Mülheim. Sie bilden seit Jahren in großem Maß aus, trotzdem muss eine Mülheimer Firma auf Fachkräfte aus Spanien oder Iran zurückgreifen. So ist der Weg.

„Das reicht nicht mehr“, diese Erkenntnis hatte Stephanie Hegendorf vor einiger Zeit, obwohl die Firma, bei der sie die Personalleitung verantwortet, die Elomech Elektroanlagen GmbH, bereits viele verschiedene Wege geht, um Arbeitskräfte zu gewinnen. „Wir haben 30 bis 50 Azubis pro Jahr - aktuell sind es 46 - und versuchen diese auch um jeden Preis zu halten. Zudem machen wir alles Mögliche wie Jobmessen mit, aber wir haben trotzdem nicht genug Bewerber. Uns gehen die Alternativen aus.“ Das rund 600 Mitarbeiter starke Unternehmen musste also neue Wege gehen, um an Fachkräfte zu kommen.

Dabei sei Elomech beileibe kein Einzelfall, betont Markus Skrbina, Arbeitsvermittler bei der Mülheimer Agentur für Arbeit und Berater im Eures-Netzwerk zur Förderung der beruflichen Mobilität zwischen Deutschland und anderen europäischen Staaten. „Ein Großteil der Arbeitgeber berichtet branchenübergreifend, dass keine passenden oder nur sehr wenige Bewerbungen eingehen“, hat Skrbina beobachtet und sagt: „Dieser Fachkräftemangel ist in den vergangenen zehn Jahren immer größer geworden und wird laut Statistik auch noch wesentlich weiter wachsen.“ Alternativen, um Arbeitskräfte zu gewinnen und zu binden, sind also gefragt, denn, so der Arbeitsvermittler: „Auch mit unseren Möglichkeiten wie dem lokale Bewerber-Matching oder Weiterbildungsförderung kommen wir oft nicht mehr weiter.“

Lange Vorbereitung, bis Fachkräfte aus dem Ausland bei Mülheimer Firma ankommen

Bei der Elektroanlagen GmbH hat man sich auf eine Alternative eingelassen: Seit wenigen Monaten wird das Elomech-Team verstärkt durch einen Spanier, der eine Ausbildung in Automatisierungstechnik vorweisen kann, und einen Ingenieur aus Iran. Die Männer sind den Schritt gegangen und haben sich für ein neues Leben in Deutschland entschieden. „Die beiden sind Ende 30, Anfang 40 und sahen in ihrer Heimat keine Zukunft für sich“, weiß Hendrik Loh aus der Personalabteilung von Elomech aus zahlreichen Gesprächen im Vorfeld. Denn das will niemand verschweigen: „Es war ein längerer Prozess, bis alles so weit war, zahlreiche Behördengänge, etwa um eine Sozialversicherungsnummer zu beantragen oder den Berufsabschluss übersetzen und beglaubigen zu lassen, sowie Schriftverkehr mit der jeweiligen Botschaft waren nötig“, skizziert Loh.

Hendrik Loh arbeitet bei der Mülheimer Elomech Elektroanlagen GmbH in der Personalabteilung.
Hendrik Loh arbeitet bei der Mülheimer Elomech Elektroanlagen GmbH in der Personalabteilung. © Katja Bauer | Katja Bauer

Gleichwohl weiß der Personaler auch: „Beim ersten Mal dauert alles länger. Jetzt wissen wir, was alles wichtig ist und könnten es beim nächsten Mal schneller umsetzen. Das war eine steile Lernkurve für uns.“ Die Unterstützung seitens der Agentur für Arbeit sei dabei unverzichtbar gewesen, einige Vorgänge seien dadurch beschleunigt worden, ist Loh sicher.

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Auch Arbeitsvermittler Markus Skrbina will nicht verschweigen: „Einen Mitarbeiter aus Brasilien einzustellen ist aufwändiger als jemanden aus Bottrop. Doch Zeit und Geld sind oft sehr gut investiert, denn wer so einen Schritt geht, ist hoch motiviert und bleibt oft langfristig.“ Die Arbeitsagentur wähle genau aus, mit welchem Betrieb sie das Wagnis Einwanderung angehe, das im übrigen immer unter der Prämisse „faire Migration“ stehe. Die Länder, aus denen die Bewerber kommen, müssten einverstanden damit sein, dass deutsche Unternehmen Arbeitskräfte abwerben. „Es gibt beispielsweise noch Länder, die einen Überschuss an Pflegekräften haben, wie Indien“, so Skribina. Die Bundesagentur für Arbeit verfüge über eine Datenbank mit über 10.000 Bewerbern aus dem Ausland, vertreten seien vor allem Berufe aus den Bereichen IT, Gesundheit und Technik.

