Oberhausen. Der Oberhausener Politologe Martin Florack schaut mit großer Sorge auf die Stimmung in der Bevölkerung: „Die Lust an einem Systembruch wächst.“
Wenige Wochen vor der Bundestagswahl am 23. Februar ist die Stimmung der Wähler nach Beobachtung von Politologen äußerst diffus und widersprüchlich. Nach Ansicht des Oberhausener Politikwissenschaftlers Martin Florack machen die Parteien im Umgang mit Rechtspopulisten eine Reihe von Fehlern.
Ein Treiber für den Zuspruch für Rechtspopulisten in Deutschland sind nach Analyse von Florack erhebliche Unsicherheitsgefühle in breiten Schichten der Gesellschaft, vor allem aber in der unteren Mittelschicht. „Nach zwei Jahren Wirtschaftskrise sorgen sich die Menschen, dass das Wohlstands- und Aufstiegsversprechen nicht mehr gehalten werden kann und sie abrutschen. Das macht sie für einfache Lösungen der Rechtspopulisten empfänglich.“
Paradoxe Ergebnisse der Bürgerbefragungen - auch in Oberhausen
Die nationalen Umfragen, selbst die Bürgerbefragung auf lokaler Ebene in Oberhausen, zeigen Paradoxes: Während das eigene Leben in der Wohnung in der Nachbarschaft oder im Stadtviertel als positiv wahrgenommen wird, zeigen sich viele zugleich überzeugt, dass sich Deutschland insgesamt oder auch eine Stadt wie Oberhausen im Absturz befindet. Rechtspopulisten würden diese Stimmung nutzen und befördern, um einfache Lösungen zu platzieren.
„Die Rede von Alice Weidel auf dem Parteitag in Riesa hat gezeigt, dass die AfD immer radikaler wird, es geht dann nur noch ums Abreißen, Rasieren, Rumholzen“, sagt der 47-jährige Politologe. Dies verfängt, weil die Menschen seit vielen Jahren in Deutschland erleben, dass der Staat nicht gut genug funktioniert. „Man muss ja nur die Bahn benutzen, über eine Autobahnbrücke fahren oder sich in bestimmten Schulen in Oberhausen umschauen, diese realen Lebenserfahrungen lassen sich nicht wegreden.“
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Auf die Probleme mit der Infrastruktur, der Zuwanderung und der Bildungsqualität in Deutschland würden die Parteien oft nur so reagieren, dass sie erklären würden, wie kompliziert die Sachlage sei: Da ist die EU oder das Land zuständig oder die Rechtslage ist angeblich zu kompliziert, um überhaupt etwas ändern zu können. Zugleich aber haben die Menschen eine sehr hohe Erwartung an die Politik, Sicherheit in vielen Bereichen zu schaffen: nicht nur die innere Sicherheit und äußere Sicherheit zu garantieren, sondern vor allem auch die wirtschaftliche Sicherheit.
Diese Lücke zwischen hohen Erwartungen und der Darstellung der Politik, bei komplexen Problemen nahezu ohnmächtig zu sein, spiele Rechtspopulisten in die Hände. „In dieser Gemengelage mit all ihren Komplexitätserfahrungen denken Menschen, das kann doch nicht sein, da muss mal einer kommen, und die Dinge einfach umsetzen. Die Lust an einem Systembruch wächst. Der überfordernde Umgang mit digitalen Medien befeuert dies. Und da sind viele bereit, selbst objektiven Blödsinn und jede Form von Paradoxien zu glauben. Das klingt super, da muss man sich nicht mühsam mit Details herumschlagen“, sagt Florack, der im Oberhausener Rathaus den Bereich „Integrierte Stadtentwicklung und Statistik“ leitet.
Florack: Wahlkämpfe in Deutschland geprägt von Nebensächlichkeiten und Personalisierungen
Zunehmend sind nach seiner langjährigen Beobachtung auch als Dozent der „NRW-School of Governance“ die Wahlkämpfe in Deutschland geprägt von Nebensächlichkeiten und Personalisierungen, inhaltliche Themen spielen demnach kaum noch eine Rolle. „Studien zu früheren Wahlkämpfen haben gezeigt, dass man selbst aus seriösen Medien mit ihrer politischen Berichterstattung als Wähler nicht herausfinden kann, welche inhaltlichen Unterschiede die verschiedenen Parteien in diversen Themenfeldern haben.“
Als aktuelles Beispiel nannte Florack im Gespräch mit der Redaktion die aufgeregte Berichterstattung um das Gespräch von Weidel und Musk auf der Social-Media-Plattform X, die die Medienkanäle gefüllt habe. Politik und Journalisten befänden sich hier in einer Blase. „Sie springen über fast jedes Stöckchen, das die AfD hinhält. Das sind doch Themen, die die Bürger mit ihren Alltagsproblemen nun wirklich nicht bewegen, aber eine Zeitlang redeten einige ernsthaft darüber, ob Hitler ein Kommunist war. Das ist doch kompletter Blödsinn und nützt nur der AfD.“
Bei allen Problemen, die Deutschland habe, sei es von den Politikern etablierter Parteien falsch, immer wieder davon zu reden, dass „wir uns in Krisen befinden. Krisen werden konstruiert, sie reden von Multi-Krisen, Stapel-Krisen und bedienen damit den Eindruck, dass Deutschland abstürzt. Und dann muss ja irgendeiner Schuld haben, und die Rechtspopulisten bieten hier die Ausländer an.“
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Für das Alltagsleben der Bürger sei vielmehr das Funktionieren des Staates auf allen Ebenen entscheidend, erst recht die Ebene vor Ort. „Der Bürger differenziert nicht danach, wer für was zuständig ist, aber er bemerkt, wenn die Infrastruktur in seinem Lebensumfeld schlecht ist. Deshalb ist eine Lösung der Altschuldenproblematik in den Kommunen so existenziell. Die Städte müssen handlungsfähig bleiben.“
Politikwissenschaftler: Altschuldenlösung muss Kommunen handlungsfähig halten
Wenn die finanzielle Ausstattung der Städte nicht stimmen würde und die Stadträte keinen finanziellen Handlungsspielraum mehr hätten, um zu investieren, dann führe dies zu einem gefährlichen Demokratiedefizit. „Die Bürger haben ja weiterhin einen hohen Gestaltungsanspruch an die Kommunen. Wenn die Städte diesen nicht einlösen können, dann macht die Wahl zwischen Parteien und ihren Konzepten auf kommunaler Ebene immer weniger Sinn.“ Bekanntlich finden knapp sieben Monate nach der Bundestagswahl im bevölkerungsreichsten Bundesland, am 14. September 2025, die NRW-Kommunalwahlen für Stadträte und Stadtoberhäupter statt.
Der häufig von ARD, ZDF und Deutschlandfunk interviewte Politikwissenschaftler macht aber auch, wie kann es in einer Demokratie anders sein, die Bürger selbst verantwortlich für ihre Entscheidungen. Umfragen zeigten, wie widersprüchlich ihre Ansichten seien. „Sie wollen Investitionen in die Infrastruktur, sie wollen hohe Sicherheit, aber zugleich auch die Schuldenbremse einhalten. Wenn man dann im Kreise von Besserverdienenden darüber spricht, dass die Betuchteren stärker belastet werden müssen, um die Mängel in Deutschland zu beheben, dann will keiner derjenige sein, der mehr Steuern zahlt.“
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