Kreis Wesel. Im Kreis Wesel sind Bauern skeptisch, ob die neuen Regelungen für die Landwirtschaft durchschlagen. Scharfe Kritik gibt es vom Nabu.
Ein Teil ist skeptisch, einer desillusioniert, ein dritter ist stocksauer. Zwar haben die EU-Staaten als Reaktion auf die Bauernproteste weitere Lockerungen für landwirtschaftliche Betriebe beschlossen, für Begeisterungsstürme sorgt das am Niederrhein und im Kreis Wesel allerdings nicht. Weder bei den Bauern noch bei den Umweltverbänden.
Landwirt Johannes Leuchtenberg ist jedenfalls nicht überzeugt. Dass kleine Betriebe bis zu zehn Hektar Ackerfläche künftig von Kontrollen befreit sein sollen, sei zwar eine gute Sache, sagt der Vorsitzende der Weseler Kreisbauernschaft. Allerdings könne man bei dieser Größe kaum von umsatzstarken Betrieben sprechen. „Meistens sind das Nebenerwerbsbetriebe“, sagt Leuchtenberg, der ohnehin nicht daran glaubt, dass sich von den EU-Maßnahmen sonderlich viel in einem bundesdeutschen Gesetz niederschlägt. Der Grund: Die EU-Mitgliedsstaaten haben bei der Umsetzung der Lockerungen eine großen Spielraum.
EU-Lockerungen für die Landwirtschaft: Bauern und Umweltverbände im Kreis Wesel sind nicht überzeugt
Und laut Leuchtenberg fährt die Bundesregierung einen weitaus restriktiveren Kurs in der Landwirtschaftspolitik als andere EU-Staaten. Als Beispiel nennt er den Vorschlag einer Fleischsteuer, den Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir ins Spiel gebracht hatte. Dabei bestehe bereits jetzt eine Gefahr für die Tierhaltung, so Leuchtenberg. „Die Sauenhaltung ist schon fast ausgestorben“, im Kreis Wesel gebe es keine 20 mehr, und diese seien dann häufig auch nur temporär, so der Neukirchen-Vluyner Milchbauer, der den Verdacht hegt, dass ein „Sterben der Tierhaltung politisch einkalkuliert“ werde.
„Die Landwirtschaft ist in Deutschland nicht erwünscht“, sagt Leuchtenberg drastisch. „Ich gehe nicht davon aus, dass sich durch die Lockerungen irgendwas bei uns ändert.“ Aus diesem Grund kann er die Kritik der Umweltverbände nicht nachvollziehen, die die EU-Maßnahmen als fatalen Rückschritt bewerten. Dabei, so Leuchtenberg, verfüge der Naturschutz über so viele Flächen „wie noch nie“, und jede weitere Ausgleichsfläche gehe zu Lasten der Landwirtschaft. Das werde sich auch in Zukunft nicht ändern, so der Vorsitzende der Kreisbauernschaft weiter. Insofern könne man nicht davon ausgehen, dass irgendwas unter den neuen EU-Regeln leidet, „außer der Landwirtschaft selbst“.
Ein Standpunkt, den Peter Malzbender überhaupt nicht teilen kann. Der Nabu-Vorsitzende im Kreis Wesel nennt die neuen Regularien einen „fürchterlichen Kompromiss zu Lasten der Biodiversität und des Klimaschutzes“. Da hätten „die Landwirte sämtliche Register gezogen“, so Malzbender. Der Naturschützer möchte nicht die Landwirte an sich verteufeln und erkennt die Zwänge und den wirtschaftlichen Druck durch Regularien, Banken und Agrarindustrie an, allerdings müssten die Landwirtinnen und Landwirte ihre Auftritte überdenken. Mit einem Trecker nach Berlin zu fahren, der 20 Liter Diesel auf 100 Kilometer schlucke, sei alles andere als ökologisch sinnvoll. Ohnehin sei die konventionelle Landwirtschaft ein „Anachronismus“ und jetzt die Zeit gekommen, umzudenken.
