Rees. Rees gedachte am Montag der jüdischen Familie Marcus, die von den Nazis gedemütigt wurde. Esther Marcus erzählt von ihrer Familie.

Ihr Vater habe nie viel über die Zeit des Krieges erzählt. Nur einmal, Esther Marcus war damals 13 Jahre alt, habe er sich mit der Familie an den Küchentisch gesetzt und alles das erzählt, was er handschriftlich aufgeschrieben hatte. „Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern. Da prasselten auf einmal so viele Dinge auf mich ein“, erzählt Esther Marcus am Montag der NRZ im Büro des Reeser Bürgermeisters. Die Geschichte ihres Vaters Boris Marcus, die Geschichte ihrer Familie stand am Jahrestag der Befreiung von Auschwitz im Mittelpunkt einer Gedenkveranstaltung im Bürgerhaus.

Erinnerungen an Rees

14 Stolpersteine wurde in Rees von Künstler Gunter Demnig verlegt, darunter auch vier Steine für die Familie Marcus. Esthers Vater Boris, ihrem Onkel Gideon und ihren Tanten Nanni und Ruth wurde gedacht. Ruth Marcus ist heute 94 Jahre alt und hat viele Jahre in Belgien gelebt. Esthers Mutter Edith, geborene Schlosser, lebt in der Nähe von Amsterdam und nahm an den Feierlichkeiten in Rees nicht teil. Sie ist 92 Jahre.

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Rob Marcus spricht bei der Veranstaltung zur Stolpersteinverlegung in Rees. © FUNKE Foto Services | Markus Weißenfels

Esther Marcus hat ihre schriftlichen Unterlagen mit nach Rees genommen, um alle Namen und Daten parat zu haben – Stammbäume können ganz schön verwirrend sein. Sie war in ihrem Leben schon oft in der Rheinstadt, um das Geburtshaus ihres Vaters zu besuchen, am Rhein entlang zu spazieren: „Mein Vater hat mir erzählt, dass er als Kind oft auf diesen Mäuerchen gesessen hat“. Ihre Großeltern Louis und Esther Marcus wohnten am Markt 12 in Rees und das „Ochsenkopfhaus“ sei noch heute ein Begriff in Rees, sagte Bürgermeister Sebastian Hense bei der Gedenkfeier. Anfang der 30er Jahre mussten ihr Vater Boris, ihr Onkel Gideon und ihre Tante Nanni mit ihrem Mann Nico fliehen.

Stolpersteine in Rees

Gunter Demnig verlegte am Montag vier Stolpersteine für die Familie Marcus vor dem Haus am Markt 12. Dort wohnten: Nanni Marcus, Gideon Marcus, Boris Marcus und Ruth Marcus.

An der Dellstraße 2 wurde ein Stein für Samuel Wolf verlegt, der 1938 starb. Vor der Oberstraße 16 liegen jetzt die Steine für Helmut Sander, Miriam Sander und Liesel Sander.

An der Fallstraße 31 verlegte Demnig die Steine für Ernst Linienfeld, Gerhard Goldmann und Jonas Gabriel Goldmann.

In Emmerich aufgegriffen

Großvater Louis wurde 1933 in Rees von der Polizei verhaftet. Er und seine Frau Esther, geb. Gwircman, überlebten den Krieg nicht. Sie wurden in den Niederlanden verraten und im Oktober 1942 in Auschwitz ermordet. Die Großmutter mütterlicherseits, Yolan, geb. Parec, wurde auf dem Weg zu ihrer Tante in ‘s-Heerenberg an der Grenze bei Emmerich von den Nazis aufgegriffen: „Was sie in den folgenden Jahren durchmachen musste, kann ich hier nicht sagen. Sie selbst war nicht in der Lage, ihren Angehörigen mitzuteilen, was sie durchgemacht hat“, berichtete Rob Marcus, Esthers Bruder, in seiner Ansprache im Bürgerhaus Rees.

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Erst nach dem Krieg sah Yolan ihre Tochter Edith wieder, die im Alter von sechs Jahren von einer holländischen Pflegefamilie aufgenommen worden war. Erst zwölf Jahre später sollte die 18-jährige Edith ihre Mutter in Haifa in die Arme schließen.

„Lasst uns alle in die Fußstapfen derer treten, die wir heute ehren und mit Liebe weitergeben, was wertvoll ist. Le Chaim, auf das Leben!“

Rob Marcus, Sohn des geehrten Boris Marcus.

Zur Liebe erzogen

In einer bewegenden Ansprache berichtete Rob Marcus, dass er tiefe Dankbarkeit und Wertschätzung für seine Eltern Boris und Edith empfindet. Sie haben die Kraft besessen, ihre Kinder ohne Hass, Groll oder Bitterkeit zu erziehen. Er brachte zudem seine Wertschätzung für Deutschland als Nachkriegsnation zum Ausdruck: „Die Art und Weise, wie die deutsche Nation sich der Vergangenheit gestellt hat und wie sie es geschafft hat, die Reue in ihrem kontinuierlichen Streben nach Freiheit, Menschlichkeit und Friedfertigkeit zu nutzen, verdient Lob“, sagte er im Bürgerhaus.

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Die Geschwister Esther und Rob Marcus (sitzend). Daneben Bernd Schäfer. © FUNKE Foto Services | Markus Weißenfels

Rob Marcus betonte, dass er etwas Wertvolles hervorheben möchte, das er von zu Hause geerbt habe: „Die Liebe zum Leben. Lasst uns alle in die Fußstapfen derer treten, die wir heute ehren und mit Liebe weitergeben, was wertvoll ist. Le Chaim, auf das Leben!“

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Leben in den Niederlanden

Boris und Edith Marcus kehrten später in die Niederlande zurück. Boris Marcus, Jahrgang 1924, starb mit 89 Jahren am 24. April 2013. Er hat viele Jahre als graphischer Berater gearbeitet, berichtet Tochter Esther Marcus der NRZ. Über die Kriegszeiten wurde, wie gesagt, nicht viel gesprochen. Wenn Esther zurückdenkt, fällt ihr auf, wie genau ihre Eltern einen Tagesausflug oder eine Wanderung geplant haben. Für sie war es immer wichtig, rechtzeitig zu Hause zu sein. „Meine Mutter ist nie gerne in den Urlaub gefahren, mein Vater schon“, erzählt Esther, die ein Reisebüro betreibt.

Die Stolpersteine in Rees sind ihr wichtig. Bernd Schäfer erinnerte daran, dass ein Mensch dann vergessen ist, wenn sein Name vergessen ist. Die Stolpersteine sollen an die Namen der jüdischen Bewohner Rees erinnern.