Gennep. Was NRW in Sachen Kiesabbau ohne Konflikte mit Naturschützern von den Niederlanden lernen kann - das zeigt ein Besuch im Abbaugebiet bei Gennep.

Der Konflikt um den Kiesabbau am Niederrhein schwelt schon lange. Rund 40 Millionen Tonnen werden in der Region pro Jahr abgebaut, von bundesweit etwa 260 Millionen Tonnen. Der neue Regionalplan Ruhr, der derzeit offen ausliegt, sieht eine Ausweitung der möglichen Kies- und Sandabbaugebiete am Niederrhein um weitere 300 Hektar vor. Anwohner und Umweltschützer fürchten das „Abbaggern“ ihrer Heimat und die drohende Zerstörung des Naturraums. Der NABU kritisiert die Eingriffe in das EU-Vogelschutzgebiet „Unterer Niederrhein“. Zudem führe der Kiesabbau zu einer Zerstörung der Bodendeckschicht, die das Grundwasser vor schädigenden Einträgen schützt. Ab dem 21. März wird eine Klage von vier Niederrhein-Kommunen und dem Kreis Wesel gegen die Bedarfsermittlung für die Kiesproduktion beim Oberverwaltungsgericht Münster verhandelt.

Auf den Termin blickt auch die Firma Teunesen, die seit 80 Jahren in dritter Generation Kies und Sand in Deutschland, Belgien und den Niederlanden abgräbt und damit wirbt, die Kiesgebiete zu Natur- und Erholungsgebiete zu entwickeln. Auf der Verbandsversammlung des RVR im Dezember stellte Jürgen Tarter, Projektmanager Teunesen Sand und Kies GmbH, einige Projekte aus den Niederlanden vor. Denn dort arbeiten die Kiesindustrie und Naturschützer seit Jahren Hand in Hand.

„Die Gesellschaft braucht Rohstoffe. Wir bewegen uns in einem schwierigen Spannungsfeld“, sagt Jürgen Tarter. Doch dieses Spannungsfeld werde in den Niederlanden seit Jahren kooperativ angegangen. Nicht „gegen, sondern miteinander“, sei die Devise. Seit 2003 ist im Nachbarland gesetzlich vorgeschrieben, dass der Kiesabbau nur dann erfolgen darf, „wenn es einen gesellschaftlichen Mehrwert gibt.“ Und dieser Mehrwert muss mit den Gemeinden, Anwohnern und Interessenverbänden wie der Naturschutzorganisation Natuurmonumenten zusammen entwickelt worden sein.

Fons Mandigers von Natuurmonumenten und Gerda Franken, Teunesen, inmitten der Naturlandschaft von Koningsven - De Diepen bei Gennep.
Fons Mandigers von Natuurmonumenten und Gerda Franken, Teunesen, inmitten der Naturlandschaft von Koningsven - De Diepen bei Gennep. © FUNKE Foto Services | Foto: Fabian Strauch

Davon ist man auf deutscher Seite noch weit entfernt. Die RVR-Verbandsversammlung hatte im Dezember in Ergänzung zur Offenlage des Regionalplans zwar beschlossen, dass künftig für die Abgrabungsflächen Konzepte entwickelt werden sollen. „Damit will die Metropole Ruhr einen ähnlichen Weg wie die Niederlande gehen“, erklärt Barbara Klask, Pressesprecherin des RVR. Dies werde nicht das grundlegende Akzeptanzproblem lösen, könne aber zu einer besseren Einbindung in das ländliche und städtische Gefüge und somit zu einem nachhaltigen Mehrwert führen. Die Zahl der Einwende gegen den RVR-Plan, die noch bis Ende April eingereicht werden können, könne man noch nicht beziffern.

