Mülheim. Ingo Clemens wirkt im Beirat zu Mülheims Mega-Projekt der „Parkstadt“ mit. Er fordert einen Kurswechsel bei der Planung. Jetzt sei noch Zeit.

Absehbar will die Stadt Mülheim sich für das ehemalige Tengelmann-Areal in Speldorf, aus dem der österreichische Investor Soravia eine „Parkstadt“ mit hunderten neuen Wohnungen entwickeln will, ein Vorkaufsrecht sichern - für den Fall, sollte Soravia das Filetstück der Stadtentwicklung weiterverkaufen. Ein Mitglied aus dem Projektbeirat sieht darin mehr eine „Nebelkerze“ denn ein taugliches Instrument zur Absicherung stadtentwicklungspolitischer Interessen oder zur Abwehr von Risiken.

Jenes Mitglied aus dem nicht öffentlich tagenden Projektbeirat ist Ingo Clemens, der dort den Kreis Mülheimer Architekten vertritt. Schon Ende März hatten Clemens und sein Kollege Ralf Harsveldt versucht, sich öffentlich Gehör zu verschaffen, mit ihrem „Weckruf“ an die örtliche Politik. Doch auf ihr Angebot, ihre Kritik am laufenden Bebauungsplanverfahren im Planungsausschuss darzulegen und zu begründen, war Mülheims Politik nicht eingegangen.

Kritischer Architekt zur Parkstadt Mülheim: „Es kann mega werden“ - aber...

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Clemens erneuerte nun im Gespräch mit dieser Redaktion seine Forderung, das Verfahren in seiner jetzigen Form zu stoppen, um Soravia das Gelände durch Baurecht nicht in einem Zug zu vergolden. Er rät, in klar differenzierten Schritten vorzugehen. Voran stellt Clemens dabei, dass er gegen die Parkstadt-Pläne an sich nichts einzuwenden hat: Er sei „einerseits der größte Fan dieses Projektes (wie auch schon bei Ruhrbania), andererseits auch der größte Gegner.“ Wenn alles so gebaut werde, wie skizziert, „kann es mega werden“, sagt Clemens zum städtebaulichen Entwurf. Aber...

...eine Risikoabsicherung seitens der Stadt sieht Clemens nicht. Im Fall der Fälle ein Vorkaufsrecht zu ziehen, sei für die klamme Stadt nicht finanzierbar. Auch über einen städtebaulichen Vertrag, den die Verwaltung zum Bebauungsplan mit Soravia schließen will, seien mögliche Risiken nicht wirkungsvoll einzugrenzen.

Architekt fordert, Soravia Baurecht erst in Etappen zu geben

Wegen der unlängst bekannt gewordenen Zahlungsschwierigkeiten einzelner Soravia-Projektfonds seien „alle mal kurz aufgeschreckt, aber nicht wachgeworden“, sagt Clemens. Er sieht als Mittel der Wahl, nicht in einem Guss Baurecht zu schaffen. Vielmehr sei das Verfahren stufenweise anzugehen, die aktuell laufende Bauleit- auf eine Rahmenplanung umzustellen und erst darauf aufsetzend und nacheinander vorhabenbezogene Bebauungspläne mit Durchführungsverträgen zu entwickeln. Auch Ruhrbania, was in der aktuellen baulichen Umsetzung zirka achtmal kleiner sei, habe man schließlich in mehrere Etappen aufgeteilt. Und heute sei die Welt deutlich fragiler als seinerzeit.

Clemens sieht in der Aufteilung a) den Vorteil, dass Soravia nicht auf einen Schlag groß Kasse machen könnte mit einem Weiterverkauf der dann um ein Vielfaches wertvolleren Fläche, b) die Möglichkeit für die Stadt, beim Dekadenprojekt stadtenwicklungspolitisch noch auf Trends und Erfahrungen reagieren zu können, und c) städtebauliche Inhalte „deutlich rechtssicherer und klarer zu definieren“. Warum das Planungsdezernat nicht diesen Weg wählt? Dafür habe er im Beirat bisher keine „argumentativ stichhaltige Antwort“ bekommen, so Clemens.

