Kleve. Kleves Stadtwerke-Chefin Claudia Dercks sagt, dass der Waldboden keinen weiteren Stickstoff verträgt. Doch ist Totholz das Problem?
Der Bürgerentscheid für einen Nationalpark Reichswald geht in die entscheidende Runde. Seit Monaten wird über das Projekt diskutiert und gestritten. Ein zentraler Einwand ist die Stellungnahme der Stadtwerke Kleve und der Stadtwerke Goch. In einem Brief an Landrat Christoph Gerwers äußern sie ihre Bedenken und sehen die Grundwassergewinnung im Reichswald gefährdet. Doch warum? Im Gespräch mit der NRZ nimmt Stadtwerke-Chefin Claudia Dercks erstmals öffentlich ausführlich Stellung zu ihren Argumenten.
NRZ: Zäumen wir das Pferd von hinten auf: Wenn der Nationalpark nicht kommt, und die Wahrscheinlichkeit, dass er abgelehnt wird, ist nicht gering: Haben Sie dann die Sicherheit, dass Sie Ihre Wasserkonzession bis 2043 verlängert bekommen?
Claudia Dercks: Im Leben gibt es nie eine Garantie. Gemeinsam mit den Stadtwerken Goch gerechnet versorgen wir 130.000 Einwohner mit Trinkwasser. Jedes Jahr überprüfen wir die Kriterien, die für eine wasserrechtliche Genehmigung notwendig sind. Das ist unsere Aufgabe. Wir sehen grundsätzlich keine Gefahr für die Verlängerung der wasserrechtlichen Genehmigung, weil unsere Wasserbilanz – das ist ein wichtiges Kriterium – ausgeglichen ist. Das heißt, wir entnehmen nicht mehr Wasser, als sich neu bildet. Das ist eine grundlegende Voraussetzung für eine Konzession.
Wir stellen auch fest, dass die Qualität des Trinkwassers den Trinkwasserrichtlinien entspricht. Grundsätzlich habe ich keine Bedenken, dass eine Genehmigung nicht erteilt werden kann. Ich gehe aber von der heutigen Rechtslage aus. Ich kann nicht ausschließen, dass sich ein Nationalpark negativ auswirkt, weil zum Beispiel mehr Auflagen erfüllt werden müssen.
NRZ: Wenn der Nationalpark nicht kommt, dann müssen Sie auch wieder ein Konzessionsverfahren durchlaufen, um die Zustimmung der Bezirksregierung zu bekommen. Ich frage deshalb, weil der Regierungspräsident bei der Podiumsdiskussion in Kessel gesagt hat, dass die Stadtwerke Kleve und Goch jetzt von ihm verlangen, dass er sich rechtswidrig verhält. Sie verlangen, dass die Bezirksregierung jetzt schon zusagt, dass es 2029 für Goch und 2043 für Kleve Rechtssicherheit für die Wassergewinnung gibt. Und genau das kann man Ihnen 2024 für eine zukünftige Förderung nicht zusichern.
Dercks: Das ist auch verständlich. Das meinen wir auch nicht. Uns ist bewusst, dass eine wasserrechtliche Genehmigung immer von verschiedenen Kriterien abhängig ist. Niemand kann mir heute versprechen, dass ich 2043 eine Genehmigung bekomme, das ist klar. Unsere Sorge ist, dass es aufgrund übergeordneter Gesetze möglicherweise andere Auflagen gibt, die sich aus dem Ausweis als Nationalpark ergeben. Das können wir einfach nicht abschätzen.
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NRZ: In Ihrem Schreiben an den Kreis Kleve fordern Sie Bestandsschutz für die Brunnen am Kartenspielerweg und für Ihre Brunnen am Wasserwerk.
Dercks: Beim Bestandsschutz geht es um etwas Anderes beziehungsweise Umfangreicheres. Bestandsschutz heißt, wir haben Anlagen im Reichswald, und dafür brauchen wir auch in einem Nationalpark die Garantie, dass wir sie nutzen können. Wir haben keine Alternative zu diesen Brunnen und Anlagen. Wir müssen dort weiterhin hinfahren können und müssen beispielsweise die notwendigen Reparaturen an den Leitungen durchführen können.
