Kevelaer. Immer wieder stehlen Diebe in NRW Gegenstände aus Kirchen. Eine Reliquie aus Kevelaer ist nun wieder aufgetaucht. Ein Fund, der Fragen aufwirft.
Vier Jahre lang wartete Weihbischof Rolf Lohmann auf ein „Lebenszeichen“. Vier Jahre, in denen die Hoffnung auf ein glückliches Ende immer kleiner wurde. Vor einigen Tagen dann die sensationelle Wendung: „Ich war gerade in einer Konferenz mit den leitenden Pfarrern vom Niederrhein und aus Recklinghausen, als ich auf meinem Handy eine Mail empfing.“ Lohmann konnte sein Glück kaum fassen. Das aus der Sakramentskapelle in Kevelaer verschwundene Armreliquiar war plötzlich wieder aufgetaucht – in Nordfrankreich. Der Fund gibt den Ermittlern jedoch Rätsel auf.
Rückblick: Im Oktober 2017 stehlen Unbekannte das etwa 60 Zentimeter große Gefäß in Form eines ausgestreckten Armes aus einem Wandkäfig. „Ich war bestürzt, als ich von dem Verlust hörte“, erinnert sich Lohmann, der damals Wallfahrtsrektor in Kevelaer war. Es ist nicht der materielle Wert des vergoldeten und mit Edelsteinen besetzten Reliquiars, der die Gläubigen schockiert. Das Behältnis aus dem 19. Jahrhundert soll Knochenreste des Heiligen Petrus Canisius enthalten – Schutzpatron des 1854 in Kevelaer gegründeten Canasianer-Ordens. Ein unersetzbarer Schatz.
Jahrelang fehlt von dem Armreliquiar jede Spur. Bis sich am 4. November ein französischer Kunstsammler beim Bistum Münster meldet. Der Mann berichtet, dass er das Gefäß in einem Auktionskatalog entdeckt habe. Das Bistum alarmiert die Polizei in Goch. Die Zeit drängt: Schon am 7. November soll das Gefäß versteigert werden. Über Interpol werden die Ermittler in Frankreich hinzugezogen. Professor Thomas Flammer, Kunstexperte des Bistums, will notfalls auf der Auktion mitbieten. Doch dazu kommt es nicht: Die Polizei kann das Reliquiar sicherstellen.
Armreliquiar: Bistum Münster wartet auf Freigabe der Staatsanwaltschaft
Was bleibt, sind viele offene Fragen: Wer sind die Täter? Wie kam die Reliquie auf die Auktionsliste? Und wo lagerte das Gefäß? „Zu Tätern, Einlieferern und dem Aufbewahrungsort seit dem Diebstahl haben wir keine Erkenntnisse“, sagt Christian Breuer, Sprecher des Bistums Münster. Aktuell warte das Bistum auf die Freigabe durch die Staatsanwaltschaft in Amiens.
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Erste Fotos würden darauf hindeuten, dass die Knochenreste nicht entfernt wurden. Auch das Reliquiar scheint kaum beschädigt. Lediglich die Goldbeschichtung sei wohl chemisch behandelt worden. „Das sind aber reine Vermutungen“, so Breuer. Die Klever Kreispolizei tappt ebenfalls im Dunkeln: „Es ist fast nichts bekannt“, sagt Sprecherin Manuela Schmickler. „Wir wissen auch nicht, ob derjenige, der die Reliquie zur Auktion gebracht hat, wusste, dass es Diebesgut ist.“
Doch wieso wurde es den Tätern 2017 offenbar so leicht gemacht, das Behältnis am helllichten Tage aus der Kapelle zu stehlen? Zumal die Diebe die Schlösser des Wandkäfigs nicht etwa mit Gewalt zertrümmerten, sondern einfach abschraubten. „Reliquien sind dafür da, damit die Gläubigen in ihrer Gegenwart beten können“, so Schmickler. „Wenn sie weggesperrt werden, wo sie keiner sieht, verlieren sie ihre Bedeutung.“ Aus diesem Grund gebe es keine einfache Lösung. „Mehr als die Objekte mit einem Schloss zu sichern, geht nicht. Außer sie nehmen einen Glastresor, aber die sind teuer.“
Bistum Münster: 226 Fälle von Vandalismus und Diebstählen in neun Jahren
Das Bistum Münster bietet seinen Kirchengemeinden Beratungen in Sicherheitsfragen an. „Welche Maßnahmen konkret umgesetzt werden, entscheiden die Kirchengemeinden aber eigenständig und in Rücksprache mit der Kunstpflege“, erklärt Breuer. Anders als Museen, verzichte das Bistum darauf, flächendeckend Sicherheitsleute einzusetzen. „Das ist einerseits eine finanzielle Frage.“ Andererseits würden Wachleute in Gebetshäusern ein „seltsames Bild“ abgeben.
