Düsseldorf. CDU und Grüne wollten ihr soziales Profil schärfen. Nun kursiert eine „Liste der Grausamkeiten“, die das Gegenteil belegt.

Der Landeshaushalt ist unter Druck, und die Regierung von CDU und Grünen haben sämtliche Ministerien auf einen harten Sparkurs eingeschworen. Allerdings, so scheint es, wird bevorzugt im Sozialen gespart. Sechs große Wohlfahrtsverbände nennen in einer Liste Dutzende Beispiele für geplante Kürzungen, von der Armutsbekämpfung bis hin zu Zinshilfen für Pflegeheime. Es ist eine Liste der sozialen Grausamkeiten.

Die Auflistung der Kürzungsfantasien für den Landeshaushalt 2025 ist lang, und unterm Strich stehen satte 83 Millionen Euro weniger fürs Soziale. So viel Geld will Schwarz-Grün offenbar allein bei der Landesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege kürzen, also bei Caritas, Diakonie, Rotem Kreuz, Arbeiterwohlfahrt, Paritätischem und bei den Landesverbänden der Jüdischen Gemeinden. Direkt bei diesen Verbänden und indirekt bei hunderten Beratungsstellen, die von den Verbänden unterstützt werden. Das schlage künftig massiv auf die Hilfsarbeit vor Ort durch, zum Beispiel auf die Sucht-, die Familien-, die Schulden- und die Berufsberatung, aber auch auf die Integration von Geflüchteten, so die Befürchtung.

Gewalt gegen Frauen
Von den geplanten Kürzungen betroffen ist laut den Wohlfahrtsverbänden auch der Schutz für von Gewalt betroffene Frauen. Büros, die diesen Frauen helfen, sollen rund 1,9 Millionen Euro weniger Zuschüsse bekommen. © picture alliance / photothek | Thomas Trutschel

Sparen im Sozialen. Ist NRW immer noch das „soziale Gewissen der Bundesrepublik“?

„Wir sind zutiefst besorgt über die von der Landesregierung eingeleitete Sparpolitik im sozialen Bereich und fordern die Verantwortlichen nachdrücklich zur Kurskorrektur auf. Viele Träger können ihre Angebote schon heute kaum noch aufrechterhalten und müssen ihre Dienste reduzieren“, warnt Hartmut Krabs-Höhler, Vorsitzender der Freien Wohlfahrtspflege NRW. Der Vorwurf eines gebrochenen Versprechens steht im Raum. Denn im Koalitionsvertrag zwischen CDU und Grünen steht ausdrücklich auf Seite 94: „Wir wollen den sozialen Zusammenhalt in einer sich wandelnden Gesellschaft stärken.“ Mehr noch: NRW müsse „das soziale Gewissen der Bundesrepublik“ bleiben.

Wird die Landesregierung diesem Anspruch gerecht? Eine detaillierte Liste, die dieser Redaktion vorliegt, enthält jedenfalls eine Fülle größerer und kleinerer Sparpläne. Zum Beispiel sollen im Bereich „Migration, Flucht und Integration“ insgesamt rund 22,7 Millionen Euro eingespart werden, so bei der Sozialberatung für Geflüchtete und bei der Integrationsförderung in den Städten. Im Bereich „Familienbildung und Familienhilfen“ soll das Minus rund zehn Millionen Euro betragen, bei „Alter und Pflege“ fast 13 Millionen Euro. Die Unterstützung für Menschen mit Behinderungen soll den Angaben zufolge um 6,7 Millionen Euro heruntergefahren werden. Sogar bei der Förderung der Politik für „queere Menschen“ werde gespart, also bei einem Herzensthema des grünen Regierungspartners.

