An Rhein und Ruhr. Wegen der Vogelgrippe klagen viele Landwirte in NRW über Existenzängste. So wahrscheinlich ist eine Geflügelknappheit an Rhein und Ruhr.
Die Geflügelpest hat Landwirtschaftsbetriebe an Rhein und Ruhr fest im Griff. Landwirte fordern nun sogar eine Lockerung des Artenschutzes von Wildvögeln, die von Bauern als Überträger des Influenza-Virus H5N1 gesehen werden. Nachdem in Rees, Weeze und Kalkar tausende Tiere nach Krankheitsausbrüchen notgetötet werden mussten, hatte der Kreis Kleve am Dienstag die Aufstallungspflicht ausgerufen. Der Kreis Wesel zog am Mittwoch nach. Hühner, Gänse, Enten und Co. müssen in einen geschlossenen Stall – zu dem Wildvögel keinen Zugang haben.
Diese gelten unter Landwirten als Überträger der Krankheit, deren Ansteckungsrisiko das Robert-Koch-Institut für Menschen als „sehr gering“ einschätzt. Und der Kontakt von Nutztieren mit Wildgänsen, Reihern und Krähen sei in der Freilandhaltung bislang kaum zu verhindern gewesen. Das Beispiel eines Putenmastbetriebs im Reeser Ortsteil Haldern, der 20.000 Tiere nottöten musste, zeigt die drastischen Folgen eines Ausbruchs. Und versetzt viele Landwirte am Niederrhein in Sorge.
Landwirte über Geflügelpest-Ausbrüche in NRW: „Weihnachtsgeschäft gelaufen“
Diese Rückmeldung hat Michael Seegers, Vorsitzender der Kreisbauernschaft Kleve, von seinen Kolleginnen und Kollegen bekommen: „Ein Tier notzutöten, das man aufwachsen gesehen hat, das macht kein Betrieb gern.“ Ein entscheidender Grund für die Angst ist für die Landwirte natürlich auch wirtschaftlicher Natur: „Für den betroffenen Betrieb ist das Weihnachtsgeschäft gelaufen. Und davon hängen viele Existenzen ab.“ Wer eine gute Versicherung gegen Ertragsschäden hat, könne eine Entschädigung bekommen. Bis die da ist, müssten die Viehhalter jedoch in Vorkasse gehen.
Seit die Kreise Kleve und Wesel ihre Richtlinien verschärft haben, dürfen Landwirte ihre Ställe nur mit Schutzkleidung betreten. Überdies dürfen sie keine Speise- und Küchenabfälle und Eierschalen an Geflügel verfüttern und müssen Futter und Trinken unter Verschluss lagern, um jedes Ansteckungsrisiko auszuschließen. Große Landwirtschaftsbetriebe seien auf solche Maßnahmen vorbereitet. Anders sei es bei Menschen, die für das Frühstücksei in Eigenproduktion selbst Hühner in ihrem Garten halten. „Für private Geflügelhalter ist es eine Mammutaufgabe, jetzt für geschlossene Ställe zu sorgen“, kritisiert Seegers.
Viele Landwirte halten es für sinnvoller, die Ursache der Vogelgrippe anzugehen – die aus ihrer Sicht in einer „Überpopulation“ von geschützten Wildvogelarten liegt. „Wildgänse und andere Arten dürfen nicht bejagt werden, obwohl sie der Landwirtschaft große Schäden bringen“, meint der Vorsitzende der Klever Kreisbauernschaft. Als Beispiele nennt er Beeinträchtigungen bei der Ernte von Mais und Getreide. „Es geht nicht darum, Wildvögel auszurotten. Aber es wäre sinnvoll, ihren Bestand auf ein angemessenes Niveau zu reduzieren.“
Nabu kritisiert Jagd auf Wildvögel wegen Geflügelpest: „Schöne Ausrede der Landwirte“
Der Naturschutzbund Nabu kritisiert diesen Vorschlag. Biologin und Zugvogelforscherin Jutta Leyrer sieht in der Ausbreitung des Virus ein landwirtschaftlich gemachtes Problem: „Aus wissenschaftlicher Sicht ist es eindeutig, dass die hochansteckenden Varianten in der industriellen Geflügelhaltung entstanden sind, wo sie schnell mutieren können.“ Überpopulationen, wie Landwirte die Verbreitung der Tiere nennen, gebe es in der Natur nicht.
Zudem sei der Kontakt zwischen Wildvogelpopulationen und Nutztieren laut Leyrer selten bis ausgeschlossen. „Die Forderung nach einem Abschuss der Wildgänse wegen der Geflügelpest ist eine schöne Ausrede. Die Weißnonnengans, die vom Klimawandel profitiert und länger in Deutschland bleibt, findet in dem eiweißhaltigen Turbogras für die Kuhhaltung ein gutes Nahrungsangebot. Das ist vielen Landwirten natürlich ein Dorn im Auge.“ In Impfungen in der Massentierhaltung sieht sie einen passenderen Lösungsvorschlag gegen die Vogelgrippe.
Geflügel-Knappheit wegen Vogelgrippe? Landwirte wollen nichts ausschließen
Trotz gegenteiliger Positionen über Ausbruchsursachen dürften sich Naturschützer und Landwirte darüber einig sein, dass die fortschreitende Verbreitung der Krankheit keine gute Nachricht ist. Wie die Landwirtschaftskammer NRW auf NRZ-Anfrage mitteilt, sei eine Prognose für das diesjährige Weihnachtsgeschäft der Geflügelwirtschaft noch nicht möglich. Wie groß die Rolle der gestiegenen Preise für den festlichen Gänsebraten – bei einigen Anbieter an Rhein und Ruhr ist er zehn Prozent teurer als im Vorjahr – sein wird, bleibt offen.
Unsicherheit aufgrund der Krankheit nimmt die Kammer in der Kundschaft jedoch nicht wahr: „Aus Sicht unserer Experten gibt es keine Auswirkungen auf die Nachfrage. Die Geflügelpest ist seit längerem Thema. Da die Krankheit für den Menschen keine Relevanz hat, geht von den Produkten keine Gefahr für Verbraucherinnen und Verbraucher aus.“ Ob eine Geflügelknappheit bei weiteren Ausbrüchen in Großbetrieben droht, werde „der Markt regeln.“ Landwirte am Niederrhein wollen dies jedoch nicht ausschließen.