Essen. Zum AfD-Parteitag in Essen werden heftige Proteste erwartet. Händler wollen deshalb den Markt meiden. Auch Geschäfte könnten schließen.
Thema Nummer eins ist an diesem Vormittag auf dem Rüttenscheider Wochenmarkt nur vordergründig das Wetter, denn das wechselt lustig von einem Regenguss zum nächsten, liefert Hagel, Wind und dann, endlich: Sonne. Mit den ersten Sonnenstrahlen füllt sich auch der Marktplatz, füllen sich Körbe und Taschen und Rucksäcke mit Lebensmitteln und Blumen. Doch hinter den Kulissen beschäftigt nicht das aprilhafte Wetter die Markthändler, sondern der Markttermin in zwei Wochen.
Am letzten Juni-Wochenende nämlich wird die AfD in der Grugahalle ihren Bundesparteitag abhalten, nachdem sie vor dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen gegen die Stadt Essen gewonnen hat und diese nun entschied, nicht in die nächste Instanz zu gehen – die Kündigung des Mietvertrags damit also vom Tisch ist. Für Teile von Rüttenscheid bedeutet das: Ausnahmezustand. Zigtausende Demonstranten werden erwartet, der Grugapark soll für drei Tage komplett gesperrt werden, der Verkehr wird betroffen sein, auch ein anonymer Aufruf gewaltbereiter Aktivisten aus der Autonomen Szene beschäftigt die Behörden.
Essener Markthändler: Kunden werden ausbleiben
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Viele Markthändler überlegen nun, den Rüttenscheider Markt am Parteitagssamstag nicht anzusteuern. Sie fragen sich: Werden überhaupt Kunden kommen? Wird es Ausschreitungen geben?
„Über die Hälfte der Händler wird fehlen“, sagt Marktfrau Julia Dickopf und zählt Kollegen auf, die ihr bereits gesagt hätten, dass sie das Risiko nicht eingehen wollten. „Man weiß ja nicht, was passiert.“ Und diesen „nervlichen Stress“ wolle sie sich nicht antun. Schließlich würden die Hänger mehrere Zehn- bis Hunderttausend Euro kosten. Ein Schaden daran sei eine enorme Belastung. Und im Zweifel, sagt sie, komme man wegen der Straßensperrungen vielleicht nicht schnell genug weg, um Hänger und Waren zu schützen.
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Schäden an seinem Stand möchte auch Hermann Welp nicht riskieren. „Die Wagen sind alle teuer.“ Und man könne die nicht mal eben reparieren, da es Sonderanfertigungen seien. Ein Schaden bedeute also möglicherweise einen wochenlangen Ausfall. Für ihn keine Option. „Ich bleibe an dem Tag zu Hause.“ Er verbucht die Demo, die Sperrungen, den Verdienstausfall als „höhere Gewalt: wie eine Baustelle vor der Tür“. 30 Jahre lang habe er Läden gehabt, und bei einer Baustelle vor der Tür seien auch Kunden ausgeblieben. Das sei dann Pech.
Seine heutigen Kunden sorgen sich gerade weniger um mögliche Krawalle, als um das Wetter bei einer geplanten Gartenfeier. Sie würden zwar in Rüttenscheid wohnen, sagen sie, aber weit genug weg vom Geschehen. Für die Händler aber tue es ihnen leid: „Wer bezahlt deren Ausfälle?“
Auch Blumenhändler Frank Seibertz hat bereits entschieden: „Ich werde nicht hier sein.“ Für den Tag hatte er zwei Märkte eingeplant und fahre nun eben nur auf einen: nach Werden. Den Verdienstausfall müsse er leider in Kauf nehmen. Er glaube zwar nicht, dass man während der Marktzeit mit Krawallen rechnen müsse, die meisten Demonstranten seien sicher friedlich, aber: „Meine Kunden werden ja nicht herkommen.“
Obst- und Gemüsehänder Daniel Heyden führt den gleichen Grund an: Seit 2005 ist er jeden Mittwoch und Samstag mit seinem Stand auf dem Rüttenscheider Markt; „gefühlt 90 Prozent“ der Menschen, die bei ihm einkaufen, seien Stammkunden. „Wenn die hier wegen der Sperrungen nicht parken können oder zu große Umwege machen müssen, haben wir ein Problem.“ Also wird er den Markt in Rüttenscheid am Parteitagssamstag nicht bedienen und sagt das schon jetzt den Kunden, die nachfragen. So auch einer Rentnerin, die jede Woche extra aus Stoppenberg nach Rüttenscheid zum Markt kommt, und durch das Gespräch hellhörig geworden ist: „Fällt der Markt etwa aus?“, will sie wissen.
