Oberhausen. Bei der Bundestagswahl steht viel auf dem Spiel - auch, wie es künftig um die Lebensqualität in den Großstädten des Ruhrgebiets bestellt ist.

Die Lebensqualität von Menschen hängt entscheidend davon ab, wie es ihnen vor Ort ergeht: Wie sicher ist ihre Umwelt? Wie schön ist ihr Lebensumfeld? Wie teuer sind die Wohnungen? Wie viele gut bezahlte Arbeitsplätze gibt es? Wie gut sind Schulen und Kindergärten? Wie viele Freizeitangebote existieren? Wie belastbar ist die Infrastruktur an Straßen, Fahrradwegen, Buslinien oder Glasfasernetzen?

Das Wohlgefühl in einer Stadt hängt auch an der Tatkraft der Lokalpolitiker und lokalen Stadtbediensteten, aber ebenso an der finanziellen Ausstattung, die Land und Bund für die Kommunen schaffen. Die Städte vor Ort müssen schließlich viele gut gemeinte Gesetze für Bürger in die praktische Tat umsetzen.

Aus diesem Grunde ist diese Bundestagswahl entscheidend. Wer noch überlegt, welche Partei er wählen soll, sollte bei Aussagen von Politikern und in Wahlprogrammen darauf achten, ob sich die Lebensqualität vor Ort damit tatsächlich erhöhen kann. Hier ein paar Themen-Prüfsteine aus unserer Sicht, die die neue Bundesregierung dringend anpacken muss.

Erstens: Klimaschutz

Das Thema ist vor allem wegen des anfangs fehl konstruierten Heizungsgesetzes von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) unter die Räder gekommen. Doch die zunehmende Zahl an Wetter-Katastrophen zeigt, wie dringend es ist, den Ausstoß des Treibhaus-Gases CO2 zu verringern. Mal ein Vorschlag: Warum macht man nicht das Ruhrgebiet zur Modellregion Klimaschutz für Europa?

Der Altmarktgarten in der Oberhausener Innenstadt ist ein Leuchtturmprojekt der Forschung, das viele Wissenschaftler anzieht. Über zwei Millionen Euro Förderung steckte der Bund in die Treibhäuser auf dem Dach eines Bürogebäudes, die die Abwärme und feuchte Abluft aus den Büros nutzen.
Der Altmarktgarten in der Oberhausener Innenstadt ist ein Leuchtturmprojekt der Forschung, das viele Wissenschaftler anzieht. Über zwei Millionen Euro Förderung steckte der Bund in die Treibhäuser auf dem Dach eines Bürogebäudes, die die Abwärme und feuchte Abluft aus den Büros nutzen. © FUNKE Foto Services | Gerd Wallhorn

Bei so vielen Menschen in einem Ballungsraum würden sich Investitionen mehrfach auszahlen. Hier könnte man testen, wie sich ein ausgebauter Nahverkehr mit enger Taktung auswirkt: Viel mehr Menschen als heute würden auf Autofahrten verzichten. Warum spendiert man nicht beispielhaft für ganze Quartiere Wissen und Geld, um Dächer und Hauswände zu begrünen, um die Häuser aus den 50er und 60er Jahren zu dämmen? So hätte man Beispiele aus der Praxis, die andere kopieren könnten - ähnlich wie beim Bottroper Initiativkreis-Projekt „Innovation City“.

Zweitens: Langzeitarbeitslose

Unsere Gesellschaft ignoriert bisher, wie sehr Menschen mit den Anforderungen der effizienten modernen Wirtschaft nicht mehr mithalten können (oder auch wollen). Städte wie Oberhausen zählen bereits eine stattliche Anzahl von Menschen, die kaum noch selbstständig auf die Füße kommen werden, bei denen selbst weitere Qualifizierung nicht zündet: 5900 Oberhausener sind länger als ein Jahr arbeitslos, über 70 Prozent von ihnen haben keine abgeschlossene Berufsausbildung. Doch einfache Helfer-Jobs gibt es immer weniger. Gerade das Ruhrgebiet benötigt einen staatlich finanzierten Arbeitsmarkt: Besser Arbeit bezahlen als Arbeitslosigkeit, selbst wenn das anfangs durch notwendige Betreuung teurer wäre. Das Teilhabechancengesetz mit 200 Arbeitsplätzen seit 2019 kann nur der Anfang gewesen sein.

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Drittens: Infrastruktur

Im Vergleich zu Städten wie Toronto, Paris oder Kopenhagen hinkt die Infrastruktur für Busse, Bahnen, Fahrräder, aber auch für Autos und Daten in den deutschen Metropolregionen hinterher. Konsequenter müssen Projekte nach dem Kosten-Nutzen-Faktor aus nationalen Mitteln gefördert werden. Nirgendwo mehr als in Ballungsgebieten lohnt es sich, in die Infrastruktur zu investieren: Dazu gehören auch Lückenschlüsse im Bahn- und Busnetz, wie beispielsweise die Verlängerung der Straßenbahnlinie 105 von Essen zum Oberhausener Centro und weiter nach Sterkrade.