Der österreichische Investor Soravia will das ehemalige Tengelmann-Areal in Mülheim zur „Parkstadt“ entwickeln.
Der österreichische Investor Soravia will das ehemalige Tengelmann-Areal in Mülheim zur „Parkstadt“ entwickeln. © www.blossey.eu / FUNKE Foto Services | Hans Blossey

Wenn es nach dem Architekten ginge, würde die Stadt Baurecht für das „Jokerfeld“ inmitten des Areals, auf dem Soravia Hochhäuser bauen will, als letztes schaffen. Um sich alle Optionen zu halten, baurechtlich reagieren zu können. „Keiner bei der Stadt war jemals an einem Projekt dieser Größenordnung beteiligt. Nach dem Bau der vier Hochhäuser und des City Center (heute Forum) gab es in Mülheim nie mehr eine solche bauliche Dimension. Projekte dieser Größenordnung sind schwer kontrollierbar und steuerbar, mit mangelnder Erfahrung im Prinzip von Beginn an zum Scheitern verurteilt. Wenn das Fundament falsch berechnet und technisch mangelhaft ist, bekommt das Haus Risse und stürzt schlimmstenfalls ein“, so der Architekt. Aktuell herrsche eine naive Einstellung nach dem Motto „Das wird schon“ vor.

Ingo Clemens, Mülheimer Architekt mit Büro in Oberhausen, ist Mitglied im Parkstadt-Projektbeirat.

„Keiner bei der Stadt war jemals an einem Projekt dieser Größenordnung beteiligt. Nach dem Bau der vier Hochhäuser und des City Center (heute Forum) gab es in Mülheim nie mehr eine solche bauliche Dimension. Projekte dieser Größenordnung sind schwer kontrollierbar und steuerbar, mit mangelnder Erfahrung im Prinzip von Beginn an zum Scheitern verurteilt.“

Ingo Clemens

Projektbeirat fordert die Stadt zu größtmöglicher Vorsicht und juristischer Absicherung auf

Clemens hat Erfahrungen gesammelt mit Großprojekten, auch wenn er mit seinem Oberhausener Büro heute nicht mehr in solchen Dimensionen unterwegs ist. Als studentischer Mitarbeiter des international tätigen Architekturbüros von Gerkan, Marg und Partner (gmp) hat er einst beim Großprojekt der Messe Leipzig mitgewirkt. Für den Konzern Hochtief war er vor der Jahrtausendwende sieben Jahre in der Bauleitung aktiv. Als damalige Großprojekte nennt er die Kernsanierung vom Thyssen-Hauptsitz im Dreischeibenhaus in Düsseldorf, den Bau der E-Plus-Zentrale am Düsseldorfer Flughafen oder auch der heutigen Evonik-Zentrale an der A40. Später realisierte er für ein großes Mülheimer Büro als Projektleiter die Neue Mitte Broich.

„Ich kenne Großprojekte“, sagt er und fragt: „Cui bono?“ Wem nützt es, wenn für die Parkstadt jetzt in einem Zuge Baurecht geschaffen wird? Den Nutzen der Stadt vermag Clemens nicht zu erkennen und blickt auf die komplexe Struktur des Soravia-Konzerns mit solitären Projektentwicklungsgesellschaften, die bei Problemen unterzugehen drohen, weil der Konzern ihnen benötigte Mittel nicht zuschustern muss, wie aktuell offenbart. „Sollte Soravia irgendwie in Schwierigkeiten geraten, steht eines definitiv fest: Erwin Soravia wird danach nicht einen einzigen Cent auf seinem Konto vermissen“, so Clemens. Er fordert die Stadt zu größtmöglicher Vorsicht und juristischer Absicherung auf.

Architekt: Abrissbürgschaften sind „absolut unabdingbar“

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Neben der Umstellung des baurechtlichen Verfahrens mahnt Clemens an, dass der OB Wort hält und „eine renommierte, planungsrechtlich spezialisierte und sehr erfahrene Anwaltskanzlei“ einschaltet, die der Stadt hilft, bei Verhandlungen mit Soravia auf Augenhöhe zu agieren. „Diese Augenhöhe ist bei städtischen Rechtsämtern gegenüber den Kanzleien von Großinvestoren nicht ansatzweise vorhanden, das liegt in der Natur der Sache.“