Das Ruhrgebiet hat ein schlechtes Image? „Das kennen die allermeisten im Ausland gar nicht“

Langfristig, womöglich für immer in Deutschland zu bleiben, ist auch das Ansinnen der beiden neuen Elomech-Kollegen aus Spanien und Iran. Der Kontakt und schließlich die Vermittlung war in beiden Fällen über die Agentur für Arbeit gelaufen, über Markus Skrbina. Der Arbeitsvermittler ist spezialisiert darauf, Fachkräfte aus dem Ausland anzuwerben. Erst kürzlich vertrat er Mülheim und die Region bei einer Jobmesse im spanischen Valencia. „Da stand ich neben den Niederlanden, Belgien und Frankreich.“

Markus Skrbina, Arbeitsvermittler und Eures-Berater der Mülheimer Agentur für Arbeit, ist darauf spezialisiert, Arbeitskräfte aus dem Ausland für hiesige Firmen anzuwerben.
Markus Skrbina, Arbeitsvermittler und Eures-Berater der Mülheimer Agentur für Arbeit, ist darauf spezialisiert, Arbeitskräfte aus dem Ausland für hiesige Firmen anzuwerben. © Katja Bauer | Katja Bauer

Dass das Ruhrgebiet im Vergleich zu diesen Ländern ein schlechteres Image habe, kann Skrbina nicht bestätigen, denn: „Die allermeisten Leute im Ausland kennen das Ruhrgebiet überhaupt nicht. Ich kann ihnen dann die Pluspunkte aufzeigen, dass sie etwa in Mülheim in einer mittelgroßen Stadt leben können, aber drumherum die Infrastruktur einer Metropole haben. Und mit dem Flugzeug ist man von mehreren Flughäfen in der Nähe innerhalb weniger Stunden zurück in Spanien.“

Arbeitskräfte wollen weg aus Spanien: Keine sicheren Jobs, schlechtere Arbeitsbedingungen

Beweggründe, warum etwa gerade Spanier ihr Heimatland verlassen wollen, um zum Arbeiten - und zum Leben - nach Deutschland zu kommen, hat Skrbina bei seinen Aufenthalten dort zahlreich erfahren: „Die meisten wünschen sich mehr Stabilität, wollen einen sicheren Job mit besserer Bezahlung und angenehmeren Arbeitszeiten als in Spanien, wo es zudem oft konjunkturelle Schwankungen gibt, die sich dann im Lebenslauf als häufige Jobwechsel widerspiegeln.“ Bei anderen Ländern, wie Iran, liege die unsichere politische Lage als Antrieb, auszuwandern, auf der Hand.

Markus Skrbina, Arbeitsvermittler und Eures-Berater der Mülheimer Agentur für Arbeit, bei einem Vortrag auf einer Informationsveranstaltung für Deutschland-interessierte Fachkräfte in der Stadt Kosice in der Slowakei.
Markus Skrbina, Arbeitsvermittler und Eures-Berater der Mülheimer Agentur für Arbeit, bei einem Vortrag auf einer Informationsveranstaltung für Deutschland-interessierte Fachkräfte in der Stadt Kosice in der Slowakei. © Markus Skrbina | Markus Skrbina

Mülheimer Unternehmen mietet Wohnungen für Fachkräfte aus dem Ausland an

Elomech-Personalleiterin Stephanie Hegendorf sagt unumwunden: „Man hat auch eine große Verantwortung, wenn jemand sein altes Leben aufgibt, um zu uns nach Deutschland zu kommen.“ Das Elomech-Team ziehe dafür an einem Strang, Kollegen haben die neuen Mitarbeiter vom Flughafen abgeholt, das Unternehmen hat Sprachkurse organisiert und zunächst Wohnungen für die Neuen angemietet. „Inzwischen hat der Spanier eine eigene Wohnung gefunden“, weiß Hendrik Loh.

Auch dem jungen Azubi, der gerade mit 19 Jahren aus Vietnam gekommen ist, stehe man zur Seite, sagt Stephanie Hegendorf: „Wenn er etwa Fußball spielen oder ins Kino gehen will, zeigen wir ihm, wo er das machen kann.“ Auch mit den Eltern sei man im Austausch. Keine Frage: Das alles bedeute mehr Aufwand, nehme zusätzliche Zeit in Anspruch, doch was Loh und Hegendorf erfahren, sei die Dankbarkeit jedes einzelnen - zudem erhalte der Betrieb Mitarbeiter, die „es ernst meinen“. Sein altes Leben lasse wohl niemand für ein kurzes Abenteuer hinter sich. Trotzdem erfordere der Prozess Geduld - auf beiden Seiten.

Fachkräftemangel in Mülheim: Zahl der Erwerbstätigen geht rapide zurück

Stephanie Hegendorf, Personalleitung bei der Mülheimer Elomech Elektroanlagen GmbH.
Stephanie Hegendorf, Personalleitung bei der Mülheimer Elomech Elektroanlagen GmbH. © Katja Bauer | Katja Bauer

Arbeitsvermittler Markus Skrbina sagt, er kenne nicht viele Unternehmen, die so zukunftsgewandt und engagiert seien wie Elomech - im Gegenteil: „Ich beobachte bei vielen, dass sie das Thema Fachkräfte erst mal weit weg schieben, mit dem Argument: Im Moment haben wir so viel zu tun.“

Die Quittung sei, dass es nicht selten Monate dauere, bis eine Stelle besetzt werden könne - wenn überhaupt. Zahlen belegen, wie groß die Lücke ist, die der Fachkräftemangel reißt - und wie die Situation sich entwickeln wird. Laut Agentur für Arbeit gehen dem Ruhrgebiet bis 2050 rund 270.000 Erwerbstätige verloren, im gleichen Zeitraum wird die erwerbsfähige Bevölkerung in Mülheim um 6,2 Prozent sinken.

Kontakt zu Markus Skrbina von der Agentur für Arbeit Mülheim: muelheim-ruhr.international@arbeitsagentur.de ,Telefon: 0208 44304 810

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