Große Demo vor dem Landtag geplant

Die in der Landesarbeitsgemeinschaft (LAG) organisierten Wohlfahrtsverbände reagieren mit diversen „Mahnwachen“ vor dem Landtag auf die Sparpläne im Sozialen Gleichzeitig mobilisieren sie Protest für eine Großkundgebung in Düsseldorf am 13. November, also pünktlich zur „Halbzeit“ dieser Landesregierung. Ein „Protestmarsch“ soll vom Düsseldorfer Hauptbahnhof bis zum Landtag führen. Im vergangenen Herbst kamen zu einer vergleichbaren Demonstration rund 25.000 Menschen in die Landeshauptstadt.

Zu Wahrheit gehört allerdings, dass Schwarz-Grün in einigen Bereichen sogar eine Schippe drauflegen möchte: Die Förderung für Gesundheitsberufe steigt zum Beispiel um fast 13 Prozent, die Kostenerstattung für die Zentralen Ausländerbehörden um fast sechs Prozent, die Zuwendungen für „Kinderbetreuung in besonderen Fällen“ gar um 20 Prozent. Für die umstrittenen Bezahlkarten für Geflüchtete gibt das Land rund 12,5 Millionen Euro, obwohl das Interesse der Städte daran bisher klein ist. Auch für die Kitas ist mehr Geld drin, ebenso für den offenen Ganztag. Die OGS zum Beispiel erhält rund 83 Millionen Euro mehr – ein Plus von 14 Prozent.

NRW-Finanzministerium: „Es wird möglichst schonend gespart“

Das NRW-Finanzministerium bestätigte auf Nachfrage, dass im Haushaltsplanentwurf für das Jahr 2025 „erhebliche“ Einspar-Anstrengungen steckten, die insgesamt und über sämtliche Ministerien hinweg rund 3,6 Milliarden Euro ausmachten. „Dabei haben die Ressorts Wert daraufgelegt, dass die notwendigen Einsparungen möglichst schonend vorgenommen werden“, erklärte das Ministerium.

SPD-Fraktionsvize Kapteinat: „Was jetzt zerstört wird, lässt sich nicht so einfach wieder aufbauen“

Die SPD-Opposition ist dennoch alarmiert und meint, von einem „schonenden“ Sparkurs könne keine Rede sein. „Sollte der Haushalt wirklich so verabschiedet werden, dann hätte das katastrophale Auswirkungen auf die soziale Infrastruktur“, sagte Fraktionsvize Lisa-Kristin Kapteinat dieser Redaktion. Der NRW-Landesregierung müsse bewusst sein, dass sie die Strukturen, die sie jetzt „zerstöre“, nicht ohne Weiteres morgen wieder aufzubauen seien. „Besonders dramatisch sind zum Beispiel die Kürzungen von über 60 Prozent für Familienberatungszentren. Schwer erreichbare Familien haben dann kaum noch Zugang zu psychosozialer Beratung. Aber auch die Kürzungen von über 60 Prozent im Bereich des Programms ,Kein Abschluss ohne Anschluss‘ sind verheerend“, meint Kapteinat. Wer beim wichtigen Thema Übergang von der Schule den Rotstift ansetze, benachteilige vor allem Schülerinnen und Schüler aus schwierigen Verhältnissen.

„Sollte der Haushalt wirklich so verabschiedet werden, dann hätte das katastrophale Auswirkungen auf die soziale Infrastruktur“, sagte SPD-Fraktionsvize Lisa-Kristin Kapteinat.
„Sollte der Haushalt wirklich so verabschiedet werden, dann hätte das katastrophale Auswirkungen auf die soziale Infrastruktur“, sagte SPD-Fraktionsvize Lisa-Kristin Kapteinat. © SPD NRW | SPD NRW

Christian Woltering, Vorstand des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes in NRW, erinnert daran, dass die direkten Zahlungen des Landes an die sechs großen Wohlfahrtsverbände um 2,1 Millionen Euro auf bald nur noch rund vier Millionen Euro gekürzt werden sollen. „Das ist im Grunde eine symbolische Summe“, sagt Woltering. Allein der Paritätische müsse im Jahr 2025 wahrscheinlich mit 380.000 Euro weniger auskommen als bisher. „Das nimmt uns den Spielraum für unsere Arbeit.“

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