Mülheim/Essen. Ältere Mülheimer, aber auch junge, behinderte und nicht-behinderte: Sie alle schwören auf die Veeh-Harfe. Was das Instrument einzigartig macht.

Angefangen hat diese kleine Mülheimer Glücksgeschichte bei einer Bauernfamilie im bayerischen Gülchsheim. Landwirt Hermann Veeh und seine Lieben machten gern Hausmusik, eines der Kinder aber blieb außen vor. Der Junge hat das Down-Syndrom, und es war ihm unmöglich, ein gewöhnliches Instrument zu erlernen. Der Vater verzog sich in die Werkstatt, tüftelte über Jahre, bis er ein Instrument in Händen hielt, das auch der Sohn gut bedienen kann. Die Erfindung aus dem Jahr 1992 hat sich seither übers Land verbreitet. Auch in Mülheim gibt es mittlerweile Fans der ohne Vorkenntnisse zu erlernenden Veeh-Harfe. So die 97-jährige Maria.

Die alte Dame hat eine große Familie, allein war sie trotzdem manchmal. „Von meinen gleichaltrigen Freunden lebt kaum noch jemand.“ Um etwas Abwechslung ins Leben zu bringen, schenkten ihr die Kinder vor zwei Jahren Unterricht im Veeh-Harfen-Spiel. Sie näherte sich der Sache mit vorsichtigem Enthusiasmus, „ich hatte das Instrument zwar schon einmal bei einem Geburtstagsständchen gehört, aber ich wusste nicht, ob es wirklich Spaß macht“.

Mülheimer Veeh-Harfen-Orchester hat regelmäßig Auftritte

Das aber war eindeutig der Fall. Schnell hatte Maria den Dreh raus, übt bis heute fast jeden Tag. Und so entdeckte die Essenerin mit damals 95 tatsächlich noch ein neues Hobby, fand darüber hinaus einen Kreis Gleichgesinnter, „die mich freundlich aufgenommen haben“. Mittlerweile ist die sechsfache Uroma, die sich einst selbst Blockflöte und Gitarre beigebracht hat, fester Bestandteil des Mülheimer Veeh-Harfen-Orchesters, das sich einmal wöchentlich bei Musiklehrerin Renate Lindemann zur Probe trifft und regelmäßig auftritt.

Veeh-Harfen-Unterricht in Mülheim an der Ruhr
Musiklehrerin Renate Lindemann, die 46 Jahre lang bei der Musikschule angestellt war, unterrichtet das Mülheimer Veeh-Harfen-Orchester und andere Gruppen. © FUNKE Foto Services | Martin Möller

Lindemann selbst ist über ihre Mutter zur Veeh-Harfe gekommen. „Die mochte Musik schon immer, war aber Kriegskind und konnte deshalb kein Instrument lernen.“ Mit 80 legte die Mutter dann aber los und steckte mit ihrer Begeisterung die Tochter, die bis dato vor allem Klavier, Blockflöte und Cembalo unterrichtet hatte, an. Lindemann erkannte großes Potenzial in der Neuentdeckung. Schon bald bot sie gemeinsam mit ihrer ebenfalls infizierten Freundin Heike Schneider entsprechende Kurse an.

Von Vorteil ist, dass man keine klassischen Noten lesen können muss

Veeh-Harfen-Unterricht in Mülheim an der Ruhr
Eine Art Noten-Blatt steckt unter den 25 Saiten der Veeh-Harfe und zeigt an, wann wo gezupft werden muss und wie lang die Töne zu halten sind. © FUNKE Foto Services | Martin Möller

Von Vorteil ist, so erklärt die 66-Jährige, dass man keine klassischen Noten lesen können muss, um die rund 70 Zentimeter großen Tischharfen aus Fichtenholz zu spielen. 25 Saiten hat jede von ihnen, und unter diese schiebt man eine Art Noten-Blatt, das genau anzeigt, wann an welcher Stelle zu zupfen ist und welcher Ton kurz oder länger zu spielen ist. Veehs Erfindung wird zumeist mit beiden Händen bedient, „das regt beide Hirnhälften an“. Aber auch einhändiges Musizieren ist möglich – zum Beispiel bei körperlichem Handicap.

Die wenigsten Schüler und Schülerinnen von Renate Lindemann aber haben eine Behinderung, die meisten spielen die Veeh-Harfe einfach, weil sie so warm klingt und leichten Zugang zum Musizieren gewährt. Die 15 Mitglieder des Orchesters, zwischen 51 und 97 Jahre alt, haben ganz eigene Beweggründe, warum sie das Instrument kennenlernen wollten. Petra zum Beispiel hat eine Freundin, die die Harfe in ihrer Arbeit mit Demenzkranken einsetzt, und sie ist beeindruckt davon, wie beruhigend diese auf Kranke wirkt. Monika hat früher gesungen, die Stimme aber gibt das nicht mehr her. So ging sie mutig ins Geschäft, kaufte einfach eine Harfe – zu haben ab 1000 Euro –, und fing erst dann mit dem eigentlichen Erkunden an. „Ich wusste einfach, das wird super.“ Und Steffi? Die hat sogar ihre Enkelin Lea mit der Leidenschaft angesteckt. Heute zählt die Zehnjährige zu Lindemanns besten Schülerinnen.

Veeh-Harfen-Unterricht in Mülheim an der Ruhr
Musikdozentin Renate Lindemann (66) mit einigen ihrer Schülerinnen. © FUNKE Foto Services | Martin Möller

Erst hat die behinderte Tochter mit der Veeh-Harfe begonnen, dann stiegen die Eltern ein

Zum Orchester gehört auch ein älteres Ehepaar, dessen behinderte Tochter schon länger bei Lindemann lernt. „Ich unterrichte drei Menschen mit Einschränkungen, zwei mit Down-Syndrom und einen mit einem anderen schweren Gendefekt.“ Das Ehepaar war derart begeistert vom Fortschritt der Tochter, dass es selbst anfing, Stunden zu nehmen und im Orchester zu spielen.

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Dieses war zwischenzeitlich übrigens auch mal im Geburtsort des Instruments, auf dem Hof der Veehs, die sich längst ganz dem Bau und Vertrieb des vom Vater geschaffenen Produkts widmen. Die Mülheimer durften dort auftreten und gaben dabei auch Stücke zum Besten, die Lindemann selbst komponiert hat. Zum Beispiel einen Rap, einen Cha Cha und einen Boogie. Noch ist die Auswahl an Unterlegblättern für Veeh-Harfe überschaubar, weshalb Lindemann oft selbst kreativ wird. In Gülchsheim, wo die Erfolgsgeschichte einst begonnen hat, kam der Auftritt übrigens super an. „Die Leute standen auf den Stühlen“, freut sich Monika noch heute.

Wer Lust hat, Veeh-Harfe zu lernen, wendet sich unter 0152-09847877 an Renate Lindemann. Sie hat auch Leih-Instrumente im Angebot. Die Musiklehrerin, die lang an Mülheims Musikschule tätig war, sucht einen neuen Proberaum. Bei Ideen bitte melden. Weitere Informationen: renate-lindemann.de.

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