Hünxe. Wilhelm Brücker durfte am autofreien Sonntag am 25. November 1973 trotz Verbots seinen Wagen nutzen. Der Hünxer arbeitete bei der Zeitung.
„Es war ein bisschen Feiertagsstimmung auf den Straßen, die Menschen waren gut drauf und haben diese Anordnung durchaus unterstützt“, erinnert sich Wilhelm Brücker an den 25. November 1973, den ersten autofreien Sonntag auf Deutschlands Straßen. Als einer von wenigen durfte der damals 24-jährige Hünxer mit einer Ausnahmegenehmigung seinen Wagen nutzen – er war freier Mitarbeiter der NRZ-Lokalredaktion Wesel und berichtete über Sportveranstaltungen. Einige davon waren nicht verlegt worden, so dass Brücker sich auf dem Weg nach Bocholt zu einem Fußballspiel befand. „Da war ich schon ein Exot und wurde angestarrt“, erzählt er.
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Überhaupt sei es oft nur im Schritttempo voran gegangen. Scharenweisen zog es die Menschen an diesem Tag mitten auf die Fahrbahn, Spaziergänger mit Kinderwagen, Radfahrer, Kutschen, ganze Freundeskreise waren unterwegs.
„Das waren Familienausflüge, die Leute fanden das total spannend, mal auf den Autobahnen und Bundesstraßen spazieren zu können“, erzählt Brücker. „Und das Radwegenetz war ja damals bei weitem nicht so gut ausgebaut wie heute, so dass das für die Radler an diesem autofreien Tag ausnahmsweise auch freie Fahrt bedeutete.“
Vier Mal in der Polizeikontrolle
Drei Mal sei er auf der etwa 30 Kilometer langen Strecke von der Polizei kontrolliert worden. „Das erste Mal direkt am Stadtrand von Wesel, dann in Hamminkeln und schließlich noch einmal in Bocholt“, so Brücker, der zwischen 1970 und 1975 freier Mitarbeiter bei der NRZ war. Auf dem Rückweg geriet er nur einmal in eine Kontrolle. Da er seine Ausnahmegenehmigung vorweisen konnte, sei alles glatt gegangen. Zwischen Schermbeck und Wesel begegnete ihm sogar ein ganzer Kegelclub, der auf einem zehnsitzigen Rad unterwegs war.
„Die Stimmung war wirklich gut, das Wetter super, die Menschen haben das Beste draus gemacht, das war mein Eindruck an diesem Tag.“ Und das obwohl der autofreie Sonntag schwerwiegende Gründe hatte. Die Bundesregierung unter SPD-Kanzler Willy Brandt hatte ihn wegen der Ölkrise angeordnet, als Reaktion auf die stark gestiegenen Preise für Treibstoff und Heizöl wurde an vier Sonntagen ein generelles Fahrverbot verhängt. An den anderen Tagen galt ein vorübergehendes Tempolimit von 100 Stundenkilometern auf Autobahnen und 80 auf Landstraßen.
Wirtschaftskrise folgte aus der Ölkrise
Auslöser der Ölkrise war der israelisch-arabische Jom-Kippur-Krieg. Die arabischen Öl-Förderländer setzten ihre Ressource in dem Konflikt erstmals als politisches Druckmittel ein: Die künstliche Verknappung des Angebots sollte solange aufrechterhalten werden, bis Israel die besetzten Gebiete in Ägypten und Jordanien wieder räumt. Die Ölkrise versetzte der florierenden deutschen Nachkriegswirtschaft einen erheblichen Dämpfer - bis dato waren die Importe günstig und das Öl vermeintlich unbegrenzt geflossen. Nun waren die Auswirkungen der Ölkrise trotz der Maßnahmen der Bundesregierung in der Wirtschaft bald zu spüren: Mussten für ein Barrel (159 Liter) Rohöl 1973 noch drei Dollar bezahlt werden, stieg der Preis im folgenden Jahr auf bis zu zwölf Dollar.
Die Bundesrepublik gab 1974 insgesamt knapp 23 Milliarden DM für Erdöl aus - fast 153 Prozent mehr als 1973. Die Industrieproduktion sank um 7,6 Prozent. Das Bruttosozialprodukt, das 1973 noch um 5,3 Prozent gestiegen war, stagnierte 1974 und fiel 1975 sogar um 1,8 Prozent. Die Arbeitslosigkeit stieg von 273.000 im Jahr 1973 in den kommenden zwei Jahren auf mehr als eine Millionen Menschen.
Keine größeren Proteste am Niederrhein
Im Dezember 1974 lockerte die OPEC zwar ihre Abgabebeschränkungen. Allerdings blieb Rohöl weiterhin teuer. Als Reaktion wurde noch im selben Jahr die Internationale Energieagentur (IEA) als Interessenvertretung von 16 Industrienationen gegründet - mit dem Ziel, künftigen Engpässen bei der Versorgung mit Mineralöl besser begegnen zu können. Gleichzeitig investierten die großen Ölgesellschaften in die Erschließung neuer Ölquellen außerhalb der OPEC, zum Beispiel in der Nordsee.
Den Menschen am Niederrhein war die ernste Lage bewusst. „Ich glaube, hier gab es keine großen Proteste gegen die autofreien Sonntage“, erzählt Brücker, zumal es damals ohnehin lange nicht so viele Autos wie heute gegeben habe. Rund 13 Millionen Fahrzeuge waren vom Fahrverbot betroffen „Die Ausnahmegenehmigungen wurden nur sehr dosiert ausgegeben, für Polizei, Rettungskräfte, Journalisten, Industrie- und Handelskammer und einige andere Berufsgruppen“, so der 71-Jährige. „Ich habe wirklich kaum einen Wagen an diesem Tag gesehen, daran erinnere ich mich sehr genau.“ Nur wie das Fußballspiel ausgegangen ist, das er damals besuchte, weiß der Hünxer nicht mehr.