NRZ: Wenn Sie jetzt die aktuelle Rechtsgrundlage für einen Nationalpark nehmen, wäre das dann nicht mehr möglich?
Dercks: Das haben wir als ein Kriterium dargestellt, das gesichert werden muss. Es darf nicht nachher eine Nationalparkverordnung geben, die uns Auflagen vorschreibt, die unsere heutige Bewirtschaftung erschweren. Denn ein Nationalpark hat ja das Ziel, die Natur zu schützen – und nicht die Bewirtschaftung zu ermöglichen. Wir müssen im Wald arbeiten und das muss weiter möglich sein.
NRZ: Aber das ist doch alles unstrittig. Das hat der Umweltminister zugesichert, das hat der Regierungspräsident zugesichert. Wo sehen Sie da noch ein Risiko? Niemand will unsere Trinkwassergewinnung gefährden.
Dercks: Da könnte man sicherlich über verschiedene Punkte reden. Unser Restrisiko, dass übergeordnete Gesetze geändert werden bleibt – und dass das nicht passiert kann eider auch der Minister nicht vorhersehen oder versprechen.
NRZ: Aber das kann doch immer passieren. Wir können doch unser Handeln nicht einstellen, weil wir die Befürchtung haben, dass in der Zukunft Gesetz geändert werden könnten.
Dercks: Eine Garantie gibt es im Leben nicht. Aber Entwicklungen und Risiken sind zu beurteilen. Unser Punkt ist, dass ein Nationalpark ein anderes Ziel hat. Und zwar das Ziel der Renaturierung. Es bleibt für uns das Restrisiko, dass die Wassergewinnung durch zusätzliche Auflagen erschwert wird.
NRZ: Wie hoch schätzen Sie dieses Risiko ein? In fast allen deutschen Nationalparken wird Trinkwasser gefördert. Im Nationalpark Wattenmeer wird sogar Erdöl gefördert.
Dercks: Ich kann keine Prozentzahl nennen. Gravierend ist für mich die Auswirkung auf die Wasserqualität bei uns. Das stellt für mich ein erhebliches Risiko dar.
„Unser Boden ist gesättigt, er kann keinen zusätzlichen Stickstoff aufnehmen.“
NRZ: Warum?
Dercks: Wir haben hier ein großes Problem, welches der Minister auch richtigerweise schon formuliert hat. Er schreibt uns: „Die Auswirkungen des in einem Nationalpark in erster Linie verfolgten Schutzes des Ablaufs der Naturvorgänge in ihrer natürlichen Dynamik auf die Trinkwasserqualität können momentan nicht vorhergesagt werden, weil diese Auswirkungen in hohem Maße von teils plötzlich auftretenden Ereignissen abhängen. Sollte es zukünftig zum Beispiel zu erneuten Kalamitäten kommen, aufgrund derer viele Bäume gleichzeitig absterben, könnte dies Auswirkungen auf die Bodenchemie und letztlich auf das Grundwasser haben. Aufgrund der Unvorhersagbarkeit solcher Ereignisse sichere ich Ihnen zu, in eine Nationalparkverordnung einen Auftrag zur kontinuierlichen Untersuchung und wissenschaftlichen Erforschung der Zusammenhänge zwischen Schutz der Naturdynamik und Grundwasserqualität aufzunehmen.“
Da haben wir unser Problem. Denn Minister Krischer schreibt uns auch, dass im Nationalpark Bayerischer Wald eine höhere Nitratkonzentration festgestellt wurde. Und das ist der Punkt: Im Bayerischen Wald gibt es eine andere Ausgangssituation. Es gibt grundsätzlich eine niedrige Nitratkonzentration im Wasser und die Bodenverhältnisse sowie die Wasserströmungen sind nicht mit uns zu vergleichen. Dort führen zusätzliche Einträge nicht zu einem Problem.
