Kreis Wesel. Wohlfahrtsverbände im warnen vor Sparplänen in Integration und Migration, die gesellschaftliche Spaltung vertiefen könnten.
Mit einem Brandbrief reagieren Sozialverbände aus dem Kreis Wesel auf die Sparpläne von Bund und Land, vor allem auf Kürzungen im Bereich Flucht, Migration und Integration. „Es macht uns fassungslos, zu lesen, dass die Haushaltsplanungen vorsehen, vor allem an der Integration der Geflüchteten und Migrant*innen in unserer Gesellschaft Millionen zu sparen“, heißt es in dem Schreiben an die hiesigen Bundes- und Landtagsabgeordneten. Die Entscheidung beschleunige und vertiefe die Spaltung der Gesellschaft, „indem sie eine gleichberechtigte gesellschaftliche Teilhabe in noch weitere Ferne rücken lässt und die soziale Ungleichheit weiter befördert.“
Mehr Geld in die Bildung und Integration investieren
Die Verbände berufen sich auf den Bildungsmonitor 2024, der aufzeigt, dass Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund, deren Eltern sprachliche und Bildungsdefizite haben, es in Schule und Berufsleben schwer haben. „Diese Studie empfiehlt, mehr Geld in diese Familien zu investieren, damit diese demografischen Potenziale nicht ungenutzt bleiben“, so der Brief.
Einer der Unterzeichner ist Awo-Vorstand Bernd Riekemann. „Für uns bedeuten die Kürzungen, dass Dienste geschlossen oder verringert werden müssen“, sagt er, „aktuell prüfen wir genau. Wir hoffen aber, dass noch einiges abgewendet werden kann.“ In ihrem Brief kritisieren die Verbände gezielt Bundesfinanzminister Lindner, der die Sparmaßnahmen als „Stärkung der Treffsicherheit der Sozialausgaben“ beschreibe.
Für Riekemann ist das zynisch, „was sollen die Menschen denn machen, wenn sie keine Unterstützung bei der Integration bekommen?“, fragt er. Gerade im politisch sensiblen und emotional belasteten Bereich der Geflüchteten sei das ein Schuss, der nach hinten losgeht, prophezeit Riekemann. „Es ist ja nicht so, dass dadurch weniger Flüchtlinge zu uns kommen.“ Tatsächlich seien mehr Mittel im Integrations- und Beratungsbereich notwendig, die helfen würden, die aktuellen Probleme zu lösen. Die Verbände zitieren in ihrem Schreiben den ehemaligen Bundespräsidenten Gustav Heinemann: „Man erkennt den Wert einer Gesellschaft daran, wie sie mit den Schwächsten ihrer Glieder verfährt.“
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Soziale Leistungen der Wohlfahrtsverbände chronisch unterfinanziert
Die Verbände als Träger sozialer Leistungen hielten seit Jahren unterfinanzierte Angebote an die Menschen aufrecht, die sie dringend brauchten, schreiben sie. In der Regel sind staatliche Mittel Zuschüsse, die Wohlfahrtsverbände müssen Eigenanteile aufbringen. „Leider entsprechen viele dieser staatlichen Zuschüsse längst nicht mehr der Realität“, so der Brandbrief, die Verbände nennen Tarifsteigerungen, Mieten, Nebenkosten und Preise. „Heute sind wir an dem Punkt, dass wir nicht mehr wissen, wie wir diese enormen Eigenmittel noch aufbringen können.“
Konkret geht es darum, dass der Bund die Mittel für psychosoziale Beratung Geflüchteter halbieren will und die Migrationsberatungen nicht entsprechend der gestiegenen Kosten aufstocke. Beim Land falle die gesamte Finanzierung der Asylverfahrensberatung, und es sei ungewiss, ob die Stellenanteile vom Bund weiter getragen werden. Zudem streiche das Land die Ausreise- und Perspektivberatung freier Träger in den Landesunterbringungen, damit entfalle eine unabhängige Beratung. Und es sei unklar, ob die Zentralen Ausländerbehörden das auffangen können. Wird der Landeshaushalt 2025 wie im Entwurf beschlossen, gibt es auch kein Geld mehr für interkulturelle Zentren.
„Was sollen die Menschen denn machen, wenn sie keine Unterstützung bei der Integration bekommen? Dieser Schuss wird nach hinten losgehen.“
Awo-Vorstand Riekemann betont, dass es nicht um das Thema Migration und Flucht allein gehe, die Kürzungen im gesamten sozialen Bereich seinen massiv, „es geht um die komplette soziale Infrastruktur, die Schuldnerberatungen etwa und die sozialen Dienste.“ Gegen diese Pläne gehen Awo und andere Akteure, wie berichtet, am 13. November in Düsseldorf auf die Straße, mit anschließender Kundgebung vor dem Düsseldorfer Landtag.
Appell an die Abgeordneten in Bund und Land
In ihrem Brief richten sie sich an Bundes- und Landtagsabgeordnete: „Wir fordern Sie auf, nicht weiter zuzuschauen, wie die vielfältigen, gemeinnützigen und menschennahen Strukturen zerstört werden.“ Die Freie Wohlfahrtspflege habe die demokratische Landschaft im Kreis Wesel mitgestaltet und mitgeprägt. „Jetzt benötigen wir Ihre Unterstützung und Ihre klare Haltung im Interesse der Menschen, die auch zu unserer Gesellschaft gehören und aufgrund der geplanten Kürzungen viel verlieren würden.“ Der Brief ist unterzeichnet vom Awo Kreisverband Wesel, dem Diakonischen Werk des Kirchenkreises Wesel, dem Caritasverband Moers-Xanten, der Diakonie im Evangelischen Kirchenkreis Dinslaken, dem Internationalen Kulturkreis Moers und dem DRK Dinslaken-Voerde-Hünxe.