Jerusalem. Weitere vier israelische Gefangene sollen dem Roten Kreuz übergeben werden. Die islamistische Terrorgruppe überlässt nichts dem Zufall.
Das grelle Pink leuchtet inmitten der dichten Menge Tarnfarben-Uniformen und den schwarz vermummten Gesichtern. Doron Steinbrecher hebt sich in der Kleidung, die ihre Geiselnehmer ihr für diesen Tag verpasst haben, weithin sichtbar ab. Der einzige farbliche Kontrapunkt zur pinken Kleidung der Geisel sind die grünen Stirnbänder der Hamas. Erstklassige Propagandabilder wie aus dem Lehrbuch waren es, die auf der ganzen Welt gezeigt wurden, als die ersten drei Geiseln am vergangenen Sonntag aus Gaza befreit und an Israel übergeben wurden: Doron Steinbrecher, Romy Gonen und Emily Damari.
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Israelische Expertin: „Wir wissen, dass die Hamas die Geiseln für diesen Tag präpariert“
Wenn am Samstag die zweite Übergabe von Geiseln stattfinden wird, muss man auf ähnliche Szenen gefasst sein. „Wir wissen mit Sicherheit, dass die Hamas die Geiseln für diesen Tag präpariert“, sagt Neuropsychologin Einat Yehene, die Leiterin der Rehabilitation im Forum der israelischen Geisel-Angehörigen. „Die Hamas gibt sich große Mühe, um die Geiseln möglichst gut aussehen zu lassen“: Einige Tage vor der Freilassung werden sie in Wohnungen gebracht, mit anderen Geiseln vereinigt und mit Vitaminen, Essen, oft auch leistungssteigernden Drogen versorgt. So soll über die monatelange psychische und physische Folter hinweggetäuscht werden.
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Zudem nutzt die Hamas den Moment als Machtdemonstration. Die mutmaßlich relativ überschaubare Gruppe an Kämpfern, die sich bei der Übergabe der Geiseln ans Rote Kreuz versammelt hatte, wurde daher so fotografiert, dass sie platzfüllend aussah. Die Übergabe selbst wurde als offizieller Behördenakt inszeniert: Eine „Übergabebescheinigung“ mit den Namen der drei Geiseln wurde den Vertretern des Roten Kreuzes zur Unterschrift überreicht – als handle es sich bei den drei Frauen um Frachtgut. Den Geiseln wiederum wurden Goodie-Bags aufgenötigt, die Propagandamaterial der Hamas enthalten haben sollen.
Der Übergabetag wird für die Geiseln und ihre Angehörigen somit selbst zum traumatisierenden Ereignis. Nicht zuletzt, weil der Moment, bis die Geiseln israelischen Boden betreten haben, enorm riskant ist: „Alles kann passieren“, sagt Yehene. Immer muss man damit rechnen, dass in der Menschenmenge in Gaza jemand auf die Geiseln schießt.
Kritik gibt es aber auch am Umgang der israelischen Medien mit der Rückkehr der ersten drei Geiseln. Videoaufnahmen der intimsten Augenblicke, etwa von den ersten Begegnungen der Geiseln mit ihren Müttern, wurden im Fernsehen in Dauerschleife gezeigt, obwohl es sich „um einen höchst sensiblen und verletzlichen Moment“ handelt, wie Yehene sagt.
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Die Frage, wie privat oder öffentlich diese Szenen sind, sei aber komplex, zumal die Geiseln zu öffentlichen Bekanntheiten geworden sind. „Die Menschen in Israel fiebern mit, fühlen sich ihnen verbunden, und das wissen auch die Familien der Geiseln.“ Daher neigen sie dazu, den intimen Moment des Wiedersehens mit ihren Töchtern zu teilen.
Immerhin habe man nach dem ersten Geisel-Deal im November 2023 eines gelernt: Damals wurde die Ankunft noch live übertragen. „Die Geiseln und ihre Familien hatten keine Möglichkeit, selbst zu bestimmen, was von ihnen gezeigt wird.“ Diesmal wurde von Armeevertretern gefilmt, dann das Einverständnis der Familien eingeholt – und erst dann wurden die Videos mit der Öffentlichkeit geteilt.
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