Berlin/Düsseldorf. Wer hofft, dass die Wälder im Land den Klimawandel bremsen, muss umdenken: Schäden sind so groß, dass die CO2-Bilanz mittlerweile negativ ausfällt.
Der Klimawandel und seine Folgen wie Stürme, Dürren und Schädlingsbefall setzen den Wäldern in Deutschland so zu, dass der Wald inzwischen mehr Kohlenstoff abgibt, als er aufnehmen kann.
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Der Wald sei seit 2017 zu einer „Kohlenstoffquelle“ geworden, sagte Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) in Berlin bei der Vorstellung der neuen Bundeswaldinventur. Die Auswirkungen der Klimakrise machten sich ganz real bemerkbar.
„Die Folge davon: Der deutsche Wald hilft uns nicht mehr in dem Maße, wie wir es bis dann gewöhnt waren bei der Erreichung unserer Klimaziele“, sagte Özdemir. Es brauche Geduld und Ausdauer, um dies über einen Umbau der Wälder wieder umzukehren. An der Notwendigkeit könne kein Zweifel bestehen, so der Bundeslandwirtschaftsminister.
Jüngere Wälder sind naturnäher
Laut Özdemir gibt es allerdings auch gute Nachrichten: Im Vergleich zur vergangenen Waldinventur aus dem Jahr 2012 hat die Waldfläche geringfügig um 15.000 Hektar zugenommen. Der Wald in Deutschland hat einen Holzvorrat von 3,7 Milliarden Kubikmeter, der damit auf zehn Jahre gesehen weitgehend unverändert blieb. Während der Fichtenbestand drastisch zurückging, hat der Anteil der klimaresistenteren Laubbäume um sieben auf nunmehr 48 Prozent zugenommen.
„Viele mittelalte Bestände, in der Regel besonders produktiv, sind abgestorben. Die Trockenheit hat die Bäume geschwächt. In der Folge hat der Zuwachs abgenommen“, so Özdemir im Vorwort zum Waldschadensbericht.
Die gute Nachricht für NRW: Es gibt acht Prozent mehr Laubwald in als vor zehn Jahren. Wegen des Verlusts insbesondere bei der Fichte ist der Wald im Vergleich zu 2012 jünger geworden. Gerade mittelalte Waldbestände sind durch Stürme, Dürre und Borkenkäfer weggefallen. Im Zuge der Wiederbewaldungen haben die Flächen der jüngsten Baumgeneration bis 20 Jahre zugenommen
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Bereits vor Veröffentlichung der Inventurergebnisse hatte im WDR der bekannte Förster und Bestsellerautor Peter Wohlleben mehr Rücksicht auf den Zustand des Waldes gefordert. Die Forstwirtschaft und die zuständigen Behörden seien vor allem an der Nutzung des Holzes und dem Verkauf des Rohstoffes interessiert. „Das ist so, als wenn man einem Schwerkranken noch einen kräftigen Aderlass verschreibt“, so Wohlleben.
Wohlleben erinnerte daran, dass die Bundesregierung sich zum Schutz alter Laubwälder bekannt habe. Gerade dort finde jedoch „eine erhebliche Abnahme in den Biomasse-Vorräten“ statt. Die Forstwirtschaft bediene sich weiterhin „ungeniert an halbwegs intakten Wäldern“.
Der Forstexperte kritisierte unter anderem, dass in Deutschland derzeit etwa die Hälfte des geschlagenen Holzes verheizt werde. Auch die Holzverarbeitung zu Postwurfsendungen, die von den Adressaten oft ungelesen in den Papiermüll wanderten, sollte unterbleiben. Immerhin würden allein dafür pro Jahr zehn Millionen jüngere Bäume entnommen.
NRW-Landwirtschaftsministerin Silke Gorißen (CDU) betont hingegen: „Die Waldbewirtschaftung muss sich an die sich ändernden klimatischen Bedingungen anpassen, um die Gesundheit und Resilienz der Wälder zu erhalten. Dazu gehört die Auswahl geeigneter Baumarten, die besser an Hitze, Trockenheit oder erhöhte Schädlingsaktivität angepasst sind.“ Wohlleben indes plädiert eher dafür, die Natur selbst die richtigen Wege finden zu lassen.
Ähnlich äußerte sich der agrarpolitische Sprecher der Grünen/EFA-Fraktion im Europäischen Parlament, Martin Häusling (Grüne). Es sei „Zeit, sich von der Illusion zu verabschieden, dass der deutsche Wald als Kohlenstoffsenke es schon richten wird mit dem Klimaschutz – der Wald emittiert nun selbst Treibhausgase“, erklärte er.
