Berlin. Job und Karriere bestimmen das Leben von Andreas. Er rutscht in ein Burnout. Seine Ehe leidet. Dann verändert ein Schlaganfall alles.
Tinnitus, starke Rückenschmerzen, Zysten am Zahnfleisch – über fast zwei Jahre hinweg ignoriert Andreas (Name von der Redaktion geändert) all diese Signale seines Körpers, der sich nach einer dringenden Pause sehnt. Auch die Warnungen seines Doktors, dass eine Veränderung nötig sei, prallen an dem Mittfünfziger ab. Dass sich Andreas zu dieser Zeit mitten im Burnout und einer damit einhergehenden Erschöpfungsdepression befindet, wird ihm erst viel später klar.
„Was mich getriggert hat, war ein kleiner Schlaganfall“, sagt er. „Wenige Stunden danach hat ein Neurologe zu mir gesagt: ‘Wenn Sie Ihr Leben nicht verändern, dann werden Sie nicht mehr lange leben.’ Das konnte ich nicht ignorieren.“ Drei Monate wartet er auf einen Klinikplatz in einem Fachzentrum für psychosomatische Medizin, sein Hausarzt kümmert sich um alles.
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Burnout: Das sind die Symptome
Totale emotionale Erschöpfung, erhöhte Reizbarkeit und zwischenmenschliche Distanzierung, die mit einer verminderten Leistungsfähigkeit einhergehen – so wird das Burnout-Syndrom beschrieben. Das Problem: Burnout ist keine anerkannte Diagnose, sondern eine Risikosituation, aus der sich psychische oder psychosomatische Störungen entwickeln können. Solche möglichen Folgen sind Depressionen, – wie im Falle von Andreas – aber auch Angststörungen, oder auch körperliche Beschwerden können das sein.
„Burnout ist ein Zustand, dem oft eine Depression vorausgeht oder sich zu einer solchen entwickeln kann“, erklärt Robert Doerr, Chefarzt des Fachzentrums für Psychosomatische Medizin der Schön Klinik Berchtesgadener Land. Nach dem in Deutschland aktuell gängigen medizinischen Klassifikationssystem ICD-10 gelten die Burnout-Beschwerden nicht als Krankheit, sondern als Faktoren, die das Befinden beeinträchtigen können.
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Burnout: Diese Menschen sind besonders gefährdet
Versuche, das zu klassifizieren oder einer Krankheit zuzuordnen, sind bislang gescheitert. Nach Einschätzung von Doerr wird sich das in naher Zukunft auch nicht ändern. Deshalb gibt es auch keine offiziellen Zahlen dazu, wie viele Menschen betroffen sind. Der deutsche Bundesverband für Burnout-Prävention e.V. schreibt, dass Schätzungen zufolge bis zu 13 Millionen Arbeitnehmende davon betroffen sind.
„Hauptsächlich sind Menschen betroffen, die unter psychischen Belastungen einem zeitlichen Druck ausgesetzt sind“, sagt Doerr. „Oft tritt das Burnout in Zusammenhang mit Stress oder einer als ungerecht empfundenen Behandlung beziehungsweise Situation am Arbeitsplatz auf.“ Doch jeder Mensch, der dauerhaft einer hohen psychischen Belastung ausgesetzt ist und dabei seine Grenzen missachtet, könne davon betroffen sein. Das kann auch der alleinerziehende Elternteil oder der Student sein, so Doerr. Doch nicht jede Person, die gerade viel zu tun hat, leidet am Burnout-Syndrom. „Ein Burnout zeigt eine langfristigere Veränderung des Verhaltens“, erklärt der Facharzt für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde.
Wie sich das Burnout auf die Beziehung von Andreas auswirkt
Wenn der eigene Partner oder die Partnerin vom Burnout-Syndrom betroffen ist, ist das oft eine Zerreißprobe für die Beziehung. So versucht Andreas während seines Burnouts nicht nur sich selbst und sein Leben zu optimieren, sondern auch das seiner Partnerin. „Es sollte alles so funktionieren, dass es in mein Schema passt“, sagt er. „Die ganze Optimierung führte dazu, dass es keine Pausenzeiten mehr gab. Ich habe weder mir noch meiner Partnerin Auszeiten gegönnt. Sowas wie ein gemeinsamer Spaziergang, um sich mal zu erden, hat einfach nicht mehr stattgefunden.“
Andreas arbeitet zwölf Stunden am Tag. Wenn das Paar abends gemeinsam vor dem Fernseher sitzt, checkt er am Handy, was auf der Arbeit los ist. „Das hatte natürlich Einfluss auf meine Frau. Sie hatte so auch nie Ruhe“, erzählt er. „Doch vor mir selbst habe ich das verleugnet.“
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Unempathisch und distanziert: Burnout und die Folgen für eine Beziehung
Doerr erklärt: „Betroffene sind sarkastisch, nicht mehr empathisch, distanziert und sie haben den Idealismus für ihre Tätigkeit verloren.“ Kolleginnen und Partner könnten einen Burnout auch daran erkennen, dass es in Gesprächen immer wieder um dasselbe Thema gehe.
