Duisburg. Auf den Spuren eines Duisburger Phänomens: Vor 40 Jahren startete der Duisburger „Tatort“ mit Götz George als Kommissar Schimanski.
Plötzlich stockt der Verkehr auf der Friedrich-Ebert-Straße, und alle staunen in ihren Autos hier zwischen Beeck und Laar, mitten im Duisburger Norden, an der Endstation der Straßenbahnlinie 4. „Das ist er doch oder?“ Wir schreiben die 1980er-Jahre und an der Ecke steht – er ist es, aber sicher - Schimanski. Allein die unverkennbare Jacke. Und er ist im Einsatz, Dreharbeiten für den „Tatort“, die im Laufe der Jahre für die Duisburger immer alltäglicher werden sollten. Denn nach und nach sollte der Fernseh-Kommissar zu Duisburg gehören wie der Rhein, der Hafen, der Zoo oder der MSV, in dessen Stadion er einmal sogar ziemlich nackt aufwachte. 1981 spielte Götz George erstmals den legendären „Tatort“-Kommissar mit Kultstatus, der aber keineswegs von allen mit offenen Armen empfangen wurde.
Das Phänomen Schimanski begann in einer schmuddeligen Küche in Duisburg-Ruhrort. Während bis dahin vornehme TV-Kriminalbeamte wie Derrick in vornehmen Villenvierteln ihre Täter ermittelten und abends immer noch blütenweiße Hemden trugen, räumte Schimanski gleich in seiner allerersten Szene sämtliche Krimi-Klischees vom Tisch. An jenem Sonntagabend vor 40 Jahren schwenkte die Kamera langsam, ganz langsam durch die unaufgeräumte halbdunkle Küche. Und mittendrin ein verkaterter schlaftrunkener Typ, der sich rohe Eier ins Glas schlägt, die Wohnung bald verlässt und dann erst einmal ein Bier in der Kneipe an der Ecke trinken geht.
Bis 1991 liefen 29 Duisburger Tatort-Folgen mit Schimanski
Vor 40 Jahren lief der erste Schimanski-Tatort im Fernsehen
Die Figur Schimanski zeigte sich von Anfang als rau und ruppig, ungeschliffen und schlagfertig – mit Worten wie mit Fäusten. Ein Macho durch und durch, bei dem mitunter sogar der Gebrauch des Wortes „Scheiße“ mitgezählt wurde, aber eben auch einer, der das Herz am rechten Fleck trägt und deutlich sagt, wenn er die Schnauze voll hat. Manch ein Duisburger – in der Politik wie auf der Straße - sah den Ruf der Stadt in großer Gefahr, der damalige NRZ-Rezensent forderte verdrossen den Rauswurf des „Prügel-Kommissars“, doch die Zahl derer, die in Schimanski den unkonventionellen Kommissar von nebenan sahen, mit dem man gerne mal ein Bier trinken würde, wuchs beständig.
Für viele wurde er zum „Tatort“-Kommissar schlechthin. Bis 1991 liefen 29 Duisburger „Tatort“-Folgen inklusiver zweier Kinofilme mit Götz George als Horst Schimanski und Eberhard Feik in der Rolle seines Kollegen Christian Thanner, Anzugträger, immer korrekt, ein Beamter durch und durch, der starke Gegenpol zur Hauptfigur. Sie wurden für viele ein unschlagbares Team, dessen Arbeit natürlich nie etwas mit dem realen Polizei-Alltag zu tun hatte und immer nur so gut wie die Drehbücher sein konnte.
