Mülheim. Erst lernte der junge Mülheimer Konditor, jetzt lässt er sich zum Dachdecker ausbilden. Warum ihm ein Job im Handwerk viel bedeutet.
Das Handwerk stöhnt unter dem Fachkräftemangel, die meisten Schulabgänger machen einen weiten Bogen um Ausbildungsberufe, bei denen man sich die Hände schmutzig machen könnte. Nicht so Nick Koch: Der 21-Jährige hat nach einer abgeschlossenen Berufsausbildung zum Konditor nun einen neuen Weg eingeschlagen – dem Handwerk aber bleibt er treu: Er lernt Dachdecker.
Die Lust, etwas mit den Händen zu schaffen – zumindest mehr als kunstvolle Sahnetorten – kam, als Nick Koch seine erste eigene Wohnung renovierte. „Da hab ich fast alles selbst gemacht, Fliesen gelegt und so“, erzählt der 21-Jährige. Was ihm in seinem erlernten Beruf als Konditor gefehlt hat, nämlich etwas Bleibendes zu schaffen, das sah er bei einem Handwerk in der Baubranche deutlich vor Augen.
Akkordarbeit mit der Spritztüte: Mülheimer Azubi in der Konditorei
Blickt er zurück auf seine Konditoren-Ausbildung in einem traditionsreichen Essener Café, sagt Nick Koch: „Das war teils Akkordarbeit, etwa wenn’s um Torten zum Schulanfang ging.“ Die Resonanz – zumindest die wertschätzende – sei selten bei ihm angekommen. „Wir bekamen nur zurückgemeldet, wenn etwas mal nicht richtig war.“ Und das nicht selten bei 14 Stunden langen Arbeitstagen, zu der ohnehin oft freizeit-belastenden Arbeitszeit in der Gastronomie. Zufrieden gemacht hat das den Mülheimer nicht.
Also fing er an, Mülheimer Handwerksbetriebe abzutelefonieren auf der Suche nach einer Alternative zum Konditor-Dasein. „Bei einigen ging gar keiner ans Telefon, auf Mails haben sie nicht geantwortet und wenn eine Website total alt aussah, hat mich das eher abgeschreckt“, schildert der 21-Jährige seine Erfahrungen. Bei der Dach- und Holzbau Gajda, Weise & Büker GmbH war das anders: Dort nahm jemand den Hörer ab – und war hocherfreut, dass ein junger Mensch Interesse an einer Ausbildung zeigte.
Mülheimer Dachdecker erhält so gut wie keine Bewerbungen
„Ich würde sofort noch ein bis zwei Azubis sowie zwei Gesellen einstellen, wenn sich denn jemand bewerben würde“, sagt Michael Gajda, der Chef von Nick Koch. Alle möglichen Wege bedient der Dachdeckermeister, um an Arbeitskräfte zu kommen: postet auf Instagram oder füttert Jobportale. Die Resonanz: mehr als bescheiden. „Es ist immer schwieriger geworden. Ich vermisse bei den jungen Leuten den Ehrgeiz, selbstständig zu werden und im Leben etwas erreichen zu wollen“, sagt Gajda.
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Nick Koch hingegen hat bereits konkretere Vorstellungen. Auf die Forderung seines künftigen Lehrherrn im Bewerbungsgespräch nach Ehrlichkeit und dem Streben, in seiner Entwicklung nie stehenzubleiben, konnte der junge Mülheimer guten Gewissens einschlagen. „Ich arbeite ja auf der Baustelle so, wie ich auch behandelt werden will. Wenn ich schlampe, riskiere ich Folgeschäden – das will keiner. Was wir hier machen, ist für die nächsten 50 Jahre relevant“, sagt Nick Koch und deutet auf das Dach eines Einfamilienhauses in Saarn, das gerade erneuert wird.
Ausbilder in Mülheim: „Ein Lehrling kostet mich im Jahr rund 25.000 Euro“
Hier auf der Baustelle schaffe er etwas Bleibendes – das habe er als Konditor vermisst, sagt der angehende Dachdecker. „Wenn ich später durch Mülheim fahre, kann ich sagen: Guck mal, das Dach haben wir gemacht!“ Viel mehr Motivation ziehe er daraus. Selbst die Berufsschule sei inzwischen okay für ihn. „Mit 16 wollte ich nach dem Realschulabschluss mit Schule nichts mehr am Hut haben, jetzt aber weiß ich, wofür ich dort sitze und lerne – nur für mich."
Das honoriert auch sein Ausbilder: „Er weiß was er will – und durch seine erste Ausbildung auch, was er nicht mehr will.“ Ein Glücksfall, das sei Nick für seinen Betrieb, betont Dachdeckermeister Gajda und nennt das Investment, das mit Ausbildung verbunden ist: „Ein Lehrling kostet mich im Jahr rund 25.000 Euro, abgesehen von seinem Gehalt. Denn nicht nur ich investiere meine Zeit in ihn, sondern auch die anderen Mitarbeiter, hinzu kommen Schulungen und so weiter.“
Mülheimer Zimmermeister wählt Azubis genau aus
Bei seinem Kompagnon, dem Zimmermeister Konrad Weise, trudeln schon häufiger Bewerbungen ein. „Bei uns bewerben sich viele junge Leute, die eine romantische Vorstellung vom Beruf des Zimmerers haben. Es ist zum Modeberuf geworden, denn man arbeitet ja ökologisch, mit Holz.“ Die Idealbesetzung für einen Ausbildungsplatz zu finden, gelingt aber auch Zimmermeister Weise nicht immer leicht. „Ich nehme die meisten vom Gymnasium, gelegentlich Studienabbrecher, darunter wird’s schon schwierig, weil die Schulqualität zu anspruchsvoll ist.“
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Den Jugendlichen könne man daraus keine Vorwurf machen, meint Konrad Weise, der vielmehr den Wandel der Gesellschaft für fatal hält: „Die Kinder bauen heute keine Hütten mehr draußen, sondern spielen nur am Computer – die sind Opfer der digitalen Welt, was durch Corona noch verstärkt wurde.“ Froh ist er, dass die beiden Abiturienten, die er gerade ausbildet „Bock auf den Beruf haben“. Beide aber brächten zudem einen handwerklichen Familienhintergrund mit – auch das komme nicht mehr oft vor.
Immerhin registriert Dachdeckermeister Michael Gajda inzwischen mehr Anerkennung für sein Können: „Früher hatten wir das Klischee Bauarbeiter, heute erfahren wir Wertschätzung, weil der Mangel an Handwerkern so groß ist – auf einen Dachdecker wartet man im Moment rund drei Monate.“