Kriminelle nutzen diese Sicherheitslücken gezielt aus: Das Bistum Münster hat allein zwischen 2010 und 2018 insgesamt 226 Fälle von Vandalismus und Diebstählen dokumentiert. Die Dunkelziffer ist womöglich noch viel größer. „Die Kirchengemeinden sind zur Meldung nicht verpflichtet“, sagt Breuer. Immerhin: Der Großteil der Schäden liege bei unter 1500 Euro. Zudem lasse sich keine signifikante Steigerung der Fälle wahrnehmen.
Kreispolizei: Diebe stehlen wertvolle Heiligenfiguren aus Weseler Kirche
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Trotzdem kommt es immer wieder zu spektakulären Kircheneinbrüchen. Im Oktober 2013 stahlen drei Männer in der Nikomedeskirche in Steinfurt im Münsterland das Borghorster Stiftskreuz aus einer Vitrine. Die Täter kamen vor Gericht, der Kunstschatz tauchte 2017 wieder auf. 2009 drangen Diebe nachts in die Essen-Werdener Sankt Ludgerus Basilika ein und stahlen einen Bischofsstab sowie ein Altarkreuz. Am Freitag gab die Kreispolizei Wesel den Diebstahl von drei Figuren aus einer Kirche an der Pastor-Janßen-Straße in Wesel bekannt. Gesamtwert: ein sechsstelliger Betrag. Zudem stahlen die Täter Metallkreuze, Kerzenständer und Geld aus einem Opferstock.
„In Kirchenkapellen lässt sich nie zu 100 Prozent Sicherheit herstellen“, sagt Dr. Rainer Killich, Generalsekretär der Wallfahrt Kevelaer. „Trotzdem wird die Armreliquie in Zukunft besser gesichert sein.“ Dass sich die Täter damals die Zeit nahmen, die Schlösser in aller Seelenruhe abzumontieren, habe ihn überrascht. „Das muss man sich schon trauen. Die Diebe hatten offenbar keinerlei Hemmschwellen.“ Zumal die Kapelle wegen des Pilgerverkehrs gut besucht sei.
Killich: Täter waren wohl auf den Goldwert des Armreliquiars aus
Killich vermutet, dass das Reliquiar nicht aus religiösen Gründen gestohlen wurde. „Man konnte im Vorbeigehen den Eindruck haben, dass es aus purem Gold ist.“ Wäre das der Fall gewesen, hätten die Diebe das Gefäß wohl eingeschmolzen, glaubt Killich. So hatten sich die Täter wohl erhofft, zumindest auf dem Kunstmarkt etwas Geld zu erzielen. „Ich würde bei einem solchen Diebstahl auch davon ausgehen, dass der Gegenstand in seine Teile zerlegt oder eingeschmolzen wurde“, ergänzt Polizeisprecherin Schmickler. So lasse sich die Herkunft des Objekts nicht zurückverfolgen.
Wer auch immer das Armreliquiar damals gestohlen hat: Weihbischof Rolf Lohmann ist jedenfalls froh, dass es wieder aufgetaucht ist. „Aus vielen Gesprächen weiß ich, dass die Menschen in Kevelaer erschüttert waren“, so Lohmann. „Nun hat das Warten auf eine Rückkehr hoffentlich bald ein Ende.“
>>> Warum es in evangelischen Kirchen seltener zu Einbrüchen kommt
„Evangelische Kirchen sind in der Regel deutlich schlichter ausgestattet als beispielsweise katholische Kirchen“, erklärt Jens Peter Iven, Sprecher der Evangelischen Kirchen im Rheinland. Das habe auch damit etwas zu tun, dass beim evangelischen Glauben das Wort Gottes im Mittelpunkt stehe. „Entsprechend sind unsere Kirchengebäude eher arm an Kunstgegenständen. Reliquien spielen bei uns keine Rolle.“ Zudem sei ein Großteil der evangelischen Kirchen ausschließlich anlässlich von Gottesdiensten oder anderen Veranstaltungen geöffnet. Das reduziere die Gefahr von Diebstählen.