Kreis Wesel. Am 29. Februar ist Equal Care Day. Stefanie Werner von „Frau und Beruf“ im Kreis Wesel erklärt, wie Care-Arbeit gerechter werden kann.

Der 29. Februar führt ein Schattendasein: Alle vier Jahre findet er statt, ansonsten bleibt er unsichtbar. Damit ähnelt der Schalttag auf erschreckende Weise der sogenannten Care-Arbeit. Und das nicht nur, weil auch sie kaum wahrgenommen wird. Tatsächlich spielt das Verhältnis 4:1 eine entscheidende Rolle. Männer bräuchten rechnerisch vier Jahre, um so viele Fürsorgetätigkeiten zu erbringen wie Frauen in einem Jahr. Der Aktionstag „Equal Care Day“ am 29. Februar macht auf beides, das bestehende Missverhältnis und die mangelnde Wertschätzung der Sorgearbeit, aufmerksam. Stefanie Werner von der Fachstelle „Frau und Beruf“ im Kreis Wesel erklärt, wie sich Familie und Beruf vereinbaren lassen – gemeinsam und gleichberechtigt.

Wir leben im 21. Jahrhundert, Geschlechtergerechtigkeit sollte längst Alltag sein...

Der „Equal Care Day“ zeigt allerdings, ähnlich wie der „Equal Pay Day“, dass es sehr wohl noch ein Ungleichgewicht gibt.

Hat sich die Situation durch Corona nachhaltig verschlechtert?

Fakt ist, dass es auf jeden Fall nicht besser geworden ist. Frauen übernehmen weiterhin einen Großteil der unbezahlten Sorgearbeit. Vor Corona wendeten Frauen im Schnitt in privaten Haushalten 52 Prozent mehr Zeit für unbezahlte Sorgearbeit auf – eine aktuelle Erhebung lässt leider noch auf sich warten. Da während der Pandemie jedoch verstärkt Frauen ihre Berufstätigkeit zurückgefahren haben, um Kinderbetreuung und Pflegearbeit aufzufangen, kann davon ausgegangen werden, dass dieser Roll back noch weiterhin Folgen hat. Aktuell auch vor dem Gesichtspunkt der aktuellen Betreuungssituation in Kitas. Dazu kommt, das weit über 80 Prozent der beruflichen Care-Arbeit in Deutschland von Frauen geleistet wird.

Woran liegt das?

Das fängt schon in der Erziehung und im sozialen Umfeld an. Mädchen werden für Empathie, Fürsorge und Pflege sensibilisiert. Jungen dagegen sollen stark sein und dürfen nicht weinen. Das passiert unbewusst, weil wir selbst so aufgewachsen sind, geht aber in der Kita und Grundschule genau so weiter. Das zieht sich weiter durch, bis zur beruflichen Orientierung. Frauen suchen sich oft einen Job im Sozialen Bereich aus, der schlecht bezahlt und sehr anstrengend ist. Und Männer entwickeln keinen Blick für Dinge, die beispielsweise im Haushalt erledigt werden müssen, beziehungsweise haben auch den sozialen Bereich für ihre Berufstätigkeit kaum im Blick. Deshalb muss ein Umdenken stattfinden! Wir sollten großen Wert auf klischeefreie Bildung legen.

Konkret bedeutet das?

Auch die Eltern sind in der Verantwortung. Sie können beispielsweise Mädchen bei der Gartenarbeit miteinbeziehen und Jungen im Haushalt mithelfen lassen. Außerdem passiert viel über Vorbilder. Wenn der Vater die Hausarbeit erledigt oder die Mutter die Alleinverdienerin ist, verfestigt sich das bei den Kindern und wird für sie normal.

Viele Paare behaupten von sich, dass sie moderne Vorstellungen von einer Beziehung haben... Und doch greifen Eltern mit der Geburt ihres ersten Kindes oft auf traditionelle Rollenmodelle zurück. Wieso?