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Bei uns ist die Situation anders. Unser Boden ist gesättigt, er kann keinen zusätzlichen Stickstoff aufnehmen. Stickstoffeinträge aus der Luft oder aus Totholz werden direkt in unser Grundwasser gelangen.
Wir unternehmen seit 25 Jahren erhebliche Anstrengungen, um die Stickstoffproblematik stabil zu halten. Diese Maßnahmen sind auch erfolgreich. Wir haben Vereinbarungen mit der Landwirtschaft, dass weniger gedüngt wird und dass Zwischenfrüchte angebaut werden. Wir haben aber auch Maßnahmen im Wald getroffen, weil auch aus dem Wald Nitrat ins Grundwasser gelangt. Wenn dieser Wert steigt, haben wir nicht mehr so viel Puffer, um die Grenzwerte der Trinkwasserverordnung einzuhalten beziehungsweise der Wert wird überschritten. Als die aktuell Verantwortliche für die Wasserversorgung für rund 100.000 Einwohner bin ich verpflichtet auf dieses Risiko für die Zukunft hinzuweisen.
NRZ: Wie hoch ist der Nitratgehalt im Trinkwasser?
Dercks: Wir haben einen Nitratwert von 40 Milligramm pro Liter. Damit liegen wir 10 Milligramm unter der Trinkwasserverordnung. 50 Milligramm sind erlaubt. Wir haben insgesamt eine sehr gute Trinkwasserqualität und keine anderen Schadstoffe, die wir entfernen müssen.
NRZ: Was wäre dann das Problem eines Nationalparks? Wir sprechen hier von Totholz. Das wir zu viel Nitrat haben liegt doch vor allem an den enormen Mengen Stickstoff, die die industrielle Landwirtschaft ausstößt. Würde das nicht eher dafür sprechen, dass wir wie in den Niederlanden viel stärker und restriktiver gegen das Stickstoffproblem in der Landwirtschaft vorgehen?
Dercks: Eines ist richtig: Die Bäume, die jetzt im Reichswald stehen, haben die Nitrateinträge aus der Luft aufgenommen. Dies ist nicht mehr zu ändern, auch nicht durch politische Maßnahmen, die heute ergriffen werden. Wir haben mit dem Landesbetrieb Wald und Holz Maßnahmen ergriffen, dass nicht mehr so viel Nitrat ins Grundwasser gelangt. Wir haben einen Grundwasserkörper in 20 bis 30 Metern Tiefe und langsame Fließgeschwindigkeiten: Es dauert 20 bis 30 Jahre, bis ein Tropfen Regenwasser das Grundwasser erreicht. Das Ziel des Nationalparks ist die Renaturierung, das heißt, es wird nicht mehr aktiv Totholz entfernt. Und dann ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass es in einem für die Trinkwasserqualität kritischen Zeitraum zu erhöhten Nitrateinträgen kommt.
NRZ: Bildlich gesprochen ist das Totholz nur der Tropfen, der das Nitratfass zum Überlaufen bringen soll. Das Fass ist aber gefüllt mit Nitrateinträgen aus Landwirtschaft, Verkehr und Industrie. Müsste man da nicht zuerst die Einträge reduzieren, anstatt ein Naturprojekt zu beschränken, welches gut für die Biodiversität ist?
Dercks: Aber das tun wir doch schon, ganz aktiv im Rahmen unserer Kooperation mit der Landwirtschaft.
„Die Stickstoffeinträge aus der Luft können wir nicht beeinflussen.“
NRZ: Aber offenbar ist das nicht genug. Sie sagen ja, der Waldboden ist gesättigt und kann nicht weiter Stickstoff aufnehmen.
Dercks: Ich habe keinen Einfluss auf die Landwirtschaft in den Niederlanden oder im gesamten Kreis Kleve und Einträge aus der Vergangenheit. Wir haben durch die Kooperation Einfluss auf die Landwirtschaft in unserem Wasserschutzgebiet, die direkte Auswirkungen auf unser Wasser hat. Die Stickstoffeinträge aus der Luft können wir nicht beeinflussen.
