Mülheim. Mülheim, die geteilte Stadt: In kaum einer anderen Stadt Deutschlands begegnen sich Arm und Reich seltener. Selbst Duisburg schneidet besser ab.
Mülheim ist eine geteilte Stadt. In kaum einer anderen Stadt Deutschlands sind Besserverdienende so stark unter sich, wie in bestimmten Mülheimer Stadtteilen. So lautet das Ergebnis einer Studie des Soziologen Marcel Helbig, die in diesem Jahr neu erschienen ist. Darin wird die Armuts- und Einkommensaggregation, sprich die Verteilung von Arm und Reich in deutschen Städten untersucht.
In der Studie vom Bamberger Leibniz-Institut für Bildungsverläufe sind nun erstmals auch räumlich vergleichbare Daten der Bundesagentur für Arbeit eingeflossen. Sowohl im bundesweiten Städtevergleich als auch in der zeitlichen Entwicklung besetzt Mülheim einige unrühmliche Spitzenplatzierungen.
In der Mittelschicht bleibt man unter sich
Bei der Einkommenssegregation deutscher Großstädte belegt Mülheim bundesweit den vierten Platz, hinter Hamburg, Essen und Rostock. Das heißt, fast nirgendwo in Deutschland sind Wohlhabende – hier: alle, die 4900 brutto oder mehr verdienen – so unter sich, wie in Mülheim.
Überträgt man die in die Studie eingegangenen Daten auf einen Stadtplan, wie es die Wochenzeitung Die Zeit unlängst gemacht hat, ergibt sich ein klares Bild. Die Trennlinie verläuft im Osten ungefähr entlang der Bahnstrecke Richtung Essen, Richtung Westen entlang der Duisburger Straße. Im Süden konzentrieren sich erkennbar bürgerliche, im Norden ärmere Schichten; in Broich und Teilen Speldorfs mischen sie sich. Ein typisches Bild in der Region, weswegen die Autobahn A40 auch „Sozialäquator des Ruhrgebiets“ genannt wird.
Im Ruhrgebiet konzentriert sich Armut nur in Essen stärker
Noch stärker geteilt ist etwa die Stadt Köln: Links vom Rhein wohnen fast nur noch Besserverdienende, rechts alle anderen. In Köln ist das Zentrum ein lückenlos teures Pflaster, was für Mülheim wiederum nicht gilt: Der Innenstadtbereich wird eher von Geringverdienern bewohnt. Ein typisches Muster im Ruhrgebiet.
Bei der Armutssegregation belegt Mülheim Platz 32 von 93. In NRW sind nur Essen (27), Bonn (25), Köln (23) und Krefeld (15) stärker polarisiert. Die unrühmlichen Spitzenreiter liegen derweil fast alle in den neuen Bundesländern: Schwerin(1), Greifswald (3) und Halle (3), alles Städte mit großen Plattenbausiedlungen aus DDR-Zeiten.
In Mülheim wachsen arme Kinder mit armen Kindern auf
In Mülheim sind Besserverdienende besonders in Teilen Saarns, rund um den Flughafen und im waldnahen Bereich von Speldorf und Broich unter sich; besonders hohe Anteile armer Menschen finden sich im Süden von Mellinghofen, in Styrum und – entgegen dem Grundmuster – im Broicher Wohngebiet Strippchens Hof.
Das hat Folgen, denn auch bei der Armutssegregation von Kindern belegt Mülheim mit Platz 31 eine unrühmliche Spitzenposition im Ruhrgebiet: Nur in Witten (30) herrscht eine noch geringere sozial Durchmischung einkommensschwacher und -starker Familien.
Bürgergeld-Empfänger bleiben immer stärker unter sich
Die ärmsten unter ihnen wachsen in Haushalten ohne geregeltes Einkommen auf. Bei der Armutssegregation von ALG-II-Empfängern belegt Mülheim unter allen deutschen Städten mit mehr als 100.000 Einwohnern Platz 14, im Ruhrgebiet ist das der zweite Platz hinter Essen (11). Seit 2014 sind die Werte landesweit nur in Bottrop und Gelsenkirchen stärker gestiegen.
Der Soziologe Marcel Helbig hat die Republik für seine Studie in die Teile Nord, Ost, Süd, West und das Ruhrgebiet geteilt. Allein daran ist abzulesen, welch singuläre Bedeutung das Revier in Deutschland spielt: Hier leben rund 5 Millionen Menschen, ungefähr so viele wie in Thüringen und Schleswig-Holstein zusammen.
In einigen Stadtvierteln lebt mehr als die Hälfte der Kinder von Transferleistungen
Allein anhand der Segregationswerte würde man das Ruhrgebiet eher im Osten der Republik vermuten. Der Städteteppich entlang der Ruhr ist nur sehr bedingt vergleichbar mit anderen Regionen Nordrhein-Westfalens. Und die Spaltung schreitet weiter voran. „Das Ruhrgebiet hat unter den westdeutschen Städten einen eigenen Entwicklungspfad eingeschlagen, der zu immer stärkeren Ungleichheiten führt. Und diese führen – noch viel stärker als bei den ostdeutschen Städten – zu einer Ballung von Armut, besonders von Kinderarmut“, so Helbig. Heute sehe man dort eine Reihe von Stadtvierteln, in denen zum Teil mehr als die Hälfte der Kinder von Transferleistungen lebt.
Ist dieser Prozess einmal in Gang geraten, ist er schwer zu stoppen: „Problematisch sowohl für die Armut als auch für die Einkommenssegregation ist, dass sie besonders stark zunimmt, wenn bereits ein hohes Maß an Ungleichheit erreicht ist“, schreibt Helbig in der Studie. In Quartiere mit schlechtem Ruf zieht nur, wer muss, Investitionen in Vierteln mit geringer Kaufkraft bleiben aus; in beliebten Wohngegenden, in denen noch am ehesten gebaut wird, werden dagegen immer höhere Mieten aufgerufen.
Ausgerechnet Wohnungsnot fördert die soziale Durchmischung
Ausgerechnet ein angespannter Mietmarkt, schreibt Helbig, könnte aber zu einer stärkeren sozialen Durchmischung führen, dann nämlich, wenn die Mittelschicht sich gezwungen sieht, in ärmere Stadtteile ziehen zu müssen. Dieser Trend lässt sich gerade gut in Süddeutschland beobachten, wo die Polarisierung genau aus diesem Grund in den vergangenen Jahren spürbar nachgelassen hat.
Auf diesen Prozess sollte man indes nicht unbedingt hoffen. Weniger Polarisierung würde erkauft um den Preis noch größerer Wohnungsnot. Städte und Kommunen könnten und sollten gegensteuern, besonders mit dem gezielten Bau von Sozialwohnungen. Und das möglichst frühzeitig. „Denn wenn die Gräben der sozialen Spaltung irgendwann zu tief sind, wenn sie für alle sichtbar wird, dann können Städte so gut wie nichts mehr tun.“
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