Essen/Bochum. Sebastian Bellgardt leitet Rettungseinsätze der DLRG Essen: Warum das Baden in der Ruhr Risiken birgt und was gegen weitere Badestellen spricht.
- Das sonnige Wetter verleitet Essener und Essenerinnen dazu, eine Abkühlung in der Ruhr zu suchen. Das ist jedoch verboten und lebensgefährlich.
- Ein 13-jähriger Junge ist im vergangenen Jahr in der Ruhr gestorben. Seit Montag, 6. August, diesen Jahres suchen Feuerwehr und Polizei nach einem 42-jährigen Mann, der in der Ruhr vermisst wird.
- Nach dem Unfall im vergangenen Jahr haben wir mit der DLRG über die Gefahren beim Baden in der Ruhr gesprochen. Hier noch einmal das Interview, das erstmals am 12. Juli 2023 erschienen ist.
Ein 13-jähriger Junge ist am 11. Juli 2023 beim Baden in der Ruhr an der Stadtgrenze Essen/Bochum bei Dahlhausen verunglückt. Retter fanden das Kind, das Nichtschwimmer ist, und konnten es reanimieren (zu den Details). Zwei Tage später starb das Kind. Ein Gespräch mit Sebastian Bellgardt, dem „Leiter Rettungsdienste“ beim Bezirk Essen der Deutschen Lebensrettungsgesellschaft (DLRG).
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„Personen im Wasser“: Bereits zwei Einsätze am Wochenende in Essen
Herr Bellgardt, für die DLRG war die dramatische Rettung des 13-jährigen Nichtschwimmers in den vergangenen Tagen nicht der einzige Einsatz.
Sebastian Bellgardt: Das ist richtig, am Wochenende gab es bereits zwei Einsätze in Essen unter der Überschrift „Personen im Wasser.“ Glücklicherweise sind beide glimpflich ausgegangen.
Was ist passiert?
In Werden hatten Passanten eine Person auf einer Luftmatratze beobachtet. Plötzlich trieb nur noch die Matratze auf dem Wasser, es war niemand mehr zu sehen. Die Umstehenden hatten nicht mitbekommen, dass die Person in ein Motorboot umgestiegen war. Das Boot war auch nicht mehr in der Nähe. Sie gingen davon aus, da sei jemand untergegangen.
Einen weiteren Einsatz gab es an der Maria-Juchacz-Straße...
Dort hatten Spaziergänger am Ufer Sachen gefunden. Es sah so aus, als hätte ein Schwimmer sie dort abgelegt und sei verschwunden. Später konnten die Sachen aber Stand-up-Paddlern zugeordnet werden.
Es war also beides falscher Alarm.
Ja, aber man kann deshalb niemand einen Vorwurf machen. Im Gegenteil, die Anrufer haben genau richtig gehandelt. Man sieht, dass eine Person auf einer Luftmatratze schwimmt, schaut kurz weg und eine Minute später wieder hin und dann treibt die Luftmatratze da alleine und man sieht die Person nicht mehr. Dann sollte man auf jeden Fall den Notruf wählen und die Situation beschreiben, wie man sie erlebt hat. Ertrinkungsfälle sind zeitkritische Einsätze. Feuerwehr und auch wir als DLRG müssen möglichst schnell vor Ort sein, um eine Person noch retten zu können.
13-jähriger Essener schwebte nach Unfall in der Ruhr in Lebensgefahr
Der 13-jährige Junge schwebte auch am Mittwochmorgen noch in Lebensgefahr. Sie als DLRG warnen vor Gefahren. Welche sind das?
Bei heißen Temperaturen wie sie in diesen Tagen herrschen, heizt der Körper stark auf. Man verschafft sich eine schnelle Abkühlung. Das ist ein Schockmoment für den Körper, den nicht jeder gut verkraftet. Das kann bis zum Herzstillstand führen. Der Schwimmer hat dann keine Chance und sinkt leblos zu Boden. Auch Alkohol ist ein Faktor. Man hält sich den ganzen Tag im Freien auf, wirft vielleicht zwischendurch den Grill an, trinkt ein Bierchen oder ähnliches… Plötzlich überschätzt man sich auch wegen des Alkoholspiegels.
Was Sie beschreiben, gilt für alle Gewässer. Was macht das Baden in der Ruhr gefährlich?