Das würde ein Großteil der Händler laut Daniel Heyden zwar befürworten, doch „soweit wir wissen, findet der Markt statt“. Auch Rolf Krane, Vorsitzender der IG Rüttenscheid wirbt dafür, „sich nicht kleinkriegen“ zu lassen: „Ich würde begrüßen, wenn die Händler trotzdem kämen“, sagt er, schiebt aber direkt hinterher, dass er Verständnis habe für diejenigen, die sich dagegen entscheiden.
Essener Marktbesucher haben Verständnis für die Sorgen der Händler
Und was sagen die Kunden? Alina Komp (38) und Philipp Tews (40) haben gerade ihre Taschen mit Obst und Gemüse gefüllt. Sie wohnen ganz in der Nähe und kommen regelmäßig hierher. „Die Demo ist mir wichtiger, als dass ich am Samstag mein Gemüse kaufen kann“, sagt Alina Komp. „Dann gehe ich eben Mittwoch einkaufen.“ Sie sorgt sich nicht angesichts der Proteste. Dass die AfD zurückgedrängt werde, sei die Hauptsache. Dafür nehme sie ein „bisschen mehr Stress“ am Wochenende in Kauf.
Auch andere Marktbesucher befürworten ebenso wie Händler die Demo grundsätzlich, „so lange es friedlich bleibt“. „Bloß was sollen wir hier, wenn Tausende Demonstranten kommen?“, fragt ein Renter-Ehepaar aus Fulerum, das sonst ebenfalls jeden Samstag zum Einkaufen herkommt.
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Eine Kundin hält den ganzen „Hype, der um das Thema gemacht“ werde, Polizeiaufgebot, Parksperrung und auch die Demonstration für übetrieben. Sie sei zwar selbst keine AfD-Anhängerin, aber das sei schließlich „eine Partei wie jede andere“, weshalb man sie doch einfach ihren Parteitag abhalten lassen solle. Und wenn die Demonstranten sich „nicht benehmen“ könnten, seien eben die das Problem, aber nicht die AfD.
„Wir können sicher sein, dass 99,9 Prozent der Demonstranten ganz normale Menschen sind, die ihr demokratisches Recht wahrnehmen“, sagt Rolf Krane. Er würde sich zwar wünschen, dass die AfD-Veranstaltung nicht stattfinde, „aber damit muss man eben leben“. Tausende, gut vorbereitete Polizisten seien im Dienst, weshalb er glaubt: „Man muss hier vor Ort keine Sorge haben“.
Er sei mit vielen Gastronomen nahe der Grugahalle im Austausch, von denen die meisten öffnen wollten. „Ich glaube, das könnte bei so vielen Menschen ein gutes Geschäft werden.“ Auch die verbleibenden Markthändler könnten an besagtem Wochenende vielleicht umso mehr vekaufen, sagt er. „Der Markt wird nach aktueller Planung durchaus erreichbar sein, wenn auch eventuell mit Umwegen.“
Rüttenscheider Geschäftsinhaber denken über Schließung nach
Geschäftsinhaber an der Rüttenscheider Straße und im direkten Umfeld scheinen indes noch unschlüssig zu sein, wie sie mit der Situation umgehen: Zwar kursieren auf dem Wochenmarkt Gerüchte über Läden, die verbarrikadiert werden sollen, und über eigens abgestelltes Sicherheitspersonal, doch im Gespräch mit einzelnen Geschäftsinhabern ist davon nichts zu hören. Eine Verkäuferin bei Format Warenwunderland berichtet, dass sich das Team noch einmal zusammensetzen und entscheiden werde. Ein mulmiges Gefühl habe sie allerdings schon. Vermutlich bleibe geschlossen. Auch bei den umliegenden Geschäften überlege man noch.
Viele wollen abwarten, die Entwicklung beobachten, so wie Judith Schütze vom Bürstenhaus Schütze an der Girardetstraße: „Eigentlich habe ich vor zu öffnen. Aber wir wissen alle nicht, was auf uns zukommt.“ Am Ende werde sie wohl spontan entscheiden.
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