Venlo. Es gibt schönere Orte, trotzdem fahren Deutsche zum Shoppen ausgerechnet nach Venlo. Warum nur? Spurensuche in einer Stadt im Wandel.

Nicht alle kommen wegen des Kaffees rüber. Hinter der Grenze, am Ende der A40 Richtung Bahnhof und dann noch durch einen Kreisverkehr, liegt eines der letzten kleinen Paradiese für Kiffer. Das „Nobodys Place“ in Venlo ist ein Coffeeshop. Das Fachgeschäft für weiche Drogen sieht von innen aus wie eine Kneipe, nur ohne Alkohol. Die Gäste sitzen an Holztischen und rauchen Joints. An einer Bar gibt es Heißgetränke und Cola, an einer weiteren Theke wird das Gras verkauft. Fünf Gramm kosten um die 50 Euro. Vor der Tür stehen Autos Stoßstange an Stoßstange am Straßenrand. Viele Kennzeichen aus der Rhein-Ruhr-Region.

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An Allerheiligen war wieder eine Menge los. Lauter feiertagsentspannte NRWler mit lockeren Geldbörsen unterwegs in die gerade-so-Großstadt, denn dort konnte gekauft werden. Kaffee im Supermarkt, Klamotten in der Boutique – und Cannabis im Coffeeshop. Davon gibt es in Venlo nur noch wenige. Die frühere Drogenstadt hat sich gewandelt.

Andere Holland-Städte sind schöner, aber Venlo zieht die Massen an

Venlo und die Deutschen: Es ist keine Liebe, sondern eine Zweckbeziehung. Andere Grenzgemeinden mögen mehr Atmosphäre bieten, aber die 100.000-Einwohner-Stadt steht sinnbildlich für das Phänomen „Ausflugstourismus“. „Auch wenn inzwischen nicht mehr alles billiger ist – die Stadt ist von NRW aus schnell erreichbar und ein Ausflug nach Venlo ist für viele Besucher wie Urlaub, denn hier ist man im Ausland und bekommt das ,Holland-Feeling’“, weiß Kristina Peeters-Krüger, Venlo-Expertin und Marketingfachfrau.

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Die von ihr diagnostizierte Leidenschaft für die Nachbarn bricht sich an Feier- und Samstagen Bahn. Völkerwanderung in die inoffizielle Einkaufshauptstadt des Niederrheins. Es kommen so viele Tagestouris, dass Bewohner genervt die Augen rollen, wenn sie auf berstende Shoppingstraßen angesprochen werden. „De Duitsers“ lassen Scheine in Geschäften und wollen Münzgeld fürs Parkhaus sparen, weshalb sie innenstadtnahe Wohngebiete zuparken. Die Stadtverwaltung hat das Bürgerproblem erkannt und verschärft die Regeln. Sie gelten ab Januar 2025: Parken am Straßenrand ist künftig wochentags bis 22 Uhr gebührenpflichtig – bislang können Besucher ihr Auto ab 18 Uhr umsonst abstellen. Der Parkdruck sei „in den Abendstunden sehr hoch“, begründet die Stadt.

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Die „2 Brüder“ prägen Venlos Image

Venlo hat sich neu erfunden – zum Preis, dass es manchmal aus allen Nähten platzt. Wer lange nicht dort war, ist erstaunt, wie sich Venlo verändert hat. In vergangenen Jahren und Dekaden lungerten Dealer herum, es gab Sexshops und Prostituierte, die Heimat des Rechtspopulisten Geert Wilders (61) war eine Lastermeile. Heute macht der Ex-Sündenpfuhl den guten Eindruck eines familienfreundlichen Pflasters mit netter Gastronomie. Wie hat Venlo das geschafft?

Die „2 Brüder“ in Venlo werden pro Woche von 80.000 Ausflüglern überrannt.
Die „2 Brüder“ in Venlo werden pro Woche von 80.000 Ausflüglern überrannt. © Funke FS | Jonas Erlenkämper

Mit dem Aufstieg zur Einkaufstraumstadt ist untrennbar ein 5000 Quadratmeter großer Konsumtempel verbunden. Ein cremefarbener Gebäudekomplex mit lieblich bepflanzten Fensterkästen. Über der Schiebetür flattert eine Holland-Flagge im Herbstwind, die Einkaufswagen stehen unter einem lebensgroßen Porträt des Königspaars.

