Oberhausen. Nur 18 Prozent der Bürger haben Vertrauen in die politischen Entscheidungen. Warum ist das so? Wie ändert man das? Politologen geben Tipps.
- Das Vertrauen der Bürger in politische Entscheidungen schwindet in Deutschland.
- Politik-Professor Karl-Rudolf Korte, oft beim ZDF als Analytiker zu Gast, berichtet im Oberhausener Ratssaal über die Ursachen dieser Entwicklung.
- Dabei gibt Korte den Profi-Politikern bis hinauf zu Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) Tipps, wie sie ihr Kommunikationsverhalten in Krisenzeiten verbessern müssen, um Bürger noch zu errreichen.
Es ist nicht so, dass in all diesen Krisenzeiten kaum noch jemand den verantwortlichen Kräften in der Demokratie vertraut, doch spürbar äußern sich Bürger misstrauisch gegenüber politischen Entscheidungen: Je weiter entfernt, desto kritischer. Das lässt sich auch an den Ergebnissen der jüngsten Umfrage der Stadt Oberhausen unter 7000 Bürgern von Ende 2022 ablesen: 42 Prozent vertrauen der Stadtverwaltung, 34 Prozent vertrauen dem Oberbürgermeister - aber nur noch 18 Prozent haben Vertrauen in die allgemeinen politischen Entscheidungen in Deutschland. Und nach einer neuen Forsa-Umfrage für RTL und ntv vertrauen nur noch 24 Prozent der Kompetenz von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD).
Woran liegt dieser Vertrauensschwund in die Politik? Wie können Verantwortungsträger wieder Bürger erreichen? Das sind Fragen, die nicht nur die oberen Entscheider umtreiben, denn nachweislich wachsen die Zweifel der Deutschen an dem bisher so bewährten System Demokratie. Der Wissenschaftscampus NRW hat deshalb bekannte Deuter der Stimmungslage der Bevölkerung in den Oberhausener Ratssaal eingeladen: Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte, Direktor der NRW School of Governance, und Silke Borgstedt, Geschäftsführerin des Berliner Sinus-Sozialforschungsinstituts. Und diese analysieren die Weltenlage nicht nur mit klaren Worten und Beispielen, sondern geben den Politikverantwortlichen, von Oberbürgermeister Daniel Schranz (CDU) bis zu Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Ratschläge, wie man Bürger wieder überzeugen kann.
Politikwissenschaftler Korte: Lieber ehrliche statt schwammige Formulierungen wie bei Kanzler Scholz
Dass die Kluft zwischen Politik und Bürgern wächst, ist nach Auffassung von Korte nachvollziehbar, weil die heutigen Problemlagen so dynamisch-hochkomplex sind. „Die Bürger wollen, dass die Politik Probleme löst, das ist die wichtigste Motivation der Menschen, wählen zu gehen. Aber die jetzigen komplexen Probleme sind nicht mehr so einfach zu lösen wie früher.“ So kommt es zu Enttäuschungen bei den Bürgern; Institutionen und Politik erleiden einen Vertrauensverlust.
Entscheidend ist nach Ansicht des Politik-Professors deshalb das Kommunikationsverhalten der Profi-Politiker und Amtsträger. „You‘ll never walk alone“, für diese Floskel von Kanzler Scholz in seiner Regierungserklärung von Dienstag, hat Korte nur milden Spott übrig: „Man weiß doch gar nicht, wohin geht er, mit wem geht er - und außerdem will so mancher Bürger lieber alleine gehen.“ Eine Botschaft in diesen Zeiten ans Volk, vertraut mir mal, mit mir wird alles gut werden, zünde heute nicht. „Die Bürger spüren doch, dass der notwendige Transformationsprozess unserer Gesellschaft hin zur Klimaneutralität einer Kraftanstrengung bedarf - und auch zu Wohlstandsverlusten führt. Wir benötigen Veränderungs-Zuversicht und Zumutungs-Mut, das halten wir schon aus, wenn es einer gut erklärt. Das wäre ehrlich. Doch unscharfe schwammige Formulierungen mit Blick auf Mehrheiten sind nicht aufklärerisch.“
Dass Menschen offen sind für Aussagen und Entscheidungen der Politik und nicht längst desinteressiert ins Privatleben abgetaucht sind, also für Politik erreichbar, zeigt Stadtstatistikerin Tabea Hemker anhand einer erstaunlichen Entwicklung der vergangenen Jahre, die sich durch die alle zwei Jahre von Oberhausen veranlassten Umfragen bei den Bürgern aufzeigt: Das Interesse an der Kommunalpolitik hat sich in Oberhausen von 2014 bis 2022 stetig erhöht: von 15 Prozent auf 30 Prozent - wir leben also angesichts der Weltkrisen nicht nur bundesweit in politischen Zeiten.
Oberbürgermeister Schranz erläutert bei der Diskussionsveranstaltung sein Rezept, um Vertrauen der Bürger zu erhöhen: Die Probleme der Oberhausener auch mit solchen Umfragen zu erkunden und ihre Lebensqualität zu verbessern. „Seit Jahren stehen Sauberkeit und Sicherheit ganz oben auf der Problem- und Wunschliste der Bürger in Oberhausen. Wir haben deshalb Reinigungsintervalle erhöht, wollen die Stadt sauberer halten. Man muss auch im Kleinen anfangen.“ Die hohen Stimmengewinne der AfD und anderer Rechtspopulisten in Europa seien klare Warnsignale der Bürger an die Politik, endlich ihre Probleme zu beheben.
Als eine bleibende Folge der Pandemie-Erfahrungen sehen Korte und Silke Borgstedt eine zunehmende Ungeduld und Gereiztheit der Bürger mit der Politik. Vor allem die Mitte der Gesellschaft fühlt sich alleingelassen in Zeiten des extremen Wandels. Borgstedt zur Stimmung der Bevölkerungs-Mitte: „Die da oben haben die Privilegien, die da unten erhalten Hilfe vom Sozialstaat, meint die Mitte, aber sie als Mitte der Gesellschaft muss alles tragen, ohne zu wissen, was am Ende die Veränderungen für den Einzelnen bedeuten. Und plötzlich ist jeder verspätete Regionalzug ein Beweis für die schwierige Lage im Land.“
Unsicherheiten ohne Perspektive sind aber eine Gefahr für die Demokratie. „Sicherheit ist den meisten noch wichtiger als Freiheit und Gerechtigkeit“, meint Korte. „Wir benötigen deshalb eine zuversichtliche Erzählung, eine Perspektive, denn ohne ein Zukunftsnarrativ ist eine Demokratie, ist die Freiheit gefährdet. Es gibt deshalb eine Sehnsucht nach Akteuren, die Zuversicht verströmen.“ Deshalb sollte die Politik die notwendigen Veränderungen bei der Klima-Transformation mit der Sicherheit in Zukunft kombinieren: „Wir können doch künftig nur in Sicherheit leben, wenn wir das Klima schützen.“
Aber wie gefährdet ist die Demokratie wirklich? Wie heikel ist der Rechtsruck in Deutschland? Korte und Borgstedt sehen trotz der Zuwächse der AfD in Wahlen keinen Grund zur Panikstimmung. „Im europäischen Vergleich wählen Deutsche weiterhin in sehr großer Mehrheit Parteien der Mitte, sie lieben die verlässliche Langeweile. Die Parteien der Mitte genießen immer noch einen hohen Zuspruch bei hoher Wahlbeteiligung im Bund“, sagte Korte.