Am Niederrhein. In Voerde entbrennt nach einem Wolfsriss eine Diskussion um Konsequenzen – samt Brandbrief an Hendrik Wüst. Der Nabu warnt vor Hysterie.

Der Schock über das, was Ute Sprock am Montag auf ihrer Weide in Voerde entdecken musste, ist in ihrer Stimme auch Tage später noch hörbar. „Es war ein schrecklicher Anblick, wie sie da so lagen. Mit meinen 56 Jahren habe ich so etwas noch nicht gesehen.“ Vier trächtige Schafe samt ihrer noch ungeborenen Lämmer fielen mutmaßlich einer Wolfsattacke zum Opfer – so kurz vor dem Osterfest. Mutmaßlich, weil die Untersuchung des zuständigen Landesumweltamt (Lanuv) noch nicht abgeschlossen ist. „Kehlbiss“, berichtet die Schäferin. „Ein Tier mussten wir am nächsten Tag einschläfern, ein weiteres Schaf ist noch vermisst.“

Ute Sprock züchtet Schafe in Voerde.
Ute Sprock züchtet Schafe in Voerde. © FUNKE Foto Services | Fabian Strauch

Dabei sei die Herde gut geschützt gewesen, beteuert Sprock. „1,08 Meter hoch ist die Umzäunung, eine Spannung von 6000 Volt haben wir angelegt.“ Damit sei sie über die Mindestanforderungen des Landes hinausgegangen, um finanzielle Unterstützung für den Herdenschutz zu erhalten. „Wir konnten im Nachhinein keinerlei Beschädigung feststellen. Es lagen einfach die toten Schafe auf der Wiese.“

Die Zukunft der Schafzucht sei akut infrage gestellt, glaubt Sprock. „Die Tiere sind wichtig für die Artenvielfalt, tragen Samen weiter, kümmern sich um den Deichschutz, indem sie dort grasen und Unkraut vernichten.“

„Rote Linie überschritten“

In der Kommunalpolitik in Voerde hat der Vorfall hohe Wellen geschlagen. Erst Ende Februar überlebten nur wenige Kilometer entfernt im Grenzgebiet von Dinslaken und Oberhausen fast 40 Schafe – ungeborene Lämmer eingerechnet– eine (noch nicht bestätigte) Wolfsattacke nicht. Die Fraktionen von SPD, CDU, FDP, Wählergemeinschaft und Die Unabhängigen haben in einem Brandbrief an Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) unter der Überschrift „Wolf in Voerde – Die rote Linie ist überschritten“ nun Maßnahmen eingefordert.

Im nahen Umkreis der betroffenen Weide befinden sich eine Schule und ein Sportzentrum“, äußert Stefan Schmitz, Fraktionsgeschäftsführer der SPD in Voerde, Befürchtungen. „Wenn der Wolf durch das Wohngebiet streift, dann dürfen die Ängste und daraus resultierende Sorgen der Menschen nicht unbeachtet gelassen werden“, so Schmitz.

„Bei allem Verständnis für die Schutzwürdigkeit des Wolfes ist eine rote Linie überschritten worden. Der Schutz des Wolfes darf nicht weiterhin über den Schutz von Menschen und Weidetieren gestellt werden“, lautet der Appell an den Ministerpräsidenten.

Peter Malzbender, Vorsitzender des Nabu-Kreisverbandes Wesel, bewertet derlei Forderungen als „hysterisch“ und lehnt sie als „unwissenschaftlich“ sowie „unfundiert“ rundheraus ab. „Ich kann mit jedem Schäfer und jeder Schäferin mitfühlen, dass der Verlust eines Tieres schmerzt.“ Doch seien Wölfe bei der Nahrungssuche vor allem auf Wildtiere aus, die es am Niederrhein in Form von Rehen oder Wildschweinen in rauen Mengen gebe.

Peter Malzbender wahnt vor Hysterie bei der Diskussion um den Wolf am Niederrhein.
Peter Malzbender wahnt vor Hysterie bei der Diskussion um den Wolf am Niederrhein. © FUNKE Foto Services | Olaf Fuhrmann

Nur in äußerst seltenen Fällen gebe es Risse von Nutztieren. „Und von einem ‘Problemwolf’ kann nicht die Rede sein. Das wurde vom Land untersucht und ausgeschlossen.“ Malzbender würde dann, wenn ein Wolf sich Menschen gegenüber aufdringlich zeigt oder er wiederholt und trotz Schutzmaßnahmen Nutztiere in großem Maße tötet, einer sogenannten Entnahme (Gefangennahme oder Tötung) nicht widersprechen.

Dass Menschen attackiert werden, sei seit Jahrzehnten nicht dokumentiert worden. „Dabei hat sich die Wolfspopulation in Deutschland auf inzwischen gut 1500 Tiere vergrößert.“ Eine viel größere Gefahr ginge beispielsweise durch Hunde aus. „Aber da fordern wir ja auch kein generelles Verbot.“ Wölfe nähern sich, so Malzbender nur in Ausnahmefälle dem Menschen. „Das sind dann in der Regel neugierige Jungtiere.“

Der Naturschützer mahnt eine finanzielle Unterstützung der Tierzüchter an. Herdenschutzhunde würden einen guten Dienst leisten. „Wichtig in diesem Zusammenhang ist, dass das Land aber auch für das Futter für die Hunde Mittel bereitstellt. Denn das sind enorme Kosten, die da den Landwirtinnen und Landwirten monatlich entstehen.“

Ute Sprock hat vorerst weitere Maßnahmen ergriffen, um die verbliebenen Schafe zu schützen. „Mein Mann bewacht die Tiere in der Nacht. Zudem haben wir neue Wildkameras auf eigene Kosten beschafft. Wir geben nicht auf und machen weiter.“