Mit Fingerzeig auf die Bauruine am Kassenberg seien etwa Abrissbürgschaften „absolut unabdingbar“, so der Architekt. „Eine durch Insolvenz (von wem auch immer) ausgelöste größere Bauruine im Rohbauzustand könnte sonst mehrere Jahrzehnte als Mahnmal für zu optimistische Erwartungen und Hoffnungen den ganzen Stadtteil schädigen“. Wirksam durchgreifende Abrissbürgschaften seien aufgrund des Insolvenzrechtes „ein juristisch sehr komplexes und schwieriges Thema“, ebenso Inhalte von Durchführungsverträgen oder - wenn die Stadt das Verfahren nicht auf vorhabenbezogene Bebauungspläne umstellen sollte - bei einem städtebaulichen Vertrag.

Mülheims Planungsdezernent wiegelt ab: Teilung des Verfahrens nicht angedacht

„Egal wie es weitergeht: Ohne erfahrene juristische und projektleitende Begleitung für Großprojekte braucht die Stadt gar nicht erst in den Ring zu steigen, da erfolgt der technische K.o. bereits vor Beginn der ersten Runde“, so Clemens.

Juristische Experten-Begleitung hatte der OB schon angekündigt. Mülheims Bau- und Planungsdezernent Felix Blasch denkt aber nicht daran, das aktuelle Verfahren zu stoppen und das Projekt in mehrere vorhabenbezogene Bebauungspläne zu trennen. „Für uns kommt es darauf an, die Qualitäten, die wir wollen, im Bebauungsplan abzusichern“, so Blasch. Daneben stehe eine Absicherung des Projektes über einen städtebaulichen Vertrag mit Soravia. All dies sei in der Prüfung.

Planungsdezernent und Soravia verweisen auf hohe Investitionen als Vorleistung

Eine Aufteilung in mehrere Pläne alleine sei nicht die Lösung, sie schaffe Probleme hinsichtlich der „Wirtschaftlichkeit und Praktikabilität“, verweist Blasch etwa darauf, dass es problematisch sei, Soravia einerseits den Bau des Sees als zwingende Lösung zur Entwässerung vorzuschreiben, dann aber nur einen Teil der Bebauung zu genehmigen, auf der das Konzept fuße. Das Gleiche gelte für die Erschließung, die Soravia Investitionen abverlange, bevor der Spatenstich für einen der Hochbauten gesetzt werde.

Lorenz Tragatschnig, Projektleiter der „Parkstadt Mülheim“ für den österreichischen Investor Soravia, hier in einem der Wohnhochhäuser des Soravia-Projektes „Triiiple“ in Wien.
Lorenz Tragatschnig, Projektleiter der „Parkstadt Mülheim“ für den österreichischen Investor Soravia, hier in einem der Wohnhochhäuser des Soravia-Projektes „Triiiple“ in Wien. © Mirco Stodollick

Genau in diese Richtung argumentiert auch der Projektentwickler. Es werde in Abstimmung mit der Stadt „ein zusammenhängender Bebauungsplan entwickelt, um die städtebaulichen Auswirkungen in ihrer Gesamtheit untersuchen und bewerten zu können“, so Projektleiter Lorenz Tragatschnig. Auch die technischen Infrastrukturmaßnahmen (Entwässerung, Verkehrsflächen) würden für das gesamte Quartier geplant und umgesetzt, so auch der See. „Bebauungspläne sind für einen langen Planungshorizont ausgelegt. Bei der Entwicklung eines Stadtquartiers ist langfristige Planungssicherheit für die Projektentwicklerin von wesentlicher Bedeutung“, so Tragatschnig, der wiederholt, dass Soravia die Parkstadt in einem Zeitraum von bis zu zehn Jahren bauen wolle.

Ein Rahmenplan-Verfahren hält Tragatschnig nicht für nötig. Es gebe einen solchen ausgearbeiteten Plan als informelle Grundlage für den Bebauungsplan. Er werde als Anlage dem städtebaulichen Vertrag beigefügt sein. In jenem Vertrag, so argumentiert Tragatschnig, könnten „vergleichbare Regelungen wie in Durchführungsverträgen“ bei vorhabenbezogenen Bebauungsplänen getroffen werden. Das in Rede stehende Vorkaufsrecht für die Stadt greife zusätzlich.

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