Berlin. Einigen sich Israel und die pro-iranische Hisbollah im Libanon auf eine Waffenruhe? Anzeichen dafür scheinen sich zu verdichten.
Nach mehr als einem Jahr Krieg im Libanon verdichten sich die Anzeichen für einen kurz bevorstehenden Waffenstillstand zwischen Israel und der pro-iranischen Hisbollah-Miliz. Das israelische Sicherheitskabinett wird bereits am Dienstagnachmittag über ein Abkommen für eine Waffenruhe mit der pro-iranischen Hisbollah im Libanon beraten.
Das Sicherheitskabinett wolle „heute Nachmittag“ zusammentreten, um darüber zu beraten, sagte die stellvertretende israelische Außenministerin Scharren Haskel auf einer Pressekonferenz in Jerusalem. Nähere Angaben zum Inhalt des Abkommens wollte sie mit Verweis auf die „Vertraulichkeit“ und den „heiklen Charakter“ der Angelegenheit nicht machen. Allerdings sagte sie, dass es „auch eine Abstimmung“ geben könne.
Noch am Morgen hieß es: Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu werde erst am Dienstagabend das Sicherheitskabinett einberufen. Im Laufe des Vormittags wurde der Termin offenbar vorverlegt.
Die dpa erfuhr aus Regierungskreisen, die Zustimmung des Kabinetts zu der unter US-Vermittlung ausgehandelten Vereinbarung sei „wahrscheinlich“. Auch libanesische Regierungsquellen in Beirut äußerten sich optimistisch. Die Entscheidung liege bei Israel.
- Machthaber in Iran: Das sind die Mullahs – und diese Interessen verfolgen sie
- Staatenkonflikt: Erzfeinde Israel und Iran – Woher der Hass kommt
- Iran greift Israel an: Wie stark ist die iranische Armee?
- Angriff auf Israel: Das sind Irans gefährliche Waffen
- Iran-Experte: „Teheran gibt Israel für alles die Schuld“
US-Sprecher: „Wir sind noch nicht am Ziel“
In Washington sagte der Sprecher des Nationalen Sicherheitsrats, John Kirby, Israel und die vom Iran unterstützte Hisbollah seien „nahe“ an einer Einigung über eine Feuerpause. Allerdings fügte Kirby hinzu‚ dass „wir noch nicht am Ziel sind“.
Er betonte: „Nichts ist getan, bis alles getan ist, nichts ist verhandelt, bis alles verhandelt ist“. Auch sagte Kirby, es sei „verantwortungslos“, Presseberichte über den Inhalt eines Abkommens zu bestätigen. Er wolle nichts tun, „was unsere Chancen torpedieren könnte“.
Israel: Kommt jetzt eine 60-tägige Übergangsphase?
Die vorliegende Vereinbarung sehe einen 60-tägigen Umsetzungszeitraum vor, der es Israels Militär ermöglichen solle, sich zurückzuziehen, berichtete derweil das „Wall Street Journal“ unter Berufung auf libanesische Beamte.
Die libanesische Armee solle zugleich im Grenzgebiet zu Israel stationiert werden, um zu verhindern, dass Kämpfer der Hisbollah dort wieder Fuß fassen. Eine internationale Kommission solle mit der schon seit Jahren im Libanon stationierten UN-Friedenstruppe Unifil die Einhaltung der Vereinbarung überwachen, hieß es.
Kirby sagte, US-Präsident Joe Biden habe den Fortschritt der Gespräche über eine Waffenruhe sehr genau verfolgt und stehe im direkten Kontakt mit dem US-Sondergesandten Amos Hochstein, der in der vergangenen Woche in die Region gereist war.
Berichte in saudi-arabischen Medien, wonach Biden und der französische Präsident Emmanuel Macron am Dienstag ein Abkommen ankündigen wollten, bestätigte Kirby nicht. Er sagte lediglich, dass Biden und Macron in der vergangenen Woche über den Konflikt zwischen Israel und der Hisbollah gesprochen hätten.
Unterdessen erklärte die französische Präsidentschaft, die Gespräche über eine Feuerpause hätten „bedeutende Fortschritte“ gemacht. Sie rief Israel und die Hisbollah dazu auf, „so schnell wie möglich diese Gelegenheit zu nutzen“. Auch Italien, das derzeit den Vorsitz der G7-Staaten inne hat, äußerte sich „optimistisch“.
Zuletzt war der Druck aus der EU und den USA gewachsen, eine Waffenruhe zu erreichen. Die diplomatischen Bemühungen wurden verstärkt, Hochstein sprach während seiner Nahostreise von „weiteren Fortschritten“. Israelische Medien berichteten, dass Regierungschef Benjamin Netanjahu einem US-Vorschlag zu einer Waffenruhe wahrscheinlich grünes Licht geben würde.
Scharfe Kritik an einer möglichen Waffenruhe kam vom israelischen Sicherheitsminister Itamar Ben Gvir. Dieser erklärte im Onlinedienst X, eine Feuerpause im Libanon sei „eine verpasste historische Gelegenheit, die Hisbollah zu vernichten“.
Noch gehen die Angriffe weiter
Vorerst setzten Israel und die Hisbollah ihre gegenseitigen Angriffe jedoch fort. Die israelische Luftwaffe ging erneut in den Vororten der libanesischen Hauptstadt Beirut vor. Auf Videos in sozialen Medien war zu sehen, wie ganze Gebäude infolge der Lufteinschläge zusammenbrachen. Augenzeugen berichteten, dass die Explosionen in ganz Beirut zu hören waren. Zuvor hatte ein Armeesprecher mehrere Evakuierungsaufrufe an die Bewohner gerichtet. Auch in anderen Teilen des Landes griff die israelische Armee weiter an.
Attacken auf Kommandozentralen sollen vor allem die Fähigkeiten der Hisbollah schwächen, sich von den schweren Schlägen der vergangenen Monate zu erholen, sich erneut zu bewaffnen und neu zu organisieren, hieß es. Die Miliz schoss dennoch erneut Raketen auf Israel ab. Im Norden Israels wurden die Sicherheitsvorschriften verschärft, in einigen Gebieten sollen die Schulen heute geschlossen bleiben, weil verstärkter Raketenbeschuss befürchtet wurde. In der Nacht heulten im Norden des Landes erneut die Warnsirenen.
Mehr von Israel-Korrespondentin Maria Sterkl
- Terror in Tel Aviv: „Ein Wunder, dass das Baby den Kugelhagel überlebt hat“
- Stärkste Angriffe seit Kriegsbeginn: Hisbollah beschießt Israel
- Regierungskrise: Gantz‘ Rückzug könnte langfristige Folgen für Israel haben
- Nach acht Monaten: Geisel Noa Argamani befreit – Das war ihr erster Wunsch
- Umstrittene Offensive: Israelische Panzer in Rafah: „Wir gehen sehr präzise vor“
- Tod Raisis: Iran-Experte: „Teheran gibt Israel für alles die Schuld“