Die Ruhr ist an vielen Stellen unübersichtlich, so dass man sich leicht aus den Augen verlieren kann. In den Stauseen sind außerdem Wasserpflanzen ein Problem, die sich um Arme und Beine legen können, was zu Panikreaktionen führen kann. Hinzu kommt die Strömung auch in heißen Sommermonaten, wenn die Pegel fallen. Die wird schnell unterschätzt. Vor allem, wenn man es nicht gewohnt ist, dass sich das Wasser bewegt und man mitgezogen wird.
Aber die Ruhr scheint doch geradezu friedlich dahinzufließen.
Oberflächlich kann dieser Eindruck entstehen. Wenn dann noch ein leichter Wind weht, sieht es so aus, als würde das Wasser stehen, was aber nicht der Fall ist. Dazu kommt: Es gibt an der Ruhr Wassergewinnungsanlagen und Kläranlagen, die bei Starkregen überlaufen können. Auch deshalb sollte man nicht ins Wasser.
Aber ist das nicht mehr eine Frage von Gesundheit und Hygiene?
Es ist auch eine Frage der Sicherheit, da die Ruhr nach Starkregenereignissen sehr schnell anschwellen kann. Der Fluss ist an vielen Stellen sehr schmal, wodurch die Strömungsgeschwindigkeit enorm zunimmt und viel Treibgut mitbefördert wird, was nicht immer zu sehen ist. Wenn man sich dann im Wasser aufhält oder hineinspringt, kann das gefährlich werden.
DLRG Essen: Badestellen bieten mehr Sicherheit
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An vielen anderen Flüssen in Deutschland ist das Baden erlaubt, sogar am Rhein ist es nicht durchweg verboten, am Hochrhein hat fast jeder Ort eine Badestelle...
Man muss die Risiken abwägen. Pauschal zu sagen, wir geben alle Gewässer frei, wäre eine schwierige Entscheidung. Uns als DLRG fehlt aber die Profession, dies zu bewerten. Wir sind da neutral. Gerade am Rhein kommt es aber immer wieder zu Badeunfällen mit dramatischem Ausgang wegen der Fließgeschwindigkeit, der Breite des Flusses und auch wegen der Berufsschifffahrt, wovor wir immer wieder warnen. Man begibt sich sehr schnell in Lebensgefahr, ohne dass man sieht, dass es gefährlich werden kann.
Die Ruhr ist nicht der Rhein.
Aber die Ruhr ist so etwas eine Miniaturausgabe des Rheins.
Früher gab es entlang der Ruhr viele Freibäder – allein in Essen im Löwental in Werden, am Baldeneysee, in Rellinghausen. Weil die gesetzlichen Anforderungen an die Wasserqualität gestiegen sind, wurden die Bäder geschlossen. Haben wir verlernt mit dem Fluss und seinen Gefahren umzugehen?
Das Baden an weiteren Stellen freizugeben, würde in jedem Fall bedeuten, dass sich an der Ruhr noch mehr Publikum aufhält, das die Gefahren unterschätzen kann.
Am Seaside Beach, in Mülheim und in Bochum gibt es Badestellen. Bieten Badestellen mehr Sicherheit oder suggerieren sie nur Sicherheit?
Badestellen bieten mehr Sicherheit. Mehr Sicherheit jedenfalls als seichte Stellen, an denen man sich unbeobachtet ins Wasser begibt. Badestellen werden in der Regel überwacht. Dort werden Rettungsschwimmer eingesetzt, die für Gefahrensituationen ein geschulteres Auge mitbringen, als es der Laie hat.
Ist das ein Plädoyer für mehr Badestellen an der Ruhr?
Die Frage ist, ob mehr Badestellen überhaupt betrieben werden könnten. Ehrenamtliche Organisationen wie wir als DLRG könnten das sicher nicht leisten. Die Stadt Essen hat nach Corona bereits Probleme, ausreichend Personal für den Betrieb der Schwimmbäder zu finden. Mehr Badestellen würden dieses Problem noch verschärfen. Wichtiger ist es, die Frei- und Hallenbäder offenzuhalten, damit die Schwimmausbildung stattfinden kann, so dass jeder ein sicherer Schwimmer wird und niemand ungeübt ins Wasser geht.
Die Leute zieht es ans Wasser, auch wenn das Baden verboten ist. Lässt sich das Verbot überhaupt durchsetzten?
Inwieweit es durchgesetzt wird, obliegt der Stadt. Am Ende ist es wie im Straßenverkehr. Es gibt Regeln, an die wir uns halten müssen.
Welche Verhaltenshinweise geben sie denjenigen mit, die in der Ruhr trotz aller Risiken baden wollen?
Man sollte nur ausgewiesene Badestellen nutzen und die allgemeinen Baderegeln beachten. Vom Wildbaden können wir nur abraten.
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