Kreis Wesel. Die Bauern im Kreis Wesel starten mit der Ernte – und kämpfen mit Problemen. Auch die Politik spielt wieder eine Rolle, neue Proteste im Herbst?

Treckerdemos? Aktuell ist das kein Thema in der heimischen Landwirtschaft. Niemand hat die Zeit, sich in Protestkundgebungen gegen die Agrarpolitik einzureihen: Gerste- und Heuernte stehen an. Zumindest dort, wo die Felder inzwischen befahrbar sind, wegen der Nässe der vergangenen Monate ist das bei weitem nicht überall im Kreis Wesel der Fall. Aktuell gehen die Bauern also ihrem Kerngeschäft nach – was nicht heißt, dass sie zufrieden sind mit dem, was aus Berlin und Brüssel so auf sie zukommt. Oder, dass sie es kommentarlos hinnehmen wollen.

An erster Stelle steht die Ernte. Das Wetter war auch im Juni seltsam: weiter sehr nass, dazu kalt. Johannes Leuchtenberg, Vorsitzender der Kreisbauernschaft Wesel, erläutert auf Anfrage: „Das Gras ist gut gewachsen, wenn man es denn vom Feld bekommt.“ Er selbst habe zwei große Wasserpfützen auf seinem Land, an diesen Stellen sei an Ernte nicht zu denken, so der Neukirchen-Vluyner. Gras ist für Milchviehhalter der Rohstoff für Grassilage, ihre Kühe brauchen junges Gras, das mehr Energie und Eiweiß liefert. Pferdehalter brauchen dagegen Heu für ihre Tiere und sie nutzen die bislang wenigen trockenen Tage, um es zu ernten.

Kartoffelbauer kämpfen gegen Kraut- und Knollenfäule an

Dieser Tage werde die erste Gerste gedroschen, solche, die früh gesät wurde oder auf leichtem Boden steht. Der Weizen sei gekeimt. „Wie er wird, das wissen wir noch nicht“, sagt er mit Blick auf das Desaster des vergangenen Jahres. Es komme darauf an, dass es während der Reifezeit nicht übermäßig regnet, sie beginnt Ende Juli/Anfang August. Landwirt Frank Terhorst aus Sonsbeck erwartet in seinem Bereich nichts Gutes vom Weizen, die Böden seien im Herbst zu nass gewesen, um zu säen. Voraussichtlich werde es Probleme mit den Erträgen und der Qualität geben.

Der Mais sei gesät, auch hier zeigt sich Terhorst eher skeptisch. „Stabiles Wetter ist nicht in Sicht, wir müssen gucken, was passiert, die kommenden drei Wochen zählen.“ Nicht gut sehe es derzeit bei den Kartoffelbauern aus, so Leuchtenberg, sie kämpfen durch die Nässe gegen die Kraut- und Knollenfäule an, Phytophthora. Im Getreide sind Pilze ein Thema, hier erwartet auch er eine durchschnittliche Ernte.

Johannes Leuchtenberg

„„Landwirtschaftsminister Özdemir erzählt was, bekommt aber keinen Applaus mehr. Man kann es nicht mehr hören.“

Johannes Leuchtenberg

Und die Agrarpolitik? Johannes Leuchtenberg kämpft mit der Kreisbauernschaft im Rheinischen Landwirtschaftsverband (RLV) für die Belange der Landwirte, Frank Terhorst im Verein „Land sichert Versorgung“. Zufrieden sind beide nicht. „Das neue Düngepaket ist nicht gut für uns“, sagt Leuchtenberg. Und auch von den anderen Themen, die die Bauern umtreiben, sei fast nichts umgesetzt, „Landwirtschaftsminister Özdemir erzählt was, bekommt aber keinen Applaus mehr. Man kann es nicht mehr hören.“ Da schwingt eine Menge Frust mit, und der könnte sich im Herbst wieder Bahn brechen, ausschließen will das der Vorsitzende der Kreisbauernschaft nicht.

Kundgebungen gegen die Agrarpolitik wie diese im Januar am Auesee  könnten im Herbst wieder starten. Zunächst kümmern sich die Bauern aber um die Ernte.
Kundgebungen gegen die Agrarpolitik wie diese im Januar am Auesee könnten im Herbst wieder starten. Zunächst kümmern sich die Bauern aber um die Ernte. © FUNKE Foto Services | Erwin Pottgiesser

Frank Terhorst geht ins Detail. Positiv sieht er die Rückkehr der sogenannten Gewinnglättung: Die Steuer, die die Bauern auf ihre Gewinne berechnet bekommen, werden auf drei Jahre gemittelt. Das soll Schwankungen ausgleichen, allerdings verkaufe die Politik das als komplett neu. „Das gab es bereits bis 2023, dann ist es ausgelaufen“.

Eigentlich fordern die Bauern etwas Langfristigeres, wie er erläutert. Sie wollen, dass die Betriebe eine steuerfreie Risikorücklage über mehrere Jahre bilden können, in der Höhe begrenzt. In schlechten Jahren könnten sie das Geld dann beispielsweise für Viehfutter einsetzen. „Dann müsste der Staat nicht einspringen, wie vor zwei bis drei Jahren mit der Dürrehilfe“, erklärt Terhorst den Gedanken. Vorerst komme diese Risikorücklage aber nicht.

Zu viel sinnlose Bürokratie sorgt für hohen Zeitaufwand

Eines der Zentralthemen, auch in der regionalen Landwirtschaft, ist die überbordende Bürokratie. „Wir brauchen eine Datenbank, in der wir einmal im Jahr alle Daten eintragen. Die Menge der Dünge- und Pflanzenschutzmittel, die Fläche, die Menge der Tiere etwa.“ Das sei technisch durchaus möglich, aktuell müssten er und seine Kollegen fünf bis sechs Mal die gleichen Angaben an verschiedene Behörden senden, unnötige Arbeit, wie er findet. „Ich habe in meinem Büro einen Ordner mit der Aufschrift ‚Statistikscheiß‘ stehen....“ Der Bürokratieabbau müsse unbedingt angegangen werden, bislang werde darüber nur geredet.

Positiv bewertet Terhorst, dass die Stilllegungsverpflichtung auf EU-Ebene wegfällt, geplant war, die Bauern dazu zu verpflichten, vier Prozent ihrer Flächen liegenzulassen, der Umwelt zuliebe. Ökologisch sei das erwiesenermaßen aber nicht von Vorteil, argumentiert Terhorst.

Vorerst sei auch die Forderung des Bundes, den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln zu halbieren, vom Tisch. Die Bauern fordern, mehr Geld in die Forschung zu investieren und Techniken zu entwickeln, die Dosierung und Platzierung der Mittel exakter steuern. „Das spart mit Sicherheit die gleiche Menge, die Mittel einfach zu halbieren macht fachlich keinen Sinn.“

Das Agrarpaket der Bundesregierung haben den Bauern nichts gebracht, resümiert er, von Finanzminister Lindners Zusagen auf der Demonstration in Berlin, die Landwirte zu entlasten, sei nichts angekommen. Deshalb prophezeit der Sonsbecker Bauer erneute hitzige Proteste, im Herbst, vor allem aber vor der nächsten Bundestagswahl im September 2025.