Essen-Rüttenscheid. Viel war im Vorfeld über mögliche Ausschreitungen gesprochen worden. Sehr zum Schaden für den Stadtteil, sagen Rüttenscheider Geschäftsinhaber.

Die Filiale der Bäckerei-Kette Döbbe auf der Rüttenscheider Straße, Höhe Grugaplatz, wurde am Samstagmorgen kurzzeitig Schauplatz eines Polizei-Einsatzes. Der Laden liegt direkt in Höhe der Grugahalle, man kann durchs Schaufenster die Halle sehen. „Diesen Moment und den ganzen Tag hab‘ ich noch ziemlich in den Knochen“, sagt Filialleiterin Petra Reich-Schroer. Sie stand am Samstag gerade hinterm Tresen, als drei AfD-Politiker, eigentlich unterwegs zur Grugahalle, etwa gegen 8.30 Uhr morgens von Demonstranten gejagt wurden und zu Döbbe flüchteten. Sekunden später war alles voller Polizei, „und 40 Minuten saßen hier im Laden alle fest, die Politiker, die Polizei, die Angestellten.“

Petra Reich-Schroer ließ nach dem Zwischenfall ihren Laden aber ganz normal geöffnet, nur Tische und Stühle hatte man an diesem Tag vorsorglich gar nicht herausgestellt. „Sonst ist der Tag aber verhältnismäßig ruhig geblieben“, und um 15 Uhr schloss Döbbe an diesem wie an jedem Samstag. „Zum Glück ist nicht mehr passiert.“

Rüttenscheider Händler: Wenige Kunden, starke Umsatzeinbußen

Irmgard Krahe führt die Buchhandlung Buchkontext auf der Rüttenscheider Straße, nahe der U-Bahn-Station Messe Ost/Gruga. Vom Demo-Geschehen habe sie insgesamt eher wenig mitbekommen, sagt sie: ein Demonstrationszug, der vorbeigelaufen sei, auf und ab marschierende Polizeieinheiten, mehr nicht. Im Großen und Ganzen habe sie an der Organisation seitens Polizei und Stadt nichts auszusetzen, sich allerdings über die „übertriebene Berichterstattung im Vorfeld“ geärgert: „Es hieß, man komme hier gar nicht durch, man müsse sich ausweisen und werde überall kontrolliert, das hat viele abgeschreckt.“

Der AfD-Parteitag und die erwarteten Proteste waren schon lange vor dem Wochenende in vielen Medien, auch bundesweit, thematisiert worden. Nach der juristischen Auseinandersetzung zwischen Stadt Essen und AfD sorgten Berichte über anonyme Gewaltaufrufe von linksextremen Aktivisten und die von der Polizei kommunizierte Zahl von mehreren Zehntausend erwarteten Demonstranten für Aufsehen.

Die paar Kunden, die dann doch den Weg in Krahes Buchhandlung fanden, hätten sich gefreut, dass offen gewesen sei, sagt die Händlerin. Mit einem normalen Samstagsgeschäft sei der Tag, wie erwartet, nicht vergleichbar gewesen.

Von Umsatzeinbußen berichtet auch Axel Ostermann, Inhaber der Papeterie Petersen an der Rüttenscheider Straße 105. Dennoch habe für ihn, anders als für andere Händler, eine Schließung „gar nicht zur Debatte“ gestanden: „Ich bin davon ausgegangen, dass wir eine schöne und friedliche Zusammenkunft von Menschen aus ganz Deutschland erleben würden, und so war es.“ Die tatsächlichen Ereignisse hätten nichts mit der „alarmistischen Berichterstattung“ im Vorfeld zu tun gehabt. Die habe dem Stadtteil allerdings geschadet: Viele Menschen seien aus Angst zu Hause geblieben, vermutet er. Gerade diejenigen, die wenig Erfahrung mit Demonstrationen hätten, hätten sich verunsichern lassen. „Alle haben wie die Maus vor der Schlange darauf gewartet, dass etwas passiert.“

Die Papeterie Petersen blieb am Wochenende geöffnet. (Archivbild)
Die Papeterie Petersen blieb am Wochenende geöffnet. (Archivbild) © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

Dabei wäre das Wochenende aus seiner Sicht eine gute Gelegenheit gewesen, sich als Stadtteil einladend und offen für die auswärtigen Besucher und Demonstrationsteilnehmer zu zeigen. „Wir jedenfalls haben die Fahne des offenen Rüttenscheids hochgehalten“, sagt Axel Ostermann. Anderswo aber sei Rüttenscheid vor Demo-Beginn wie „leergefegt“ gewesen: auch auf dem Markt, auf dem er morgens noch eingekauft habe. Dennoch lobt er die gute Organsiation durch die Polizei: „Sie hatten durchaus Recht, so massiv aufzutreten.“ Nur, dass vorher „Panik geschürt wurde, war nicht ok!“