Gerade zwischen den äußeren Bezirken der Städte im Ruhrgebiet fehlen akzeptabel schnelle Verbindungen von Bussen und Straßenbahnen, wie hier die Linie 105 von der Essener Innenstadt kommend: Sie endet an der Unterstraße in Frintrop.
Gerade zwischen den äußeren Bezirken der Städte im Ruhrgebiet fehlen akzeptabel schnelle Verbindungen von Bussen und Straßenbahnen, wie hier die Linie 105 von der Essener Innenstadt kommend: Sie endet an der Unterstraße in Frintrop. © FUNKE/Fotoservices | Gerd Wallhorn

Viertens: Bildung

Die Politik hat zu lange die Augen davor verschlossen, dass zum einen zu viele junge Menschen ihre Schullaufbahn ohne Abschluss beenden (in ganz NRW 10.000 im Jahr 2021). In Oberhausen verließen nach Angaben der Bertelsmann-Stiftung 6,7 Prozent der Schüler die Schule ohne Hauptschulabschluss als Mindestanforderung. Ohne Schul- und Berufsabschluss aber ist die Karriere als Langzeitarbeitsloser vorgezeichnet. Deutschland muss genau in die Stadtviertel verstärkt investieren, in denen bildungsferne Familien leben. Zuwanderer-Kinder müssen mehr Extra-Deutschunterricht schon in sehr jungen Jahren erhalten.

Wie andere Städte im Ruhrgebiet investiert die Stadt Oberhausen in neue Schulgebäude, ja, gründet sogar erstmals seit Jahrzehnten mit einer Gesamtschule eine ganz neue Schule - weil die Zahl der Kinder überaus stark zugenommen hat. Hier die ersten Schülerinnen und Schüler des fünften Jahrgangs der neu gegründeten Gesamtschule an der Knappenstraße, die übergangsweise im einstigen Niederrhein-Kolleg unterkommen.
Wie andere Städte im Ruhrgebiet investiert die Stadt Oberhausen in neue Schulgebäude, ja, gründet sogar erstmals seit Jahrzehnten mit einer Gesamtschule eine ganz neue Schule - weil die Zahl der Kinder überaus stark zugenommen hat. Hier die ersten Schülerinnen und Schüler des fünften Jahrgangs der neu gegründeten Gesamtschule an der Knappenstraße, die übergangsweise im einstigen Niederrhein-Kolleg unterkommen. © FUNKE Foto Services | Gerd Wallhorn

Die Ausstattung mit guten Schulen, besten Lehrern und fitten Sozialarbeitern muss in Städten wie Oberhausen überproportional erfolgen. Ansätze mit mehr Sozialarbeitern und einem besseren Lehrer-Schlüssel für Schulen im Brennpunkten sind gemacht. Warum gibt es in schwierigen Quartieren nicht dauerhaft öffentlich kostenlose Nachhilfe? Hier muss sich der Bund noch stärker in das bisher ureigene Themenfeld der Länder einmischen – aus nationalem volkswirtschaftlichen Interesse.

Fünftens: Wer bestellt, muss bezahlen

Oberhausen ist wie andere Kommunen hochgradig belastet durch neue zusätzliche Aufgaben, die durch das Weltgeschehen (Flüchtlinge!) oder neue Wohltaten-Bundesgesetze wie das Recht auf Ganztagsbetreuung in Schulen verursacht werden. Die Finanzierung erfolgt aber nicht durch Bund oder Land kostendeckend.

Wie andere Kommunen ist Oberhausen durch Bundesgesetze verpflichtet, eine ordentliche Planung der künftigen Nah- und Fernwärmeversorgung in den nächsten zwei Jahren zu entwickeln - doch das kostet viel Geld, das bisher nicht erstattet wird. Die blaue Fernwärmeleitung auf dem Bild befindet sich auf der Fußgängerbrücke zwischen Eisenhammer und Kaisergarten in Oberhausen.
Wie andere Kommunen ist Oberhausen durch Bundesgesetze verpflichtet, eine ordentliche Planung der künftigen Nah- und Fernwärmeversorgung in den nächsten zwei Jahren zu entwickeln - doch das kostet viel Geld, das bisher nicht erstattet wird. Die blaue Fernwärmeleitung auf dem Bild befindet sich auf der Fußgängerbrücke zwischen Eisenhammer und Kaisergarten in Oberhausen. © FUNKE Foto Services | Gerd Wallhorn

Die Liste der Oberhausener Kämmerei mit Beispielen an mangelndem Kostenausgleich ist lang. So ist beispielsweise die kommunale Wärmeplanung (Fernwärme) als Pflichtaufgabe Oberhausen über eine halbe Million Euro teuer, die neue Pflichtaufgabe Ganztagsbetreuung in Schulen schlägt mit einem Fehlbetrag für die Stadtkasse von 8,6 Millionen Euro in den Jahren 2024 und 2025 zu Buche. Oberhausen hat 2022 und 2023 überdurchschnittliche viele Ukraine-Kriegsflüchtlinge aufgenommen, hier zahlt der Bund zwar den überwiegenden Teil, aber nicht alles: Die Finanzierungslücke beziffert die Stadt auf über sechs Millionen Euro.

Sechstens: Altschulden

Natürlich gab es in der Vergangenheit auch Fehlentscheidungen und Verschwendung in Kommunen des Ruhrgebiets, doch der größte Teil der seit den 70er Jahren aufgewachsenen Altschulden (zwei Milliarden Euro allein in Oberhausen) hat einen historischen Ursprung: Der beispiellose Strukturwandel mit dem Wegfall von 60.000 Industrie-Arbeitsplätzen in der Kohle- und Stahlbranche im Stadtgebiet führte zum Ausfall von Steuereinnahmen und zur Kostenexplosion sozialer Leistungen.

Die Bewältigung eines solchen Branchenverfalls ist eigentlich eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe eines Staates und kann nicht den Städten aufgehalst werden. Oberhausen muss nun bereits durch die gestiegenen Zinsen 40 Millionen an Zinsen auf die Altlasten-Kredite zahlen. Dieses Geld fehlt heute für die wichtigen Investitionen in Bildung und Infrastruktur. Doch bisher scheiterten alle Versuche der NRW-Landesregierung und des Bundes, den Kommunen hier zu helfen.

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