NRZ: Aber in der Öffentlichkeit wird es jetzt so dargestellt, als wäre ein Nationalpark schlecht für die Grundwasserqualität. Das eigentliche Problem ist aber nicht das Totholz, sondern der Stickstoffeintrag, der wahrscheinlich zum größten Teil aus der Landwirtschaft rund um den Wald kommt.
Dercks: Gut, aber wir haben die Situation, dass jegliche Einflüsse erst in über 20 bis 30 Jahren Wirkung auf unser Grundwasser hat. Und wenn jetzt der Wald seiner natürlichen Dynamik überlassen wir, gehen wir davon aus, dass die Stickstoffmengen für einen für uns kritischen Zeitraum zunehmen. Welchen Maßnahmen, die rechtzeitig und umfassend Wirkung zeigen würden, soll ich da begleitend ergreifen? Wie gesagt durch die Kooperation mit der Landwirtschaft werden die Einträge in unserem Wassereinzugsgebiet bereits wirksam reduziert.
NRZ: Inwieweit wird das Stickstoffproblem, das Sie jetzt schon haben, durch einen Nationalpark verschärft? Wenn die Stickstoffeinträge bis zum Auslaufen der Konzession 2043 nicht deutlich zurückgehen, dann haben Sie das Problem auch ohne Nationalpark.
Dercks: Derzeit sind wir mit unseren Maßnahmen auf einem guten Weg. Unsere Messungen zeigen, dass wir unter den aktuellen Gegebenheiten auch langfristig keine Nitratwerte erwarten, die über den Grenzwerten der Trinkwasserverordnung liegen. Wir haben bereits 300.000 Bäume gespendet, weil wir glauben, dass wir den Wald aktiv unterstützen müssen, um ihn klimaresilient umzubauen. Wir sind gegen jede Maßnahme, die zu zusätzlichen Nitrateinträgen führt.
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NRZ: Haben Sie denn Erkenntnisse, wie viel Totholz überhaupt anfallen muss, damit es relevant wird für das Grundwasser?
Dercks: Das ist genau das Problem. Wir wissen, dass Totholz zu Nitrat führt, das ist wissenschaftlich belegt. Wir haben im Reichswald ein großes Einzugsgebiet, von den 5200 Hektar sind 3000 Hektar für unsere Brunnen relevant. Wir haben vertikale und horizontale Zuströmungen, wir haben entsprechend unterschiedliche Bedingungen in jedem Jahr durch Trockenheit oder Starkregen. Es handelt sich um ein sensibles und komplexes System. Der Wald bietet keine Laborsituation, die wir erforschen könnten. Unsere Wasserexperten sagen auf Grundlage ihrer langjährigen Erfahrung und Kenntnis der Verhältnisse bei uns, das Risiko ist groß. Wir sind zu nah an den zulässigen Nitratwerten, um daraus ein Forschungsgebiet zu machen.
NRZ: Mein Problem ist, dass jetzt das Totholz so problematisiert wird, das wahrscheinlich eine viel geringere Belastung für das Trinkwasser darstellt als die Gülle, die in der Region ausgebracht wird. Das eigentliche Problem wird in der Nationalparkdiskussion gar nicht angesprochen.
Dercks: Das können die Stadtwerke nicht beeinflussen. Mit welchem Gesetz sollte das erreicht werden und in welcher Geschwindigkeit würden sich daraus Effekte zeigen?
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NRZ: Aber an der Düngemittelverordnung doktern wir doch schon seit Jahren herum.
Dercks: Das ist kein Thema für die Stadtwerke Kleve, sondern eine grundsätzlich politische Frage. Was uns betrifft, machen wir schon alles. Man sieht ja, dass die Zusammenarbeit mit der Landwirtschaft hervorragend funktioniert. Im Wasserschutzgebiet werden die Vorgaben der Düngemittelverordnung unterschritten. Das kostet übrigens auch viel Geld. Wir stecken da jedes Jahr sechsstellige Summen rein.