Emmerich. In Emmerich war die Wohnungsnot nach dem Zweiten Weltkrieg groß. Das Schweizer Dorf schuf Abhilfe. Die Baracken wurden im Januar 1947 bezogen.

Es war eine Siedlung aus Holzbaracken. Das klang nicht sonderlich schön. Deshalb bürgerte sich recht schnell der Begriff Schweizer Dorf ein. Benannt nach der Schweizer Hilfe, die das soziale Projekt finanziert hatte. In diesem Monat vor 75 Jahren wurden die ersten Wohnungen im Schweizer Dorf in Emmerich bezogen.

Wohnungsnot ist in Emmerich nach dem Zweiten Weltkrieg besonders groß

Die Auswirkungen des Zweiten Weltkriegs waren verheerend. Als am 7. Oktober 1944 Emmerich durch alliierte Bombardements praktisch dem Erdboden gleich gemacht wurde, waren nur noch wenige Einwohner in der Stadt verblieben. Bis die alliierten Truppen an Ostern 1945 die Stadt eroberten, ging es für viele ums nackte Überleben.

Prozesse gegen Hauptkriegsverbrecher in Nürnberg

Das Schweizer Dorf in Emmerich wurde nach dem Zweiten Weltkrieg zur Linderung der Wohnungsnot in der durch Bombenangriffe stark zerstörten Stadt errichtet.
Das Schweizer Dorf in Emmerich wurde nach dem Zweiten Weltkrieg zur Linderung der Wohnungsnot in der durch Bombenangriffe stark zerstörten Stadt errichtet. © Stadtarchiv | Stadt Emmerich

Und auch als in Nürnberg die Prozesse gegen die Hauptkriegsverbrecher schon liefen, war in vielen Teilen des ehemaligen so genannten 1000-jährigen Reiches der Alltag mühsam. Die Wohnungsnot war groß. In Emmerich war sie besonders groß. Nach einigem Hin und Her erhielt die Stadt im Jahr 1946 schließlich die Zusage von der Schweizer Spende über eine finanzielle Unterstützung von fast 430.000 Franken.

70 Familien leben im Mai 1947 in der Schweizer Siedlung

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Wie wichtig die Siedlung war, zeigt ein Aktenvermerk aus dem Mai 1947: 70 Familien wurden dort registriert, so dass 167 Erwachsene und 121 Kinder ein Dach über dem Kopf gefunden hatten.

Das schrieb die NRZ vor 75 Jahren

In der NRZ im Sommer des Jahres 1947 war zu lesen: „Direkt am Waldrand in der Nähe des Wasserturms gelegen, blickt das 48.000 Quadratmeter große Dorf auf die baumbestandene Chaussee, die zum nahen Holland führt, während Wiesen und blühende Äcker eine landwirtschaftlich reizvolle Umgebung bilden. Wenn man auch in der Ferne die Trümmer der zerstörten Kirchen sieht, der quälende Anblick des großen Trümmerfeldes der Stadt bleibt dem Dorf erspart.“

Ob diese idyllische Beschreibung vielleicht doch etwas zu euphemistisch angelegt war, sei mal dahin gestellt. In jedem Fall, und das wird aus Augenzeugenberichten noch Jahrzehnte später deutlich, die ersten Bewohner waren heilfroh, dass sie einen Platz im Schweizer Dorf erhalten hatten.

Belegung der Baracken

Genau um die Belegung der Baracken war zuvor politisch gerungen worden. Der Emmericher Rat und auch die Militärregierung beanspruchten das Recht auf Zuweisung gleichsam für sich. Die Beauftragten der Schweizer Spende hatten aber klar ausgedrückt, dass es sich um ein Dorf für Rückwanderer handele. Dieses Thema wurde im Laufe des Jahres 1946 immer wieder akut, als abzusehen war, dass viele Vertriebene aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten eine neue Heimat an der Westgrenze Deutschlands suchten.

Architekt und Bürgermeister von Emmerich

Im Archiv der Stadt Emmerich gibt es noch einige Bilddokumente vom Schweizer Dorf.
Im Archiv der Stadt Emmerich gibt es noch einige Bilddokumente vom Schweizer Dorf. © Stadtarchiv | Stadt Emmerich

Schließlich wurde am 18. August 1946 mit dem Aufbau der Baracken begonnen. Sechs Architekturbüros hatten Planungen eingereicht. Der Entwurf von Paul Maria van Aaken, der gleichzeitig auch Bürgermeister von Emmerich war, wurde genommen.

Das Material wird knapp

Die Arbeiten bis zum Einzug zogen sich. Es gab zunächst nur vier Arbeiter, die überhaupt mit der Aufgabe betraut werden konnten. Dann setzte Materialknappheit ein. Im Oktober als Rodolfo Olgiati, der Leiter der Schweizer Spende, nach Emmerich kam, um das Dorf zu besichtigen, stellte sich heraus, dass die Hilfsorganisation keine Zwischenwände mehr liefern konnte. Die Mauern beziehungsweise Bimsplatten, die die Zwischenwände ersetzten, erwiesen sich später allerdings als sehr vorteilhaft, da sie die Geräusche aus den Nebenwohnungen stark dämpften.

So hoch war die Miete für das Schweizer Dorf in Emmerich

Die Bewohner des Schweizer Dorfes kamen aus allen Gesellschaftsschichten. Wenn auch die Bauten aus heutiger Sicht sehr rustikal wirkten, bildeten sie damals eine durchaus schmucke Siedlung. Sogar ein Arzt eröffnete dort eine Praxis. Auch ein Tabakladen siedelte sich später an.

Grundsätzlich war es kein Wohnen zum Nulltarif. Für eine 33 Quadratmeter große Dreizimmerwohnung musste vor 75 Jahren eine Miete von 16,50 Reichsmark entrichtet werden.

Im Jahr 1962 wird der Komplex abgerissen

Den Stempel des Provisoriums streifte das Schweizer Dorf nicht ab. Die meisten Emmericher, die hier zwischenzeitlich unterkamen, versuchten, so schnell wie möglich wieder in ihre angestammte Wohnung in der Innenstadt zurückzukehren. Später wohnten nicht mehr nur ausgebombte Familien in der Siedlung, sondern auch sozial Benachteiligte.

Im Jahr 1962 wurde der Komplex abgerissen. Es entstand an der Stelle das heutige Schwimmbad, das Eugen-Reintjes-Stadion und die Tennisanlage.

>> Weitere Literatur zum Thema

Herbert Kleipaß, Vorsitzender des Emmericher Geschichtsvereins, betont gerne, dass „kaum eine Stadt am Niederrhein ihre Geschichte so aufgearbeitet hat wie Emmerich“. Vor der Aufarbeitung steht zunächst die Chronistenpflicht. Dies haben im Fall des Schweizer Dorfs Jessica Klein und Isabelle Angenendt übernommen, die sich im November 1996 im Rahmen einer Projektgruppe des Willibrord-Gymnasiums mit dem Thema beschäftigt haben.

Die Aufzeichnungen der beiden ehemaligen Gymnasiastinnen können nachgelesen werden in den Beiträgen zur Geschichte der Stadt, Band 22. Auch Norbert Kohnen erwähnt in seinem Buch Emmerich im 20. Jahrhundert die Schweizer Spende. In der Neuauflage des Standardwerks Straßen in Emmerich von Walter Axmacher ist zu lesen, dass „im Verzeichnis der Emmericher Straßen der Name ‘Schweizer Dorf’ noch 1960 aufgeführt ist“. Im Verzeichnis von 1963 ist der Name nicht mehr erhalten.