Berlin. Der Iran hat Israel unter Raketenbeschuss genommen. Was das Mullahregime erreichen will – und warum ein Krieg noch vermieden werden kann.

Es ist zwanzig Minuten vor acht Uhr Ortszeit am Dienstagabend, als überall in Israel die Sirenen aufheulen. Der Heimatschutz versendet Nachrichten, in denen die kürzesten Wege zum nächsten Schutzraum beschrieben werden. Die Streitkräfte fordern die Menschen dringend auf, sich in Sicherheit zu bringen. Israel wird erneut angegriffen.

Der Iran hat rund 180 ballistische Raketen auf das Land abgefeuert, es ist die Vergeltung für die gezielte Eliminierung der Hisbollah-Führung in den Tagen zuvor. Einige Stunden zuvor haben die USA vor einem bevorstehenden Angriff gewarnt. Kurze Zeit nach dem Beginn des landesweiten Alarms sind Explosionen zu hören, der dunkle Abendhimmel leuchtet auf. Es ist die Arbeit der israelischen Raketenabwehr.

Wie ist der iranische Angriff abgelaufen?

Anders als im April, als die iranischen Revolutionsgarden mehr als 300 Geschosse auf Israel abfeuerten, gab es bei dem Angriff am Dienstagabend nur eine kurze Vorwarnzeit. Im April hatte Teheran die bevorstehende Attacke über diplomatische Kanäle angekündigt. In einer ersten Welle hatten die Iraner damals vergleichsweise langsam fliegende Kamikaze-Drohnen auf den Weg nach Israel geschickt, erst danach feuerten sie ballistische Raketen und Marschflugkörper ab.

Man habe auf „wichtige militärische Ziele“ in Israel gezielt, so die Revolutionsgarden. Die im Mittelmeer stationierte US-amerikanische Flotte soll die israelische Luftabwehr bei der Bekämpfung der anfliegenden Raketen unterstützt haben.

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Welche Auswirkungen hatte der Angriff?

Der israelische Luftraum wurde nach dem Beginn der Attacke kurzfristig gesperrt. Hunderttausende Israelis mussten Schutz in Bunkern suchen. Kurz nach dem Ende des Raketenangriffs berichtete die „Times of Israel“ von lediglich zwei Leichtverwundeten in der Küstenmetropole Tel Aviv, die von Schrapnellen verletzt worden seien.

Im Westjordanland soll nach Angaben der Zeitung ein Palästinenser durch Schrapnelle getötet worden sein. Die meisten der etwa 180 Raketen konnten nach Angaben der israelischen Streitkräfte abgefangen werden. Einige Raketen sollen aber nach israelischen Medienberichten eingeschlagen sein, etwa in Gedera in Zentralisrael, wo eine Schule getroffen wurde. Über Treffer von militärischer Infrastruktur ist – Stand Dienstagnacht – nichts bekannt. 

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Warum haben die Iraner angegriffen?

Die Revolutionsgarden erklärten, der Angriff sei die Antwort auf den Tod von Hisbollah-Führer Hassan Nasrallah und des iranischen Generals Abbas Nilforoushan. Die beiden waren zusammen mit weiteren hochrangigen Hisbollah-Funktionären am Freitagabend bei einem israelischen Luftangriff in Beirut ums Leben gekommen. Zudem sei der Angriff auch Vergeltung für die Eliminierung des Hamas-Führers Ismail Hanyyia, der am 31. Juli in der iranischen Hauptstadt Teheran getötet worden war.

Die gezielte Tötung der Führer der wichtigsten iranischen Verbündeten in der israelfeindlichen „Achse des Widerstands“ war eine Demütigung für das Mullahregime. Die Operation soll durch den Nationalen Sicherheitsrat Irans genehmigt worden, der nach der Eliminierung Nasrallahs getagt hatte.

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Droht jetzt ein großer Krieg mit dem Iran?

Teheran hat kein Interesse an einem großen Waffengang mit Israel. Die US-Amerikaner haben deutlich zu verstehen gegeben, dass sie in einem solchen Fall an der Seite Israels stehen würden. Zudem kämpft das Mullah-Regime mit großen innenpolitischen Problemen. Ein großer Krieg könnte das Ende des Regimes einläuten. Auch Israel kann derzeit kein Interesse an einer kompletten Eskalation haben, dazu ist das Militär derzeit an zu vielen Fronten gebunden. Die Hamas ist im Gazastreifen noch nicht vollständig besiegt, die Bodenoperationen gegen die Hisbollah im Südlibanon haben erst gerade begonnen.

Seit dem Terrorüberfall der Hamas am 7. Oktober waren sowohl Israel wie auch Iran bemüht, keine roten Linien zu überschreiten und einen großen Krieg zu vermeiden. Auch die iranischen Raketenangriffe am Dienstagabend, obwohl sie massiv waren und die Vorwarnzeit erheblich kürzer als im April, können noch als Warnung verstanden werden. Da sie vergleichsweise wenig Opfer gefordert haben, ist Israel nicht gezwungen, direkt und hart zu reagieren.

Nach dem Raketenangriff kündigte Daniel Hagari, Sprecher der israelischen Streitkräfte, am Dienstagabend aber Konsequenzen an. „Wir haben Pläne, und wir werden zu der Zeit und an dem Ort handeln, den wir aussuchen.“ Die iranischen Revolutionsgarden warnten ihrerseits vor einer militärischen Antwort Israels, die schwere Folgen haben werde. Der greise Revolutionsführer Khamenei drohte „stärkere und schmerzhaftere Schläge der Aufstandsfront“ an. Ob es gelingt, die Eskalationsspirale zu stoppen, werden die kommenden Tage zeigen.

Mehr von Israel-Korrespondentin Maria Sterkl