Emmerich. Syrien ist von Diktator Assad befreit. Im Emmericher Barbershop kochen die Emotionen hoch. Was geflüchtete Syrer unter Assad erlebten.

Als er mit Kamm und Schere hantiert, rutscht sein Armband das Handgelenk herunter. Grün, weiß, schwarz. In der Mitte drei rote Sterne. Syriens Flagge. Jene, die das Volk vor dem diktatorischen Assad-Regime trug. Und nun, nach dessen Sturz in der Nacht von Samstag auf Sonntag, endlich wieder hissen kann. „Syrien ist frei“, freut sich Friseur Basel Rajab. Im Emmericher Barbershop herrscht Hoffnung.

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„Wir haben davon in den Sozialen Medien erfahren“, erzählt ein syrischer Kollege. Der erste Gedanke: Ist das echt? Schließlich schien alles plötzlich ganz schnell zu gehen. Nach 58 „schrecklichen“ Jahren ließen sich die Errungenschaften der Rebellen im Minutentakt auf Instagram und Tik-Tok verfolgen. „Das hätten wir niemals erwartet.“ Auch, weil sie am eigenen Leib erfahren mussten, wie sich das Leben unter Assad anfühlt.

Ihr Alltag unter Assad

Bevor sie vor ungefähr zehn Jahren nach Deutschland flohen, lebten sie in ständiger Angst. „Diese Regierung hat das Haus meiner Familie bombardiert. Es ist eine ganz persönliche Wut“, sagt Rajab. Noch heute trauert er um Angehörige, die dabei ums Leben kamen. Sein Kollege wagt ebenfalls einen Blick zurück.

Selbst in den engsten Freundeskreisen habe niemand gewagt, eine Meinung zu äußern. „Die Wände haben Ohren, sagten wir immer“, erinnert sich der 30-Jährige. Jenen, die Assad kritisierten, drohten Tod und Folter. So habe die Emmericher Friseure besonders die jüngste Befreiung der Foltergefängnisse wie in Saidnaya bewegt.

Die Flagge der syrischen Revolution trägt auch Basel Rajab in Emmerich an seinem Handgelenk.
Die Flagge der syrischen Revolution trägt auch Basel Rajab in Emmerich an seinem Handgelenk. © dpa | Fabian Sommer

Neuste Erkenntnisse machen sprachlos

Insassen lebten, so die Erkenntnisse der Rebellen, jahrzehntelang in Dunkelheit, teilweise unter der Erde. „Menschenmetzger“, nennen sie Assad nun. Männer, Frauen und Kinder seien „bis in den Tod gequält“ worden. Als das Thema im Hinterzimmer des Barbershops aufkommt, wird es zwischenzeitlich immer wieder ganz still.

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Blicke auf den Boden gesenkt, schütteln die Syrer den Kopf. „Wir konnten uns nicht vorstellen, dass es so etwas schlimmes auf der Welt geben kann. Das macht einen verrückt“, bricht Rajab das Schweigen.

Angehörige in Syrien feiern

Umso größer sei die Freude, dass, die Diktatur gestürzt ist. „Es ist ein sehr großer Tag für uns“, bestätigt der Inhaber des Ladens, Mohammed Juma. Egal, welcher Syrer gefragt würde, die Antwort laute in den letzten Tagen immer gleich: „Ich fühle mich großartig.“ Freunde und Angehörige, die in seiner Heimat im Norden Syriens leben, seien auf die Straßen gegangen und hätten ausgelassen gefeiert.

Sie selbst zelebrieren die Befreiung im kleinen Ort am Niederrhein untereinander. Das ganze Geschehen ist für die Emmericher schließlich über 4000 Kilometer entfernt. Wer hier durch die Kaßstraße läuft, ahnt kaum, wie viele Emotionen hinter den Glastüren des Barbershops lauern.

Sorge um ungewisse Zukunft

„Natürlich sind wir hier sehr glücklich und durch unsere Arbeit abgelenkt. Aber trotzdem sind wir gespannt, was in unserer Heimat noch passiert“, erklärt Juma. Da schwinge auch Sorge um die ungewisse Zukunft des Landes mit. Seine Heimat steht ohne Regierung da, „Syrien muss bei Null anfangen.“ Er habe Angst, dass türkische Truppen kurdische Gebiete im Norden Syriens weiter bekämpfen.

Was kommt nach Assad?

Bei den Rebellen, die das Assad-Regime stürzten, handelt es sich um die islamistische Gruppierung Hajat Tahrir al-Scham. Zuvor hatte sie Verbindungen zur Terrororganisation Al Quaida, sagte sich aber öffentlichkeitswirksam von dieser los.

Bei dem Angriff auf die Regierungstruppen waren auch Rebellengruppen im Norden, Kurdenmilizen im Nordosten sowie Zellen der Terrormiliz IS beteiligt.

Zum bisherigen Zeitpunkt ist nicht klar, wie die neue Macht unter den Gruppen verteilt wird.

„Egal, welche Nationalität, ob Araber oder Kurde, wir wollen einfach Frieden haben“, beteuert der Inhaber. Die Hoffnung darauf entflammte mit dem Sturz des Diktators und sprüht weiter ihre Funken: „Wir glauben an das Beste.“ Noch ist die Lage zu unsicher, in Zukunft könnte sich aber der größte Wunsch, den die drei Friseure teilen, erfüllen. „Einfach mal ins Flugzeug ein- und aussteigen.“