Glühwürmchen-Hotspot

Ein weiterer Kritikpunkt der Ausgrabungsgegner: Der Landesentwicklungsplans NRW zur Rohstoffgewinnung gibt vor, dass ein Versorgungszeitraum von mindestens 25 Jahren, statt wie bisher 20 Jahre, für Lockergesteine und mindestens 35 Jahren für Festgesteine planerisch zu sichern ist. In den Niederlanden darf Teunesen im Gebiet Koningsven - De Diepen an der Grenze zum deutschen Reichswald in Kleve die nächsten 16 Jahre Sand und Kies auf einer Fläche von insgesamt 280 Hektar abgraben.

Doch am Anfang standen hier nicht die Auskiesungen mit schwerem Gerät im Vordergrund, sondern die Arbeiten für die Landschaftsentwicklung. Zunächst ist eigentlich nur jede Menge Boden von A nach B gebracht worden, um hier eine natürliche Entwicklung zu fördern. Ein cleverer Schachzug, denn so konnten die Niederländer, auch die kritischen, als erstes sehen, dass sich was tut. Und zwar was Schönes. Statt Baugrube und Bauzaun entstand hier ein kleiner See, in dem nun Frösche um die Wette quaken, der seltenen Amphibien, Fledermäusen und Vögeln einen neuen Lebensraum bietet. Und: Es soll im Juni ein echter Glühwürmchen-Hotspot sein!

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Diese Projektreihenfolge zeigt auch, wie ernst es die Niederländer mit der Entwicklung der Landschaft und mit dem „gesellschaftlichen Mehrwert“ nehmen.

Vor mehr als einem Jahrhundert galt das Gebiet in Gennep als eines der naturreichsten Torflandschaften der Niederlande, nachdem sich in der Eiszeit durch Gletscher und einen anderen Verlauf des Rheins Endmoränen gebildet hatten. In den folgenden Jahren begann nach einer Flurbereinigung die Zeit des Torfabbaus und der meist kleinflächigen Landwirtschaft. Durch die Zusammenarbeit mit Teunesen, der Vereinigung Natuurmonumenten und der Gemeinde wurde die Umwidmung und Bündelung der Landwirtschaft ermöglicht.

Küchentischgespräche

Grundstücke wurden aufgekauft, Landwirte mussten umsiedeln. Natürlich lief auch das nicht ohne Widerstand, einige Niederländer zogen auch vor Gericht – nicht anders als in Deutschland. Das, so sagt der Natuurmonumenten-Gebietsmanager Fons Mandigers, sei auch ihr gutes Recht, das ist Demokratie. Doch in den Niederlanden versuche man mehr, die Menschen mitzunehmen und durch „Küchentischgespräche“ einzubinden, meint Jürgern Tarter. Oft klappt das, manchmal aber eben auch nicht.

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Das natürliche (Grund-)Wassersystem ist wiederhergestellt worden, indem unter anderem die obersten 40 Zentimeter des nährstoffreichen Bodens abgetragen wurden. Dadurch wurde ein nährstoffarmer Boden geschaffen, der die Grundlage für die Rückkehr der ursprünglichen Blaugrasflächen und des Hochmoors bildet. Ein teil der abgetragenen Deckschicht wurde zum Auffüllen des Sees genutzt. So entstand eine Landschaft mir einem Wechsel von Blaugrasland, Hochmoor, Heide, Sumpfgrasland, Schilf, flachen Tümpeln und einer bunten Palette von Pflanzen- und Tierarten. Durch den zusätzlichen Wasserspeicher leistet das Projekt zudem einen Beitrag zum Hochwasserschutz - für die Niederland wichtig.

Und: „Die Natur von De Diepen und bald auch das Koningsven bieten neue wirtschaftliche Perspektiven“, sagt Franc Holthuysen. Er betreibt eine Gaststätte in dem Gebiet. „Wir fokussieren uns mehr und mehr auf Urlauber. Es stehen inzwischen zwei Blockhütten am Rande eines Naturteichs, in dem auch geschwommen werden kann. Letztendlich sollen acht Blockhütten und einige einfachere Wanderhütten entstehen“, erzählt er von weiteren Plänen. Kurz später stoppt eine Gruppe Radfahrer, sie legen eine Pause ein, genießen den Blick auf den See.