwer und, so schätzt Guido de Werd, mit einem Gegenwert dick im fünfstelligen Bereich.
Für Propst Johannes Mecking von der Stiftskirche in Kleve kommt auf den Eurobetrag noch etwas drauf: „Diese Figur hat die Reformation überstanden, den Dreißigjährigen Krieg, die Weltkriege, auch wenn da der Altar schwer Schaden genommen hat“, sagt er. Der Altar und seine Figuren tragen auch ein Stück der Glaubensgeschichte des Niederrheins auf ihren Schultern.
Ein Wunder, Herr Propst? Nein, so möchte er das nicht bewerten. „Ein sehr glücklicher Zufall“, sagt Johannes Mecking. „Aber das, was uns zufällt, kann man eben auch göttliche Fügung nennen.“ Ihm falle da eher das Prophetenwort ein, dass Gott nichts verborgen bleibe.
Die neue Zeit indes hat derlei Fügungen zumindest etwas leichter gemacht. „Früher konnten Sie eine gestohlene Skulptur jenseits der Grenze gut verkaufen. Heute kann jeder im Internet nachschauen und viel leichter feststellen, wo so eine Figur herstammt“, sagt Mecking.
Dennoch kommt es auch heute noch zu Diebstählen, wie beispielsweise jüngst in Wesel. Denn die Kirchen sind gefangen zwischen der Frage des maximalen Schutzes für ihr Kulturgut und dem Wunsch offen zu bleiben für Gläubige und Kunstinterssierte.
Nach der Entführung folgt die Untersuchung
Vielleicht war es das Gewissen oder genau dieses Wissen um die Unverkäuflichkeit, die zumindest 2016 dazu führte, dass Unbekannte die elf Skulpturen in Sporttaschen – nun ja – zurückgaben. Jetzt ist auch der zweite Prophet zurück in seiner Heimat, in der er eben doch etwas gilt. Bis er das tut, wird noch etwas Zeit vergehen.
Am Dienstag in Köln wartete zunächst einmal eine Aluminiumkiste des Rheinischen Amts für Denkmalpflege auf die Figuren. Wie das bei Entführungsopfern so ist: Zunächst einmal steht die medizinische Untersuchung an. Die Figuren werden begutachtet, konserviert, womöglich auch restauriert. Auch die 2016 wieder aufgetauchte Figur ist noch bei einem Restaurator in Wesel.
Zudem, so der Propst, plane man eine Sanierung des Kreuzaltars. Dort sei Schimmel aufgetreten. Mindestens 30.000 Euro kostet das und so wird es noch eine Weile dauern, bis Kreuzaltar und die Figuren wieder gemeinsam in der Klever Kirche aufgestellt werden.
Aber wer schon knapp 500 Jahre auf dem hölzernen Buckel hat, für den kommt es auf ein paar Jährchen mehr oder weniger ja vermutlich nicht an. Aber vielleicht würde der Prophet auch etwas anderes sagen. Wenn er denn reden könnte.