Greenpeace: Forstwirtschaft schwächt Wälder
Greenpeace wertet den Inventurbericht als Indiz dafür, dass das „Waldsterben ungebremst“ voranschreitet. Grund dafür sei die „intensive Forstwirtschaft“, erklärte die Umweltorganisation. „Sie hat unsere Wälder dermaßen geschwächt, dass diese der Klimakrise und allen damit verbundenen Herausforderungen wie Dürren, Feuer und Käferbefall schutzlos ausgeliefert sind“, kritisierte Dorothea Epperlein von Greenpeace.
Die Forstwirtschaft müsse sich in Zukunft noch stärker auf den Schutz und die Schonung des Waldes konzentrieren. Derzeit laufen im Kreis Kleve hart umkämpfte Debatten, ob der dortige Reichswald ein zweiter Nationalpark werden soll.
520.000 Bäume an 80.000 Standorten untersucht
Die Bundeswaldinventur ist gewissermaßen die große Schwester des jährlichen Waldzustandsberichtes und findet alle zehn Jahre statt. Die vierte Waldinventur fußt auf Daten aus dem Jahr 2022. Das Bundeslandwirtschaftsministerium bezeichnet sie als umfangreichste Erhebung zum Zustand der Wälder in Deutschland und hat das Thünen-Institut für Waldökosysteme mit der Leitung der Untersuchung beauftragt. Für den Bericht wurden mehr als 520.000 Bäume an 80.000 Stichprobenpunkten im Bundesgebiet begutachtet.
Im November bereits will NRW den Waldzustandsbericht 2024 vorlegen, der auf den in diesem Sommer ermittelten Daten beruht. Diese fließen in den nächsten Bundesbericht ein, der meist im Mai des Folgejahres veröffentlicht wird. Wald bedeckt rund ein Drittel der gesamten Fläche Deutschlands.
Rund die Hälfte davon befindet sich in Privatbesitz, 29 Prozent gehören den Ländern, drei Prozent dem Bund, 20 Prozent Körperschaften wie Gemeinden, Städte, Kirchen, Genossenschaften oder Umweltverbänden. So hat der Bund 14 Prozent seines Waldbesitzes an Träger wie die DBU Naturerbe und weitere Naturschutzstiftungen abgegeben.
In NRW beträgt der Anteil des Waldes mit 3,4 Mio. Hektar rund 28 Prozent der Landesfläche. Waldreichstes Land ist Rheinland-Pfalz (43% der Landesfläche sind Wald). Die größten Waldgebiete in NRW befinden sich vor allem im Sieger- und Sauerland. Diese haben in den letzten Jahren schwer gelitten: nach den Stürmen kam die Dürre und der Borkenkäferbefall, der vor allem die Fichtenbestände dramatisch reduziert hat.
Insgesamt jedoch ist der deutsche Wald seit der letzten Inventur deutlich gealtert: Die Bäume sind im Mittel 82 Jahre alt, fünf Jahre älter als noch 2012. Drei von zehn Bäumen sind älter als ein Jahrhundert, jeder fünfte Baum älter als 120 Jahre.
NRW-Wald zu fast zwei Dritteln in Privatbesitz
Insgesamt verteilt sich der Privatwald in Deutschland auf mehr als 1,8 Millionen Besitzer. In NRW sind fast zwei Drittel der Waldfläche sind in privater Hand, vor allem des Adels. Wohl auch ein Grund, warum Ministerin Gorißen versöhnliche Töne gegenüber den Waldbesitzern anschlägt. „Die nachhaltige Bewirtschaftung der Wälder in NRW spielt eine wichtige Rolle für den Klimaschutz“.
Das ist fast wortgleich mit der Stellungnahme des Verbandes der Waldeigentümer (AGDW), der fordert, „dass Deutschlands Wälder auch im Zeichen der Klimakrise nachhaltig bewirtschaftet werden“. Ausdruck sei die gezielte Entwicklung von Mischwäldern. In den vom Borkenkäfer betroffenen Regionen sei die „Wiederbewaldung“ in „vollem Gange“.
Naturnahe Wälder sind vor allem die jüngeren Wälder, hier sei jeder zweite Jungwald sehr naturnah oder naturnah, heißt es im Waldinventurbericht. Im Wald liegt wegen des starken Windbruchs, der Trockenheit und des Borkenkäferbefalls rund ein Drittel mehr Totholz als noch 2012.