Berlin. Geflüchtete Ukrainer profitieren bisher von einfachen und schnellen Zugängen zu Sozialleistungen. Lindner will das jetzt ändern.
Christian Lindner (FDP) hat einen neuen Vorstoß gewagt, um den Bundeshaushalt zu entlasten. Er schlug in der „Wirtschaftswoche“ vor, den rechtlichen Status von Ukrainerinnen und Ukrainern, die vor dem russischen Angriffskrieg nach Deutschland geflüchtet sind, zu ändern. Damit sollen die Geflüchteten in Zukunft weniger Sozialleistungen erhalten. Lesen Sie hier die Antworten auf die wichtigsten Fragen.
Wie viele Ukrainer sind nach Deutschland geflüchtet?
Laut dem Ausländerzentralregister befanden sich im August 2024 rund 1,3 Millionen Ukrainerinnen und Ukrainer in Deutschland. Dabei handelt es sich zu einem sehr großen Teil um Kriegsflüchtlinge. Allein 2022, also in dem Jahr als die russische Offensive begann, kamen rund 1,1 Millionen Menschen aus der Ukraine nach Deutschland. Die meisten ukrainischen Kriegsflüchtlinge sind Frauen und Kinder. Seit Kriegsbeginn ist es Männern zwischen 18 und 60 Jahren verboten, die Ukraine zu verlassen, es gibt nur wenige Ausnahmen.
Wie viele Ukrainer arbeiten in Deutschland?
Von diesen 1,3 Millionen Menschen sind laut Bundesagentur für Arbeit rund 887.000 zwischen 15 und 65 Jahre alt, also im erwerbsfähigen Alter. Davon arbeiten aber nur etwa 29 Prozent. Ein Grund dafür ist, dass über ein Drittel der erwerbsfähigen Ukrainer in Deutschland in die Gruppe der „nicht-arbeitslosen erwerbsfähigen Leistungsberechtigten“ fällt.
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Damit sind Menschen gemeint, die im erwerbsfähigen Alter sind, aber aufgrund anderer Verpflichtungen nicht arbeiten können. Hauptsächlich geht es dabei um Menschen, die sich noch in Schule, Studium oder Ausbildung befinden oder aktuell einen Integrationskurs oder andere Maßnahmen zur beruflichen Vorbereitung absolvieren. Insgesamt haben im Juni 2024 rund drei Fünftel der Ukrainer im erwerbsfähigen Alter Bürgergeld bezogen.
Welche Sozialleistungen erhalten Ukrainer in Deutschland?
Ukrainer, die eine Aufenthaltserlaubnis in Deutschland haben, oder über deren Aufenthaltserlaubnis noch nicht final entschieden ist, können in Deutschland Sozialleistungen erhalten. Wenn sie erwerbsfähig sind, aber ihr Einkommen und Vermögen zu gering sind, um die Lebenshaltungskosten zu decken, können sie Bürgergeld bekommen. Eingeschränkt Erwerbsfähige oder Rentner können Sozialhilfe bekommen.
Die Höhe der Sozialleistungen ist dabei genauso hoch wie für deutsche Bezieher. Alleinstehende erhalten nach Regelsatz 563 Euro im Monat, für Kinder unter 18 gibt es je nach Alter bis zu 451 Euro pro Monat plus 20 Euro Kindersofortzuschlag. Auch für Unterkunft und Heizung sowie bestimmte einmalige Bedarfe gibt es Zahlungen, deren Höhe von Fall zu Fall unterschiedlich ist.
Was unterscheidet Ukrainer von anderen Geflüchteten?
Normalerweise erhalten Geflüchtete in Deutschland zunächst Leistungen nach dem Asylbewerbergesetz, solange ihr Asylverfahren läuft. Diese Leistungen sind niedriger als die Regelsätze für Bürgergeld und Sozialhilfe. Alleinstehende erhalten bis zu 460 Euro pro Monat, Kinder unter 18 je nach Alter bis zu 408 Euro. Für Ukrainer gilt aber eine Sonderregelung. EU-weit wird ihnen ein vorübergehender Schutz zugestanden, sie müssen kein Asylverfahren durchlaufen und haben sofort Anspruch auf Sozialleistungen, die anderen Asylbewerbern nicht zustehen. Die Regelung gilt noch bis zum 4. März 2026.
Was will Christian Lindner ändern?
Bundesfinanzminister Christian Lindner will nun an den Leistungen für geflüchtete Ukrainer drehen. Ihm schwebt eine Kombination „aus den Leistungen für Asylbewerber in Verbindung mit den arbeitsmarktpolitischen Instrumenten des Bürgergeldes“ vor. Das bedeutet: Ukrainer sollen zwar weiterhin sofort einen vorübergehenden Schutz bekommen, aber nur noch Leistungen erhalten wie Asylbewerber, deren Verfahren noch läuft.
Was will Lindner damit erreichen?
Ziel dieser Reform wäre es wohl, den finanziellen Druck auf Ukrainer zu erhöhen. Damit wären mehr Ukrainer gezwungen, sich einen Job zu suchen, wodurch sie nicht mehr auf Sozialleistungen angewiesen wären. Sollte Russland in der Ukraine weiter vorstoßen, könnte erneut eine große Welle ukrainischer Flüchtlinge nach Deutschland kommen, auch diese hätten nach aktueller Regelung sofort Anspruch auf Bürgergeld.
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Allerdings: Rund ein Viertel der arbeitslosen Ukrainer in Deutschland verfügt über eine akademische Ausbildung, ist also hoch qualifiziert. Doch um diese Expertise einbringen zu können, sind Sprachkenntnisse nötig, die in Integrationskursen vermittelt werden. Laut Arbeitsagentur sollen rund 73.000 Ukrainer einen solchen Kurs im Laufe des nächsten halben Jahres abgeschlossen haben. Diese stünden dann dem Arbeitsmarkt zur Verfügung.
Wie sind die Reaktionen auf Lindners Vorstoß?
Von links kommt Kritik an dem Vorschlag. „Der FDP-Minister will nur Ressentiments bedienen, anstatt allen Geflüchteten, unabhängig von ihrer Herkunft, rasch den Zugang zum Arbeitsmarkt zu ermöglichen“, kritisierte Lorenz Gösta Beutin, aus dem Parteivorstand der Linken.
Unterstützung erfährt Lindner hingegen aus der Union. „Das Bürgergeld muss verändert werden. Für Deutsche wie für ukrainische Geflüchtete“, sagte Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) dieser Redaktion. Die Integration der ukrainischen Geflüchteten in den Arbeitsmarkt müsse Vorrang haben, so Kretschmer weiter. In anderen EU-Staaten würde dies besser funktionieren.
Ähnliche Töne schlug auch Alexander Dobrindt, Vorsitzer der CSU-Gruppe im Bundestag, an: „Es muss ein neues Leistungssystem für ukrainische Flüchtlinge geben, das deutlich unterhalb des Bürgergeldes anzusiedeln ist“, sagte er dieser Redaktion. Es brauche außerdem stärkere Mitwirkungspflichten, wenn es um die Arbeitsaufnahme geht. „Wer zumutbare Arbeit verweigert, der muss mit erheblichen Leistungskürzungen rechnen“, so Dobrindt.
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