An Rhein und Ruhr. Der Fachkräftemangel stellt Unternehmen vor Herausforderungen. Wie es einige besser machen, zeigt eine Suche am Niederrhein.
Was macht eine Ausbildung attraktiv für potenzielle Azubis? Eine Frage, die sich Unternehmen angesichts des Fachkräftemangels verstärkt stellen. Erst im November berichtete das Bundesinstitut für Berufsbildung von erneut gestiegenen Lösungsquoten, also abgebrochene Ausbildungen. Zahlen des Statistischen Landesamtes zeigen für das vergangene Jahr einen Rückgang der Auszubildendenzahlen von rund 9 Prozent in NRW. Die NRZ hat sich am Niederrhein auf die Suche nach Unternehmen gemacht, bei denen es gut läuft.
Nicht nur schlechte Zahlen
Jedoch sind nicht alle Zahlen im Bereich Ausbildung negativ. So ist in NRW die Zahl neuer Ausbildungsverträge ist im Berufsbildungsjahr 2022/23 nahezu stabil geblieben. Im Zeitraum von Oktober 2022 bis September 2023 wurden laut Statistischem Landesamt ungefähr 108 400 neue Verträge abgeschlossen – etwa 360 weniger als im Vorjahr. Zum Vor-Corona-Jahr 2019 verzeichnet das Land allerdings 8,6 Prozent weniger Abschlüsse.
Auch im Bereich der Lösungsquote gibt es Kontext, der beachtet werden muss. Janine Peters, Leiterin der Abteilung Ausbildungsmarkt und Fachkräfte bei der Niederrheinischen IHK betont, eine gestiegene Quote bedeute „aber nicht zwangsläufig, dass jemand die Ausbildung abbricht. Oft orientieren sich die Auszubildenden neu, wechseln den Betrieb oder den Wohnort.“
mit dpa
In der Ortschaft Herongen im Kreis Kleve liegt das Produktionswerk des Nahrungsmittelherstellers Carl Kühne. Zurzeit lernen hier Fachkräfte für Lebensmitteltechnik und Lagerwirtschaft, Industriekaufleute und Kaufleute für Spedition- und Lagerlogistik neben Industriemechanikern und Mechatronikern. Viele der Berufe sind in einem aktuellen Ausbildungsreport des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) durch Azubis besonders positiv bewertet worden.
Laut Jana Wasser, Betriebsratsmitglied und ehemaliger Jugendausbildungsvertretung, setze Kühne an vielen Stellschrauben an. „Es ist nicht so, dass das Unternehmen ein großes Projekt hat, sondern viele kleine Schritte geht, damit die Ausbildung attraktiv ist“, sagt Wasser. Dazu gehört die Einhaltung des Ausbildungsrahmenplans – was eigentlich selbstverständlich sein sollte, es laut DGB-Report jedoch oft nicht ist.
„Wir haben hier vor Ort als Unternehmen einen guten Ruf und das gilt auch für unsere Ausbildung“, so Wassers Kollegin und Betriebsratsvorsitzende Carola Rogalka, die bereits seit 34 Jahren beim Unternehmen ist. „Fast all unsere Azubis leben in den umliegenden Orten und viele kommen durch Mundpropaganda zu uns.“
„Natürlich hilft es auch, dass wir einen ganz guten Tarifvertrag haben“, sagt Rogalka. 30 Tage Urlaub und ein 13. Monatsgehalt. Sie betont zusätzlich auch die Arbeit der Jugendauszubildendenvertreter, die in den letzten Jahren viel erreicht habe: Aufenthaltsräume für alle, Computerzugänge für die Prüfungsvorbereitungen.