Während seines Burnouts treibt Andreas sehr viel Sport – auch um den körperlichen Symptomen wie etwa seinen Rückenschmerzen entgegenzuwirken und um Stress abzubauen. Dafür steht er nachts um drei Uhr auf und merkt nicht, was das mit der Beziehung zu seiner Frau macht. „Ich habe ihre Bedürfnisse völlig ignoriert, zum Beispiel, dass es ihr wichtig ist, gemeinsam aufzuwachen und in den Tag zu starten“, sagt er.
„Ich habe überhaupt nicht mehr nach ihren Bedürfnissen gefragt, auch ihren Wünschen und Nöten habe ich keine Beachtung mehr geschenkt“, erinnert er sich. „Wenn sie mir beispielsweise erzählt hat, dass sie Stress im Job hat, dann habe ich ihr in zwei Sätzen gesagt, was ich anders machen würde, statt ihr einfach mal eine halbe Stunde zuzuhören. Dafür hatte ich nicht die Nerven, denn meine Priorität lag beim Job und nicht bei meiner Frau.“
Burnout-Folgen: Keine Libido und wenig körperliche Nähe
Wenn Dinge nicht so klappen, wie Andreas sich das vorstellt, hat er „eine extrem kurze Zündschnur“ und flippt gegenüber seinen Mitarbeitenden, aber auch gegenüber seiner Frau aus und bevormundet sie. Körperliche Nähe existiert fast gar nicht mehr. „Es gab Situationen, in denen mich meine Frau in den Arm genommen hat und ich eine Fluchtreaktion hatte. Ich wollte weg aus dieser körperlichen Nähe“, erinnert sich Andreas. „Über die ganzen zwei Jahre hatte ich auch keine Libido mehr. Mit Mitte 50 ist das noch viel zu früh dafür. Ich habe mir Gedanken gemacht, was das mit meiner Frau macht und ob wir weiterhin eine monogame Beziehung führen können. Oder, ob der Stress zusammen mit der fehlenden Libido und der mangelnden Nähe nicht doch mal zu einem K.-o.-Kriterium wird.“
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So wie Andreas geht es vielen Burnout-Betroffenen. „Betroffene können körperliche Nähe nur schwer aushalten“, erklärt Doerr. „Sie sind innerlich unruhig und angespannt und haben keinen Kopf dafür. Wenn der Betroffene die Bedürfnisse seines Partners oder seiner Partnerin nicht wahrnimmt und nicht darauf eingeht, wirkt sich das aus.“
Doch andererseits kann man auch nur bedingt etwas tun, wenn der eigene Partner oder die Partnerin von Burnout betroffen ist. Zunächst einmal könne ein Partner oder eine Partnerin dazu motivieren, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen, rät Doerr. „Beispielsweise indem er sagt: ‚Mensch, merkst du nicht, wie wenig du auf dich achtest, wie schlecht du mit dir umgehst und deine Grenzen überschreitest?‘“. Außerdem könne man dabei unterstützen, weniger zu arbeiten und klare Grenzen im Job zu setzen.
Warum Partner vor allem auf sich selbst achten sollten
Gleichzeitig gibt der Chefarzt zu bedenken: „In jeder Unfallsituation heißt es, dass man immer zuerst auf sich selbst achten sollte. Das gilt auch für Partnerinnen von Burnout-Betroffenen.“ Partnerinnen sollten nur so weit helfen, wie sie nicht ihre eigenen Ressourcen überschreiten. „Ich glaube, dass man in gewisser Weise versuchen muss, sich ab einem gewissen Punkt abzugrenzen und zu sagen: ‚Mensch, dir geht es schlecht, für mich ist das ganz klar, du brauchst Unterstützung. Ich helfe dir dabei. Sag mir Bescheid. Ich von meiner Seite werde dich jedoch nicht mehr ständig daran erinnern beziehungsweise versuchen, etwas zu verändern‘“, so Doerr.
Andreas ist inzwischen in einer Klinik für Psychosomatische Medizin in Behandlung, kämpft für sich, seine Frau, seine Ehe. Doch trotz allem, was seine Frau und er gemeinsam durchgemacht haben: Ihre Beziehung haben die beiden niemals infrage gestellt.
„Das ist im Vergleich zu vielen anderen Burnout-Betroffenen eine außergewöhnliche Situation“, sagt Andreas. „Ich habe mich zwar von meiner Frau distanziert, es aber immer geschafft, mir noch ein großes Maß an Liebe zu bewahren.“ Seine Frau, so sagt Andreas, habe von Anfang an eine sehr hohe Eigenmotivation gehabt, das Problem zu lösen und den Weg mit ihm zu gehen. „Ich glaube, wenn der Burnout zu lange geht, dann geht jede Beziehung kaputt“, sagt Andreas.
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