Essen/Kamp-Lintfort/Neukirchen-Vluyn. Nachdem die RVR-Verbandsversammlung über die Offenlage abgestimmt hat, kommt es nun auf die Einsprüche und das Gerichtsurteil an.

Die RVR-Verbandsversammlung hat am Freitag in ihrer Sitzung mit großer Mehrheit für die Offenlage des Regionalplanentwurfs mitsamt den darin formulierten Kiesplänen für den Kreis Wesel gestimmt. Die sechs Kreis Weseler Abgeordneten von CDU, SPD und Grünen sowie die Linken-Fraktion stimmten dagegen.

Die Sitzung wurde von lautstarkem Protest begleitet. Bauern, Bürger aus dem Kreis Wesel und die Bürgerinitiative Mitgestalten-NV standen vor dem Eingang der Grugahalle und riefen „Wir sind hier, wie sind laut, weil ihr uns die Heimat klaut“ oder „Mit uns ist kein Kies zu machen!“ An die ankommenden Abgeordneten verteilten sie „CooKies“, die die Bäckerei Nöthen gebacken hatte.

Die Offenlage des Planentwurfs konnten sie mit ihrem Einsatz nicht mehr abwenden. Gerechnet hatten sie damit auch nicht, allerdings ärgerten sie sich teilweise über die Argumente, mit denen manche Abgeordnete ihre Zustimmung begründeten.

So verstieg sich FDP-Fraktionschef Axel Booß unter anderem zu der Aussage, dass in der Kiesfrage „die Betroffenheit Einzelner der Betroffenheit einer gesamten Region“ entgegenstehe und reduzierte den Kampf gegen den erweiterten Kiesabbau in den Augen einiger damit zum Problem weniger.

Die Fraktionen von SPD und CDU, die im Ruhrparlament eine Koalition bilden, bekräftigten unterdessen, dass sie sich den „Konfliktlagen“ im Kreis Wesel durchaus bewusst seien, „ein offenes Ohr“ für die Sorgen und Nöte der hier lebenden Menschen hätten und „Lösungen herbeiführen“ wollten, die allgemeinverträglich seien. Ein Instrument soll der Begleitantrag seien, den die Verbandsversammlung ebenfalls auf den Weg brachte und der vorsieht, dass die betroffenen Städte und Gemeinden mit der RVR-Regionalplanung frühzeitig Nachnutzungskonzepte für die Abbauflächen entwickeln. Dass damit vor allem die Kommunen, aber nicht die Kiesindustrie in die Pflicht genommen werden, fiel nicht nur den Besuchern aus dem Kreis Wesel auf.

Als drittes Werkzeug stimmte die Verbandsversammlung mit großer Mehrheit für die „Resolution für eine Transformation in der Baustoffproduktion und Baustoffnutzung“, um unter anderem die Recyclingquote bei Baustoffen wie Kies, Sand oder Ton zu erhöhen. Damit hatten sich die Zugeständnisse allerdings erschöpft.

Eine Herauslösung der Kiesfrage aus dem Regionalplanentwurf oder ein Moratorium über die Ausweisung von Kiesflächen, um das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Münster in der Klage der Städte und des Kreises gegen das Land abzuwarten, so wie jüngst auch vom Weseler Kreistag per Resolution gefordert, hatten in der Verbandsversammlung keine Chance. So stimmte das Ruhrparlament für die Offenlage des kompletten Regionalplanentwurfs, die im Januar beginnen soll.

Damit nimmt der Zeitdruck, um noch Einfluss auf die Ausweisung nehmen zu können, merklich zu. Ab Januar haben die Bürgerinitiativen, Städte, Bürgerinnen und Bürger nur noch drei Monate Zeit, um ihre Einwände einzureichen. Und das Verfahren ist kompliziert. Darum kündigt Nadia Riggio von der Bürgerinitiative „Mitgestalten-NV“ eine genaue Überprüfung der Vorgaben an, um Formfehler auszuschließen.

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Das Ziel sei, so viele Einwendungen wie möglich an den RVR zu schicken. Außerdem müsse man den Protest noch sichtbarer machen. „Dafür werden wir sämtliche Kanäle nutzen“, so Riggio, die auch von der Stadt Einsatz fordert. „Wir erwarten, dass die Stadt einen Bürgerbrief aufsetzt, in dem das Verfahren erklärt wird.“ Außerdem sollten Einwendungsbögen mitgeschickt werden. Bürgermeister Ralf Köpke, der ebenfalls in Essen war, sagte, dass er sich dazu bereits in Gesprächen mit der Politik befinde. Man habe das Problem, dass man als Stadt keine direkte Rechtsberatung anbieten dürfe, so Köpke, aber vielleicht finde man eine Alternative.

Dass es jetzt vor allem auf die Einsprüche ankommt, sagte am Freitag auch SPD-Kreistagsfraktionschef und Ruhrparlamentsmitglied Gerd Drüten, der mit den Landtagsabgeordneten René Schneider und Ibrahim Yetim sowie Kamp-Lintforts Bürgermeister Christoph Landscheidt nach der Verbandsversammlung einen Ausblick auf die nächsten Schritte warf.

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Drüten nannte als Zielmarke rund 3000 Einwendungen. Eine ähnliche Menge war aus dem Kreis Wesel bereits bei der ersten Offenlage eingegangen. Bürgermeister Christoph Landscheidt sagte, dass auf Kreisebene bereits Vorkehrungen getroffen würden, um Einwände zu koordinieren. Auch er war von der beschlossenen Offenlage nicht überrascht und nannte als Ursprung den Landesentwicklungsplan, der auf die Entfesselungspolitik der Landesregierung zurückzuführen sei.

In dem Zusammenhang blickte Landscheidt vor allem auf die Klage der Städte und des Kreises gegen die derzeitige Ermittlungsform für den Kiesbedarf. Ob diese Bedarfsberechnung rechtens ist, darüber entscheidet das Oberverwaltungsgericht voraussichtlich im kommenden Frühjahr. Das Gericht habe zwei Terminvorschläge im März für eine mündliche Verhandlung gemacht, sagte Landscheidt. „Bis dahin hätte das Land gut daran getan, einem Moratorium zuzustimmen.“ Denn wenn das Gericht zugunsten der Kläger entscheide, könne es passieren, dass der gesamte Plan des RVR in Sachen Kies und Sand „schon im Frühjahr wieder zur Makulatur wird“.

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Das sahen auch René Schneider und Ibrahim Yetim so, die ankündigten, mit Anträgen, Gesetzesänderungen und Erlassen — sofern es die Mehrheiten im Landtag mittragen — den langsamen Ausstieg aus dem Kies- und Sandabbau in NRW einzuleiten. Den Abgeordneten schwebt unter anderem ein Haftungsfonds für den Bau mit Recyclingstoffen vor, um Bauwilligen die Angst vor Regressansprüchen zu nehmen. Auch solle der Versorgungszeitraum mit Kies und Sand wieder auf 20 Jahre verkürzt werden.