Am Niederrhein. . Das neue Ausbildungsjahr hat begonnen. Rund 1600 offene Lehrstellen gibt es noch in den Kreisen Kleve und Wesel und der Stadt Duisburg
Für viele junge Niederrheiner hat gestern ein neues Leben begonnen: Es war Tag Eins als Azubi. Bis Ende September sollten alle Schulabgänger, die eine Lehrstelle haben möchten, auch damit versorgt sein. Wie ist die Ausbildungsbereitschaft am Niederrhein? – Was tun, wenn es bis jetzt noch nicht geklappt hat, mit dem nahtlosen Übergang von Schule und Beruf? Wir haben Jürgen Kaiser von der IHK in Duisburg, gefragt – als stellv. Leiter des Geschäftsbereiches Bildung und Technologie für die Region Duisburg, Wesel, Kleve zuständig.
Hallo Herr Kaiser. Das neue Ausbildungsjahr hat begonnen. Sind alle jungen Leute gut versorgt?
Die gute Nachricht: Noch nie war die Chance auf einen guten und qualifizierten Ausbildungsplatz für junge Leute so groß und so gut wie heute. Das hat zwei Gründe. Erstens: der gerne und oft zitierte demographische Wandel. Die Bevölkerung wird weniger, die Menschen werden älter. In vielen Betrieben arbeiten ältere, erfahrene, hochqualifizierte Mitarbeiter, die aber in absehbarer Zeit in Rente gehen werden. Betriebe und Unternehmen müssen für qualifiziertes Nachrücken sorgen. Das bedeutet, dass viele Ausbildungsplätze angeboten werden -- der Bedarf ist groß. Zweites: Die Zahl der Schulabgänger und damit der Bewerber sinkt von Jahr zu Jahr.
Im Bereich der Agentur für Arbeit in Wesel – zuständig für die Kreise Wesel und Kleve, gibt es noch über 750 freie Lehrstellen, in Duisburg etwa 850.
Wir sind in der Endspurtphase. Wir haben heute aber auch einen völlig anderen Ausbildungsmarkt als noch vor ein paar Jahren: Die Demographie ist das eine. Das andere: Die Zahl derer, die nach der Schule eine akademische Ausbildung anstreben, wird größer. Das bedeutet eine Strukturverschiebung: Es werden immer mehr junge Leute im Ausbildungssektor gesucht, es stehen aber immer weniger zur Verfügung. Das wird für die ausbildenden Betriebe, die ja qualifizierte Mitarbeiter brauchen, mehr und mehr zum Problem.
Unser Ziel ist aber ganz klar: Wir fördern die Berufsorientierung der jungen Menschen frühzeitig, damit der Übergang von der Schule in den Beruf nahtlos gelingt, „Warteschleifen“ vermieden werden – wie in der Landesinitiative „Kein Abschluss ohne Anschluss“ vereinbart.
Wir, also die Städte und Gemeinden, die Agenturen für Arbeit, das Handwerk und die IHK sprechen systematisch jeden Achtklässler an.
Ist es immer noch so? Jungs mögen die technischen Berufe, Mädels werden Frisörin und Arzthelferin und beide Geschlechter mögen den Dienst im Büro?
Ja. Unter den Top Ten in den Ausbildungsberufen steht bei den Jungen der Kraftfahrzeugmechatroniker und der Industriemechaniker ganz oben.
Bei den Mädchen sind Kauffrau für Büromanagement und Verkäuferin Spitzenreiter. Wir haben aber 350 Ausbildungsberufe im Angebot! Ich rate allen, die eine Ausbildung anstreben, sich beraten zu lassen. Geht in die Betriebe, guckt euch alles genau an. Oft gibt es einen Beruf, der dem der ersten Wahl ähnelt, aber vielleicht nicht so stark nachgefragt und doch viel spannender ist.
Wie erfolgreich sind denn solche Offensiven wie Schüler als Chef oder Bosse in Schulen?
Ich bin froh, dass wir diese Projekte anbieten können – sie sind sehr gefragt – bei jungen Leuten wie auch bei Unternehmern. Und es ist ja auch ein Win-Win-Modell: Angehende Azubis können sich vor Ort und aus erster Hand über den Beruf informieren, das ist ungemein wichtig. Und die ausbildenden Betriebe bekommen die Möglichkeit, den jungen Menschen ihr Unternehmen und die Karrieremöglichkeiten schmackhaft zu machen, sie zu begeistern und ganz gezielt zu informieren.
Was halten Sie von einer Art blue card für junge Menschen, die als Flüchtlinge zu uns kommen und hier auf einen Neuanfang hoffen?
Ganz klar: Jungen Menschen, die in Not zu uns kommen, müssen wir Perspektive geben. Das geht nicht ohne Integration in den Ausbildungs- bzw. Arbeitsmarkt. Ganz wichtig ist, dass wir Sicherheit geben können, ein Bleiberecht, wenn man einen Ausbildungsplatz hat und auch zumindest ein paar Jahre danach.
Der DGB Wesel hat jetzt eine Ausbildungsumlage gefordert...
Ich halte nichts davon. Unser duales Ausbildungswesen ist ein Erfolgsmodell, ein Exportschlager, um den uns die ganze Welt beneidet. Wir haben die niedrigste Quote bei der Jugendarbeitslosigkeit in ganz Europa.
Wir bilden hochqualifiziert aus – und müssen das ja auch, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Da nun mit einer Umlage finanziell zusätzlich zu belasten, gefährdet unser Erfolgsmodell.
Ihr Tipp für alle die, die noch nicht wissen, was sie werden wollen – oder für die, die noch keine Lehrstelle haben?
Es gibt viele noch unbesetzte Lehrstellen, die in Berufe führen, in denen man richtig gutes Geld verdienen kann und in denen auch die Karriereleiter bereit steht. Einfach mal hineinschnuppern, sich beraten lassen, ausprobieren. Sich der eigenen Stärken und Interessen bewusst sein.
Es stehen ganz viele Türen offen. Einfach mal durchgehen. Und wir helfen und beraten gern und machen auch gern fit – auch da, wo es vielleicht noch ein paar Defizite gibt. Wie gesagt, die Chancen sind auch jetzt – auf der Zielgeraden des Ausbildungsmarktes – da!