Für viele war Götz George stets nur Schimanski
Als der Duisburger „Tatort“ eingestellt wurde, hatten sich viele Wogen geglättet. „Lieber Horst, Du warst unser Kommissar, der in Duisburg malochte“, schrieb der damalige Duisburger Oberbürgermeister Josef Krings einen vom WDR veröffentlichten „Abschiedsbrief“ an Schimanski. Bei Götz George bedankte er sich für seinen Einsatz für die Hüttenarbeiter von Krupp beim Arbeitskampf in Rheinhausen und auch für die Spenden, die der Schauspieler in einem Kino bei einer kostenpflichtigen Autogrammstunde gesammelt hatte. Krings wusste: „Die größte kam von Ihnen, ohne dass Sie ein Wort verloren.“
Schimanski hat er im Brief geduzt, George gesiezt. Das war der feine, aber auch entscheidende Unterschied, den viele Fans nicht akzeptieren wollten. Für den großen und leidenschaftlichen Darsteller Götz George, der in Filmen wie „Totmacher“ und „Schtonk!“ brillierte und im Berliner Hebbel-Theater als Elfjähriger sein Bühnendebüt gab, war es nicht immer einfach, bei Dreharbeiten auf der Straße von Passanten mit einem kräftigen „Hey Schimmi!“ begrüßt zu werden. „Die Schizophrenie war von Anfang an da, aber nicht bei mir, sondern beim Publikum“, hat er selbst gesagt. „Ich weiß schon noch, wer ich bin.“
1997 begann eine neue, ganz auf den Kommissar zugeschnittene Serie
Und doch wollten die Plakate für „Zahn um Zahn“, den ersten und besonders actiongeladenen Kino-„Tatort“ aus Duisburg den Zuschauern 1985 weismachen: „Götz George ist Schimanski.“ 26 Rocker fuhren George und Feik zum „Residenz“-Premierenkino in der Duisburger City. Applaudierende Fans warteten schon. „Er war einfach reif fürs Kino“, befand Regisseur Hajo Gies, einer der Erfinder der Figur Schimanski. Die Idee zum Kommissar mit Macken, Frust und Ecken war bei Gesprächen in einer Kneipe gereift, was ja nahe liegt. Allerdings in München…
Die Jahre ohne Schimanski endeten 1997, als der WDR eine neue, ganz auf den Duisburger Kommissar zugeschnittene Serie startete, in der er sich zunächst nach seiner Suspendierung vom Dienst nach Belgien zurückgezogen hat, wo er sich als Boxtrainer durchschlägt. Dann erfährt er, dass im Ruhrgebiet ein mörderischer Mafia-Krieg tobt, dem sein Freund und Kollege Thanner zum Opfer gefallen ist. 17 Mal sollte Götz George bis 2013 in der neuen Schimanski-Solorolle zu sehen sein, wobei einige Episoden kammerspielartig auch den ruhigen Herrn Schimanski zeigten, der drehbuch- und altersgemäß in die Kneipe geht – und dann kein Bier bestellt. Sondern Kaffee und Waffeln.
Schimanski polarisierte auch
Doch wieder gelang es Schimanski zu polarisieren, erneut entstanden Debatten in Duisburg – 1998 nach der Folge „Rattennest“, deren Titel schon viel aussagt, oder 2008, als die Episode „Schicht im Schacht“ den Ex-Kommissar nach Duisburg-Rheinhausen führte. Die heftige Kritik entzündete sich da an der dunklen und tristen Negativ-Zeichnung des Stadtteils, der sich doch längst ganz anders entwickelt habe. Es seien die alten Klischees ausgegraben worden, so der Vorwurf.
Eine Diskussion, die immer wieder geführt werden konnte. Schon 1981 in der allersten „Tatort“-Folge wurde die marode Kupferhüttensiedlung gezeigt und nicht etwa die hübsche Sechs-Seen-Platte. Erinnerungen allüberall. Dass sie bewahrt werden, dafür sorgt in Duisburg Dagmar Dahmen, eine freie Journalistin aus Düsseldorf, die sechs Jahre lang Pressesprecherin des MSV war. Mit ihrer Firma „DU Tours“ veranstaltet sie seit 2012 Schimmi-Touren durch Ruhrort und zeigt, wo Schimanski gewohnt hat, in welcher Kneipe er sein Bier getrunken und in welcher Pommesbude er seine geliebte Currywurst gegessen hat.
Heute hat Duisburg sogar eine Horst-Schimanski-Gasse
Und natürlich geht es auch zur seit 2014 so benannten Horst-Schimanski-Gasse, für die sie sich lange stark gemacht. „Wir hatten bisher rund 12.000 Teilnehmer bei den Touren“, sagt Dagmar Dahmen, „die Hälfte davon aus Duisburg.“ Ansonsten kamen die Interessenten aus dem Ruhrgebiet, vom Niederrhein, aus Städten wie München, Wien und Hamburg, aber auch aus der Schweiz, Österreich und den Niederlanden.
Und so bleibt Schimanski unvergessen - ebenso wie Thanner, aber es war natürlich Eberhard Feik, den man damals zu „Tatort“-Zeiten in Drehpausen auch schon mal auf seinem Rennrad durch die Stadt flitzen sah. Auf der Mülheimer Straße Richtung Zoo. Allerdings auf der falschen Straßenseite. Das wiederum hätte man eher von Schimanski erwartet…