Bereits jetzt gingen 40 Prozent des EU-Haushaltes an die Landwirtschaft. Warum nutze man nicht diese Subventionen, um die Landwirtschaft umweltfreundlicher zu gestalten, fragt der Nabu-Kreisvorsitzende. Man müsse den Landwirten für behutsameres Arbeiten genauso viel zahlen wie jetzt. „Niemand will der Landwirtschaft den Hahn abdrehen“, so Malzbender, „aber es muss auch der Allgemeinheit dienen.“ Das sei mit der aufgehobenen Pflicht zur Stilllegung von Ackerflächen und der aufgeweichten Fruchtfolgeregelung mitnichten der Fall.
Gerade diese beiden Maßnahmen würden Ulrich Knippenberg laut eigener Aussage bei der Bewirtschaftung seiner Flächen helfen. Er ist Mitglied des Vereins „Land sichert Versorgung“ (LsV), der Anfang dieses Jahres auch im Kreis Wesel lautstark für die Belange der Landwirtinnen und Landwirte auf die Straße gegangen ist. Allerdings ist er, ebenso wie Johannes Leuchtenberg, skeptisch, dass die Regularien in Deutschland durchschlagen. Andere Länder, zum Beispiel Frankreich, Polen und Rumänien, seien in dieser Hinsicht wirtschaftsfreundlicher unterwegs, so Knipping. Einzig bei der aufgehobenen Stilllegungspflicht von Ackerflächen sieht er Bewegung.
Die gelockerten EU-Regularien
Normalerweise müssen sich Landwirtinnen und Landwirte an Umweltauflagen halten, wenn sie Agrarsubventionen bekommen möchten. Diese belaufen sich derzeit auf 158 Euro pro Hektar. Diese Standards werden nun gelockert. So soll weniger Ackerfläche für die Schonung von Boden brach liegen. EU-Staaten sollen außerdem die Einhaltung der Fruchtfolge bei unvorhergesehenen klimatischen Bedingungen aufheben können. Außerdem sollen kleine Betriebe mit einer Wirtschaftsfläche von weniger als zehn Hektar von Kontrollen befreit werden. Umweltverbände sehen das Vorgehen kritisch, vor allem die Biodiversität leide darunter. Die Landwirtschaftskammer geht indes nicht davon aus, dass die Lockerungen sich negativ auf die Umwelt auswirkt. Man müsse aber abwarten, wie die Umsetzung in Bundesrecht aussehe, sagt Franz-Josef Stork von der Landwirtschaftskammer NRW. Am Mittwoch, 22. Mai, treffen sich die Agrarministerinnen und Minister der Länder in einer Sondersitzung, um über die Umsetzung zu reden.
Ob das reicht? Der Landwirt ist skeptisch. Er möchte dieses Jahr abwarten, was die „kleine europäische Landwirtschaftsreform“ bringt und dann entscheiden, ob er wie zahlreiche andere Betriebe auf die EU-Subventionen verzichtet und unter dem sogenannten landwirtschaftlichen Fachrecht weiterarbeitet. Darin gebe es ebenfalls eine Vielzahl an Vorschriften und Verboten.
Grundsätzlich seien die allermeisten Kolleginnen und Kollegen neuen Maßnahmen gegenüber aufgeschlossen, „mir fehlen aber Innovationsgeist, Forschung und Wissensvermittlung“, so Knipping. Mit immer neuen Restriktionen sei niemandem geholfen, so der Landwirt, der Peter Malzbenders Vorschlag zu gleichen Subventionen für behutsamere Landwirtschaft nichts abgewinnen kann. „Ich muss ganz klar sagen, dass ich das so nicht will.“ Schließlich wachse damit auch die Gefahr, dass er Flächen an den Naturschutz abtreten müsse, so Knipping. Was aber nicht heiße, dass er sein Land nicht schütze: „Ich kann mit Fug und Recht behaupten, dass meine Böden noch nie in einem besseren Zustand waren als jetzt.“