Rüttenscheider Geschäftsinhaberin: Besucher waren erstaunt, dass so viele Läden zu waren

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Judith Schütze vom Bürstenhaus Schütze an der Girardetstraße hatte im Vorfeld noch überlegt, ob sie tatsächlich öffnen solle, „es wurden schließlich Warnungen ausgesprochen“. Doch sie habe nicht gewollt, dass der AfD-Parteitag ihre Planung bestimmt. Das Wochenende sei dann insgesamt relativ ruhig verlaufen: „Viele Anwohner haben sich getroffen, gegenüber wurde Musik gemacht, es hat viele nette Gespräche gegeben, und mir ist sogar Eis gebracht worden.“

Einige Besucher hätten sich darüber gewundert, dass viele Geschäfte geschlossen waren, erzählt sie. Die hätten sich dann umso mehr gefreut, bei ihr zu stöbern. Immerhin: Auch einige auswärtige Gäste seien auf ihren Laden aufmerksam geworden, und der eine oder andere habe auch eine Bürste gekauft. Dennoch sei der Umsatz für ein Wochenende „fatal“ gewesen. „Das war mir aber vorher schon klar, ich habe das auch nicht wegen des Umsatzes gemacht.“

„Ein super Geschäft hat an diesem Wochenende keiner gemacht,“ meint auch Anna Vlachava von der Pazzaria an der Rüttenscheider Straße 233. Am Freitag sei wegen der Sperrungen schon wenig los gewesen, dennoch hält sie die Maßnahmen nicht für übertrieben: „Man wusste ja nicht, was auf uns zukommt.“ Sorgen habe sie sich im Vorfeld keine gemacht, sie hätte selbstverständlich das Lokal geöffnet, „aber am Wochenende haben wir regulär geschlossen“.

Essener Wirtshaus Rü: Fenster mit Holzplatten in Stauderfarben geschützt

Ilona Hiegemann (r.) hat ihre Gäste vorab informiert, dass sie am Parteitags-Wochenende nicht öffnen wird. (Archivbild)
Ilona Hiegemann (r.) hat ihre Gäste vorab informiert, dass sie am Parteitags-Wochenende nicht öffnen wird. (Archivbild) © FUNKE Foto Services | Uwe Ernst

Zu den Geschäften, die vorsichtshalber sowohl Freitag als auch Samstag geschlossen blieben, gehört die Goldschmiede Ellies an der Rüttenscheider Straße 158, schräg gegenüber der Döbbe-Filiale, an der es am Wochenende den Polizeieinsatz gab.

Außergewöhnliche Schutz-Maßnahmen hätten sie nicht ergriffen, sagt ein Mitarbeiter, nur die Rolladen heruntergelassen. Die Polizei habe im Vorfeld über Sperrungen und die zu erwartetenden großen Demonstrationen informiert, weshalb man sich zur Schließung entschlossen habe. „In einem Juweliegeschäft geht es eben gleich um größere Werte.“ Wenngleich er persönlich den Demonstranten nicht unterstelle, dass sie Geschäfte ausrauben, sei es doch immer möglich, dass Proteste eskalieren würden. So blieben auch manche Arzt- und Physiotherapie-Praxen geschlossen. Mitunter wohl auch in der Annahme, dass die Patienten ohnehin nicht kämen – aus Sorge oder wegen der Sperren.

Auch die Betreiberin des Wirtshaus Rü, Ilona Hiegemann, hat ihr Lokal schweren Herzens von Freitag bis Sonntag geschlossen und damit große finanzielle Einbußen in Kauf genommen, wie sie sagt. Die Scheiben hätten sie mit Holz verkleidet und dieses dann „schön in den Stauder-Farben gestrichen“, erzählt sie. Zudem habe sie im Vorfeld mit Zetteln und Plakaten ihre Gäste informiert. Die seien zwar traurig gewesen, „auch wegen Fußball“, hätten aber Verständnis gehabt. Denn, auch wenn es am Ende nicht so schlimm gekommen sei wie befürchtet, so habe sie als Wirtin doch nicht garantieren können, dass ihr Personal, und auch die Gäste, heil nach Rüttenscheid und wieder nach Hause kämen. „Deshalb würde ich das auch jedes Mal wieder genauso machen.“

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