Es fehlt an gewissen Anreizen, beispielsweise an steuerlichen Vorteilen. Zwar gibt es das Elterngeld-Plus, aber das geht nur im geringem Maße in die richtige Richtung, dafür gibt es immer noch das Ehegatten-Splitting. Gleichzeitig werden traditionelle Rollenmuster weiterhin von der Gesellschaft vorgelebt. Und selbst, wenn die Frau nach der Geburt des Kindes wieder arbeiten geht, kommt die Erwerbstätigkeit oft zusätzlich zur Care-Arbeit, für die sie früher komplett zuhause geblieben ist. Das bedeutet, dass die Belastung mehr und mehr wird. Dabei zeigt der Väterreport aus dem letzten Jahr sogar, dass viele Männer mehr Sorgearbeit übernehmen möchten. Aber dann merken sie, dass sie mit Einbußen beim Geld und ihrer Karriere rechnen müssen. Also genau das, was Frauen schon immer erleben. Deshalb bleibt der Anteil der Frauen, die in Teilzeit und auch auch oft in nicht so gut bezahlten Berufssparten arbeiten, so hoch. Das System fördert das.

Was können Paare machen, damit es nicht so weit kommt?

Sie sollten vor allem nicht denken: Wir machen das schon. Stattdessen sollten sie schon vor der Geburt fragen, welche Möglichkeiten es in ihrem Unternehmen im Rahmen der Elternzeit und darüber hinaus gibt – um im Unternehmen präsent zu bleiben und sich trotzdem intensiv als Mutter oder Vater zu kümmern. Die Aufgabe der Unternehmen ist es dann, auch vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels, zu schauen, was die Mütter und die Väter brauchen. Auch da muss ein Umdenken stattfinden. Alles andere können wir uns in Deutschland weder als Sozialstaat noch als Wirtschaftsstandort nicht leisten! Es muss viel mehr lebensphasenorientierte Angebote geben und zwar nicht nur in den großen, sondern auch in den kleinen Unternehmen.

Doch auch im eigenen Zuhause bleiben viele Tätigkeiten ungerecht verteilt...

Genau! Ein schönes Beispiel ist der Kindergeburtstag, zu dem das Kind eingeladen ist. Oft ist es die Mutter, die überlegt: Wer bringt das Kind hin? Wer holt es ab? Wer besorgt das Geschenk? Wer packt es ein? Allein die Gedanken, die ja unsichtbare Arbeit sind, nehmen viel Zeit in Anspruch und sind anstrengend.

Wegweiser „Teile mit mir!“

Die Fachstelle „Frau und Beruf“ des Kreises Wesel nimmt den Aktionstag am 29. Februar zum Anlass, auf den Wegweiser „Teile mit mir!“ zur partnerschaftlichen Vereinbarkeit von Beruf und Familie hinzuweisen, der in der Fachstelle erhältlich ist.

Eltern finden hier Schritt für Schritt konstruktive Anregungen, wie es funktionieren kann, gemeinsam Beruf und Familie zu meistern. Den Wegweiser gibt es auch online unter www.kreis-wesel.de/system/files/2023-03/Teilemitmir_web.pdf

Der Test, mit dem sich der eigene „Mental Load“, also die mentale Belastung, errechnen lässt, ist kostenlos zu finden unter www.equalcareday.de/mental-load/

Wie lässt sich das Problem lösen?

Wichtig ist, dass mir erst einmal bewusst wird, wie die Ausgangslage ist und ob ich damit zufrieden bin. Es gibt online einen Test, mit dem sich die „Mental Load“ ausrechnen lässt. Dadurch zeigt sich, wie viel Arbeit ich übernehme und wo ich in meiner Rolle als Mutter oder auch Berufstätige stehe. Darüber sollte ich dann mit meinem Partner sprechen, ebenso über seine Arbeit und seine Rolle. Danach können wir gemeinsam überlegen, was unsere Ziele sind oder was dringend verändert werden muss. Am meisten Sinn ergibt es wahrscheinlich, wenn man die Tätigkeiten nicht gleich für die nächsten Jahre aufteilt, sondern erst einmal auf die kommenden 14 Tage schaut. Unsere Broschüre dient dabei als kleiner Leitfaden. Aber es geht eben auch um langfristige Entwicklungen. Klar kann ich drei Jahre zuhause bleiben und danach beruflich wieder durchstarten. Aber welche Folgen hat das? Ist das überhaupt möglich? Wo müssen wir uns sonst anders aufstellen? Denn: Nichts ist statisch, Leben ist Veränderung.