Kreis Kleve. Professor Hasan Alkas hat ein Prognosemodell zu Covid-19 erstellt. Ergebnis: Bis Ende Juni gebe es in Deutschland maximal 200.000 Fälle.
Hasan Alkas hat jetzt sechs Wochen gerechnet. Der Ökonomie-Professor der Hochschule Rhein-Waal hat die vorlesungsfreie Zeit genutzt, um sich mit dem Coronavirus zu beschäftigen. Gemeinsam mit vier Mitarbeitern hat er sich daran gemacht, ein mathematisches Modell zu entwickeln, mit dem man den künftigen Verlauf der Coronainfektionen darstellen und daraus Prognosen ableiten könne. Alkas ärgert sich darüber, dass das Robert-Koch-Institut bislang gänzlich ohne Modelle auskomme: Dabei seien gerade mathematische Modelle äußerst hilfreich, politische Entscheidungen zu untermauern und angemessen auf die Krise zu reagieren.
„Ohne ein Modell geht es nicht“
„Ich habe festgestellt, dass Epidemiologen und Virologen sich scheuen, Statistiken zu nutzen“, sagt Professor Alkas. „Aber ohne ein Modell geht es nicht.“ Sechs Wochen lang hat er jetzt für Deutschland und die Türkei die vorhandenen Zahlen analysiert und er kommt zum Ergebnis, dass es bei der Beibehaltung einer Politik der sozialen Distanzierung am 25. Juni nur noch 1000 Corona-Fälle in Deutschland geben werde. Auch geht er davon aus, dass sich in Deutschland Ende Juni maximal 165.000 Menschen mit den Coronavirus angesteckt haben werden.
„Die Berechnungen zeigen, dass wir auf jeden Fall nicht deutlich über 200.000 Coronapatienten gehen werden“, sagt Alkas. Mit diesen Zahlen könne man leben, aber die bisherigen Maßnahmen müssten unbedingt beibehalten werden. „Wir sehen, dass die Bundesregierung und das Robert-Koch-Institut am Anfang übertrieben haben als sie sagten, dass sich 70 Prozent der Deutschen infizieren werden.“ Sicherlich könne man einwenden, dass die tatsächliche Zahl der Infizierten bislang noch nicht genau ermittelt wurde. „Aber so große Abweichungen zu den festgestellten Infektionen wird es nicht geben“, so Alkas.
Die Reproduktionsrate liegt im Kreis Kleve bei 1,2
Grundlage seiner Aussagen sind komplizierte, fraktionale Differentialgleichungen, die in ein sogenanntes SIR-Modell einfließen. Alkas hat sich die Zahlen der Neuinfektionen und der Genesenen angeschaut und in einem Zeitablauf dargestellt. Das Modell sei selbstlernend. Die Erarbeitung dieses Modells möchte Alkas gemeinsam mit den Kollegen in einer wissenschaftlichen Zeitschrift veröffentlichen. Das Robert Koch-Institut geht davon aus, erste Prognosemodelle Mitte Mai präsentieren zu können.
Auch für den Kreis Kleve hat er eine kleine Berechnung angestellt. Alkas wollte wissen, wie hoch die Reproduktionsrate auf lokaler Ebene aussieht. Diese Rate drückt aus, wie viele Menschen ein erkrankter Coronapatient ansteckt. Deutschlandweit liege die Rate jetzt bei 0,7, doch im Kreis Kleve liegt sie bei 1,2: „Das heißt, dass wir regional ein kleines exponentielles Wachstum verzeichnen“, so Alkas. Daher sei es gerade in unserer Region wichtig, die getroffenen Maßnahmen weiter zu befolgen.
Mit Kanonen auf Spatzen?
Hasan Alkas erkennt, dass gerade in China die rabiaten Maßnahmen sehr gut geholfen hätten, das Virus einzudämmen. Und auch wenn dies in einer freiheitlichen Demokratie so nicht durchsetzbar ist, erscheinen ihm die wirtschaftlichen Hilfsleistungen in Deutschland und Europa unverhältnismäßig drastischer zu sein: „In China reden wir von Wirtschaftshilfen in Höhe von 150 bis 160 Milliarden Euro. In Deutschland stellen Bund, Länder und Kommunen bereits 1,2 Billionen Euro zur Verfügung.“
Der Klever Professor erkennt, dass man bei den ökonomischen Auswirkungen des Virus in Deutschland deutlich übertrieben habe. „Schon zwei Tage nach dem Lockdown haben Wirtschaftsvertreter von einer Pleitewelle gesprochen und dass die Wirtschaft zerstört werde. Also, da muss man doch ein Fragezeichen setzen.“
Zu Beginn der Krise habe man schlechte Gesetze auf den Weg gebracht: „Man kann schon von einem Regierungsversagen sprechen“, sagt Alkas. Man hätte viel differenzierter schauen sollen: Welche Bereiche sind wirklich betroffen. Klar ist, dass vor allem Dienstleistungsbetriebe anfällig sind. Aber das produzierende Gewerbe muss deutlich weniger Nachteile hinnehmen: „Produkte kann man lagern, Dienstleistungen wie Haare schneiden nicht“, sagt Alkas.
Positive Signale setzen
Der 50-jährige Verhaltensökonom sieht jetzt die Nation in einem Schockzustand. Gerade jetzt sei es wichtig, positive Signale zu setzen, da sonst eine Negativspirale von Konsumverzicht und Wirtschaftswachstum einsetze. Die derzeitige Diskussion, in der ein Lockdown für das gesamte Jahr 2020 oder sogar für 2021 diskutiert werde, werde auch einer wackeligen Basis diskutiert. „Es gibt zurzeit kein Prognosemodell und das ist schlecht“, sagt Alkas. Die Krise könne sich so qualvoll hinziehen, während man in China schon wieder einen Wachstumspfad erkenne.