Man kümmere sich, so Rogalka. „Wir hatten hier vor einigen Jahren eine Auszubildende, die schnell gemerkt hat, dass sie lieber in die Pflege will. Die Ausbilder haben sich dann mit ihr zusammengesetzt und bei der Suche geholfen. Sie konnte bei uns bleiben, bis sie was gefunden hatte.“
Auch die Azubis äußern sich positiv. Der 18-jährige Paul Rasch ist aktuell im ersten Ausbildungsjahr zum Industriekaufmann. Die Ausbildung sei ihm empfohlen worden. „Alles läuft auf Augenhöhe“, berichtet er, „bisher bin ich absolut zufrieden.“
Luca Guttkowski, Industriemechaniker im dritten Ausbildungsjahr, betont die Erfahrungen, die das „produktionsbegleitende“ Arbeiten bietet. „Wir lernen im laufenden Betrieb.“ Sein Kollege Christoph Rattmann, aktuell im ersten Jahr seine Ausbildung zum Mechatroniker, vergleicht seine aktuelle Stelle mit seiner vorherigen in der Landwirtschaftstechnik. „Hier habe ich jetzt planbare Arbeitszeiten und viele überbetriebliche Ausbildungen, aus denen wir viel mitnehmen.“
Nur wenige Kilometer weiter liegt das Landhotel Straelener Hof – zertifiziert als Top-Ausbildungsbetrieb durch den Hotel- und Gaststättenverband (DEHOGA). Auch hier werden verschiedene Ausbildungsberufe angeboten – von Koch und Köchin über Hotelfachmännern und -frauen bis zu Fachkräften im Gastgewerbe, der Küche oder für Restaurant- und Veranstaltungsgastronomie.
Dass gerade in diesen Branchen die Ausbildungszufriedenheit oft am Ende der Rangliste steht, ist kein Geheimnis und zeigt sich bei den Hotelfachkräften auch im DGB-Report. Das weiß auch Lucia König, die das Hotel seit August 2022 leitet, und für 40 Angestellte, darunter drei Auszubildende verantwortlich ist. Die 30-Jährige ist zusätzlich auch noch als Ausbilderin und im Prüfungsausschuss der Dehoga im Kreis Kleve aktiv.
Dass Königs eigenes Ausbildungsende erst wenige Jahre her ist – diese lief von 2015 bis 2018 – ist ebenfalls von Vorteil, wenn es darum geht, die Ansprüche des Unternehmens mit denen der Azubis überein zubringen. „Es ist uns wichtig, dass unsere Auszubildenden schnell Eigenverantwortung übernehmen und auch im Betrieb eingebunden sind“, erklärt sie.
Damit aus den damit einhergehenden Herausforderungen keine Überforderung wird, ständen die Auszubildenden im ständigen Austausch mit ihren Ausbildern. „Wir haben ein gutes Betriebsklima hier“, erklärt König, „und wir bemühen uns um flache Hierarchien.“ Dazu gehörten gemeinsame Pausen und Mahlzeiten mit der Belegschaft, Ausflüge der Azubis zu den lokalen Herstellern der Produkte, die im Hotel auf den Tisch kommen.
Erst vor kurzem gab es eine komplette Überholung des Ausbildungsrahmenplans. Die Realität des praktischen Betriebs soll abgebildet werden – Kommunikation stehe jetzt mehr im Vordergrund. Aber auch hier ginge die Ausbildung noch weiter, erklärt König. Die Ausbilder bemühten sich, alle Aspekte des Betriebs zu vermitteln und zusätzliche Einblicke in anderen Ausbildungsstätten zu ermöglichen. Auch innerbetrieblich gebe es jede Woche Weiterbildungen.
Ein Grund für die seit Corona wieder steigende Bewerberzahlen sei aber auch die tarifliche Lohnanpassung im Gastronomiegewerbe um bis zu 27 Prozent im vergangenen Jahr. Hinzu käme Flexibilität durch Schichtdienst, Mitarbeitervergünstigungen und ab nächstem Jahr auch ein Job-Bike.
Vier-Tage-Woche – Ein weiterer Ansatz
Neben den eher traditionellen Ansätzen, um Ausbildungsplätze attraktiver zu gestalten, experimentieren Betriebe auch immer wieder mit Ansätzen zur Vier-Tage-Woche. Die Branchen der Unternehmen sind dabei höchst unterschiedlich, das Ziel jedoch klar: dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken.
So läuft im Moerser Bethanien-Krankenhaus seit wenigen Monaten ein Projekt zu einem „Innovativen Arbeitszeitmodell für den Pflegedienst“. Auch für die Kita Grünauer Straße in Monheim hat die Awo als Träger neue Stellen mit 4-Tage-Modell für das kommende Jahr ausgeschrieben. Ein ähnliches Modell gibt es auch seit 2022 im Hotel „Tannenhäuschen“ in Wesel und die Wohnungsgesellschaft Ruhrgebiet (WoGe) in Dinslaken bietet verkürzte Arbeitswochen für Azubis.