Moers. Dr. Thomas Voshaar vom Krankenhaus Bethanien in Moers erhält derzeit wegen seiner Corona-Behandlung weltweit Beachtung. Der Arzt erklärt, wieso.
Gesundheitsminister Jens Spahn hat schon angerufen, Mediziner aus Harvard und Princeton haben sich gemeldet und in der ZDF-Talkshow „Markus Lanz“ sprach SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach darüber: Das Moerser Krankenhaus Bethanien ist in den vergangenen Wochen international bekannt geworden. Der Grund: Chefarzt Dr. Thomas Voshaar hat schon im März darauf hingewiesen, dass es besser für Covid-Patienten sei, so lange wie möglich mit der künstlichen Beatmung zu warten, weil sie die Lunge schädige. „Dass meine Aussagen so viel Beachtung finden würden, kam auch für mich überraschend“, erzählt Voshaar. „Das ist aber wirklich großartig, weil es sehr zur wissenschaftlichen Diskussion beiträgt und – da bin ich überzeugt – schon Leben gerettet hat.“
Voshaar ist Leiter der Pneumologie in dem Moerser Hospital und beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit Erkrankungen der Lunge. Deswegen verfolgte er die öffentliche Debatte um zu wenige Beatmungsgeräte zu Beginn der Corona-Krise skeptisch. „Intensivmediziner und Fachgesellschaften haben suggeriert, dass wir viel mehr Beatmungsgeräte benötigen würden, weil die Menschen sonst an Lungenversagen sterben, wenn sie nicht früh intubiert werden“, so der Arzt.
„Die Strategie der frühen Intubation kann nicht der richtige Weg sein“
Diese Annahme sei aber abgeleitet worden aus der Situation in China und Italien, wo eine Flut an Patienten die Krankenhäuser überrollt und gar keine Möglichkeit mehr bestanden habe, sich mit jedem Patienten individuell auseinanderzusetzen. „Bei uns hatten wir ja mehr Zeit, uns vorzubereiten und auch nie diesen Ansturm“, so Voshaar. „Mir war klar, die Strategie der frühen Intubation kann nicht der richtige Weg sein.“
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Das habe auch die Erfahrung mit anderen schweren Lungenkrankheiten wie COPD gezeigt. „Nachdem mir verzweifelte Kollegen aus New York dann berichteten, dass ihnen 80 Prozent der künstlich beatmeten Patienten innerhalb weniger Tage sterben, habe ich mit meinen Mitarbeitern ein Lehrvideo gedreht, wo ich alles genau erkläre.“
Bislang 50 Corona-Patienten auf Intensivstation in Bethanien
Im Bethanien-Krankenhaus, wo bislang 50 Covid-Patienten auf der Intensivstation mit einer schweren. beidseitigen Lungenentzündung behandelt wurden, sei der erste Schritt die engmaschige Überwachung. „Wir machen bei jedem Patienten eine Computertomographie der Lunge, da ist die Entzündung viel besser zu sehen als auf Röntgenbildern“, erklärt der Experte.
Der Erkrankte leide unter Sauerstoffmangel, also werde zunächst durch eine kleine Brille unter der Nase Sauerstoff verabreicht. Helfe das noch nicht, werde eine weiche Mund-Nasen-Maske aufgesetzt, die etwas Druckluft zuführt, um die spontane Atmung zu unterstützen.
Sauerstoff über Mund-Nasen-Maske zuführen
„Stabilisiert sich der Patient daraufhin immer noch nicht, wird über die gleiche Maske zusätzlich zur Druckluft noch Sauerstoff zugeführt“, schildert der Arzt. Bei vielen führe diese Methode schon zu einer Verbesserung des Zustands. Mit der gleichen Maske funktioniere dann auch eine vollständige, nicht-invasive Beatmung. Luft wird dann mit Druck in die Lungen gepumpt.
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Der Vorteil bei all diesen Methoden: Der Patient ist wach, ansprechbar und kann selber essen. Das Intubieren, so Voshaar, sei dann die letzte Möglichkeit, die manchmal auch unumgänglich sei. „Es kommt aber auf den richtigen Zeitpunkt an. Wir müssen vorher erst alles andere versuchen, weil das künstliche Beatmen immer ein sehr schwerer Eingriff ist“, erklärt der Arzt.
Künstliches Beatmen schadet Lunge oft langfristig
Dabei werde ja ein Schlauch in den Hals geführt, der Patient sediert, also in ein künstliches Koma versetzt, in dem er weder eigenständig atmen noch sich ernähren könne. „Das kann Leben retten, aber die Lunge auch langfristig schädigen, beispielsweise durch eine Entzündung“, sagt Voshaar. Anders als beim selbstständigen Atmen werde die Luft mit Druck in die Lunge hineingeführt. Ab dem dritten Tag steige die Gefahr für bleibende Schäden.
Zumindest im Bethanien-Krankenhaus ist Voshaars schonendere Beatmungsmethode erfolgreich. 50 Covid-Patienten behandelte der Mediziner seit Mitte März auf der Intensivstation, alle mit beidseitiger Lungenentzündung. Nur einer von ihnen wurde intubiert. Er verstarb Anfang April – auch aufgrund seiner schweren neurologischen Vorerkrankungen. „Wir dokumentieren alles genau, weil wir das ja auch veröffentlichen wollen“, so der Lungenfacharzt. „Auf welche Art wir den Patienten Luft zuführen und wie schwer der Verlauf ist, damit niemand argumentieren kann, die Methode habe hier so gut funktioniert, weil die Krankheitsverläufe ohnehin nicht so gravierend gewesen seien.“
Wissenschaftliche Debatte zwischen Intensivmedizinern und Lungenfachärzten
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Zwischen Anästhesisten, Intensivmedizinern und Lungenfachärzten ist mittlerweile eine lebhafte Debatte über die Intubation entbrannt. Voshaar findet das gut. „Umso intensiver wir uns damit beschäftigten, desto besser für die Patienten.“ Sein Lehrvideo mit dem sogenannten „Moerser Modell“ hat nun englische Untertitel, Krankenhäuser in Las Vegas und New York arbeiten damit. Frankreichs Präsident Macron sah sich das Video ebenfalls an und ließ es untertiteln, auf Russisch und Spanisch ist es mittlerweile auch verfügbar.
Die Fachgesellschaften für Intensivmedizin, unter anderem der Berufsverband Deutscher Anästhesisten, wehren sich gegen Kritik an den Behandlungsmethoden. „Der implizite und explizite Vorwurf, dass in Deutschland Covid-Patienten zu früh und/oder zu häufig intubiert und dadurch vermehrt versterben würden, ist schlichtweg falsch“, so die Gesellschaften. Vielmehr zeigten vorliegende Daten, dass rund 70 Prozent der Covid-Intensivpatienten die Behandlung auf einer Intensivstation überlebten.