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Venlo zählt nur so viele Einwohner wie das gemütliche Gütersloh, aber alleine die „2 Brüder“ werden pro Woche von 80.000 Ausflüglern überrannt. Der bekannteste Supermarkt der Niederlande. Im Erdgeschoss gibt es Käse und Fleisch, in der ersten Etage fast nur Kaffee – aber davon ganz viel. Reklameschilder sind auf Deutsch beschriftet, Kunden quatschen das Kassenpersonal unverblümt auf Deutsch an. Gegenüber wirbt ein Frikandelimbiss mit – man hört den Hollandakzent beim Lesen – „die beste Pommes von Venlo gemacht aus frische Kartoffeln“.

Venlo lebt gut von den deutschen Ausflüglern

Venlo wirkt wie eine deutsche Exklave. Mallorca an der Maas. „Venlo bekam insbesondere durch die sogenannten Butterfahrten, bei denen ab 1958 zollfrei in den Niederlanden eingekauft werden konnte, besonders viele deutsche Besucher“, erklärt Stadtexpertin Peeters-Krüger.

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Hinter der Marke „2 Brüder“ standen am Anfang, Überraschung, zwei Brüder. Die tüchtigen Gemüsehändler Geurt und Gerrit Snetselaar erkannten in den Butterfahrern ihre Chance, fokussierten sich Anfang der 60er-Jahre auf Kunden von drüben und bewarben ihr Geschäft hinter der Grenze auf Wurfzetteln. „Insbesondere preisgünstige Butter, Schnaps und Zucker waren für viele Deutsche ein Grund, einen Ausflug nach Venlo zu unternehmen“, so Peeters-Krüger. Die „2 Brüder“-Brüder verhalfen ihrer Stadt zu dem lukrativen Mythos, ein Sparmekka zu sein.

Als jedoch immer mehr Halbseidene auf der Suche nach harten Drogen und Sex ihre Bedürfnisse in Venlo befriedigten, schwante dem Handel, dass in einem befleckten Umfeld niemand flanieren mag.

Prostitution, Sexshops, Drogen: Venlo will nicht mehr schmuddelig sein

Im eindrucksvollen Renaissance-Rathaus mit seinen beiden achteckigen Türmen fassten die Stadtväter und -mütter einen kühnen Plan: Sie unterzogen das Zentrum einer sittlichen Grundreinigung. Keine Dildos mehr im Schaufenster, keine sichtbaren Dealer, kaum noch Kiffkneipen. Die Stadt investierte stattdessen ins Ambiente. Seit Dezember 2010 verfügt das zuvor vernachlässigte Flussufer über eine Promenade. Schöne Cafés und Wasserblick, nur wenige Fußminuten von den „2 Brüdern“ entfernt.

Der Plan ist aufgegangen, Venlo ist wieder populär. Während der Coronazeit mussten sie mal Bahnhof und Straßen abriegeln. „Liebe Deutsche“, appellierte die Stadt im Frühjahr 2021, „das Zentrum ist überfüllt, bitte kommt nicht mehr her!“ Und obwohl einige Läden in der Fußgängerzone leer stehen, ist ein Ende des Venlo-Booms nicht absehbar.

Das Rathaus von Venlo. Der Platz davor ist dank zahlreicher Restaurants und Cafés die Ausgehmeile der Stadt.
Das Rathaus von Venlo. Der Platz davor ist dank zahlreicher Restaurants und Cafés die Ausgehmeile der Stadt. © NRZ | Laurens Eggen

Venlo ist nicht mehr schmuddelig. Sexy aber auch nicht. Echte Niederlande-Fans schwärmen eher für Utrecht oder Zwolle. In Internetforen ledern die Spötter. Einer schreibt auf „Tripadvisor“, er komme, wenn überhaupt, erst abends nach Venlo, wenn die Ausflügler weg sind. „Dann kann man Venlo sehen, wie es ist – und wie es ohne die Deutschen sein könnte.“ Seine Landsleute, glaubt der kritische Kommentator, „bringen einen Teil des notwendigen Geldes und sind geduldet, aber nicht willkommen“.

Zurück ins „Nobodys Place“, wo ohne Rheinländer und Westfalen nichts los wäre. Ein Türsteher stellt sich in den Weg und will einen Mitgliedsausweis sehen. Wer rauchen wolle, müsse angemeldet sein. Im Kifferparadies sind sie am liebsten ungestört.