Duisburg. Vor 50 Jahren wurden fünf Städte nach Duisburg eingemeindet. So blicken junge Politiker in den heutigen Außenbezirken auf Probleme. Sie fordern eine Wende.

Es war nie Liebe, sondern eine Zwangsheirat. Bei der kommunalen Neugliederung von 1975 hat sich Duisburg die Städte Walsum, Homberg, Rheinhausen, Baerl und Rumeln-Kaldenhausen einverleibt. Unter vielen Protesten. Trotz Verfassungsklage. Seit Neujahr ist die Eingemeindung nun 50 Jahre her, und die alten Wunden sind noch längst nicht vollständig verheilt. Die Folgen spüren selbst junge Menschen noch, die nur die Großstadt kennen und die für ihre Bezirke politische Verantwortung übernehmen.

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„Der Walsumer fährt nur nach Duisburg, wenn er muss“, sagt die 35-jährige CDU-Ratsfrau Sonja Dietl. Nach Duisburg? So nennen es heute noch die Einwohner in den eingemeindeten Bezirken, wenn sie in die Duisburger Innenstadt fahren. Nur müssen sie das meistens gar nicht. Viele Walsumer orientieren sich, wenn es ums Einkaufen oder ums Ausgehen geht, nach Dinslaken. Viele linksrheinische Duisburger fahren dafür lieber nach Moers und Krefeld. Das bestätigen die SPD-Ratsfrau Merve Kuntke (30) aus Homberg. Ebenfalls Sven Benentreu (31), der auch dort aufgewachsen ist, seit 2020 für die FDP in der Bezirksvertretung Rheinhausen sitzt und jetzt für den Bundestag kandidiert.

50 Jahre nach der Gebietsreform: Viele Probleme in den heutigen Außenbezirken

Alle drei Lokalpolitiker sehen aber nicht nur negative Aspekte der Eingemeindung, sondern auch viele positive. So begrüßen sie, dass mehrere kleinere Stadtwerke, Wirtschaftsbetriebe und Verkehrsunternehmen mit ihren größeren Duisburger Gegenstücken verschmolzen sind. „Eine Großstadt und eine Großstadtverwaltung haben eine stärkere Stimme“, ordnet Sonja Dietl ein. Schlagkräftiger findet das Trio ein großes Duisburg beispielsweise auch als Wirtschaftsstandort. Vorteile gebe es überall, wo ein großes Netzwerk wichtig ist, auch für soziale Einrichtungen oder bei der Kinder- und Jugendarbeit.

Benachteiligt die Stadt Duisburg ihre heutigen Außenbezirke, die sie vor 50 Jahren eingemeindet hat?
Benachteiligt die Stadt Duisburg ihre heutigen Außenbezirke, die sie vor 50 Jahren eingemeindet hat? © FUNKE Foto Services | STEFAN AREND

„Die Eingemeindung ist nicht weit genug gegangen“, bedauert Sven Benentreu und findet, dass das Ruhrgebiet immer noch viel zu viele „kleine Fürstentümer“ habe und noch längst nicht genug „interkommunale Kooperation“. Haben Ruhrgebiet und Niederrhein also zu viele Verkehrsbetriebe, Energieversorger oder Wirtschaftsförderungen? Ja, so der 31 Jahre alte Liberale. Dennoch fordert er nicht, dass sich Duisburg weitere Nachbarstädte einverleibt. Die Zusammenarbeit müsse aber deutlich verbessert werden.

Noch größeren Nachholbedarf sehen alle drei politischen Nachwuchstalente innerhalb der eigenen Stadtgrenze. „Die Bezirke werden vernachlässigt, und die Menschen haben das Gefühl, dass das Geld ungleich verteilt wird“, sagt Merve Kuntke. Auch sie selbst findet, dass zu viele Ressourcen in die City fließen und nimmt als Vergleich die Ladenstadt in Hochheide und die Einkaufsstraße von Alt-Homberg in den Blick.

Innenstadt voller Billigläden, Imbisse und sterbender Einkaufszentren – lieber die Nebenzentren stärken?

„Zu lange hat die Stadtverwaltung an der Innenstadt festgehalten, dabei ist sie längst nicht mehr attraktiv“, führt sie weiter aus. Zu viele Billigläden, Imbisse und sterbende Einkaufszentren. „Wir müssen starke Nebenzentren entwickeln und die lokale Nahversorgung fördern, in allen Bezirken. Denn die Leute wollen nicht mehr in der Innenstadt einkaufen, sondern in ihrem eigenen Viertel.“

„Die Bezirke werden vernachlässigt, und die Menschen haben das Gefühl, dass das Geld ungleich verteilt wird“: Die Homberger Ratsfrau Merve Kuntke (SPD) kennt den Unmut im Duisburger Westen.
„Die Bezirke werden vernachlässigt, und die Menschen haben das Gefühl, dass das Geld ungleich verteilt wird“: Die Homberger Ratsfrau Merve Kuntke (SPD) kennt den Unmut im Duisburger Westen. © FUNKE Foto Services | Alexandra Roth

Dass Hochheide seit 2013 Jahren ein Sanierungsgebiet ist und in Alt-Homberg nach dem Bismarckplatz demnächst auch die Einkaufsstraße aufgehübscht wird, sei wichtig, betont Merve Kuntke, dies hätte aber viel früher kommen müssen.

„Der Zustand der Fußgängerzonen und Einkaufsstraßen ist katastrophal“, stimmt Sven Benentreu ihr zu und hätte sich viel früher ein Konzept gewünscht, um den Einzelhandel in den Außenbezirken weiterzuentwickeln. „Aber auch in superschönen Fußgängerzonen hätten sich viele Fachgeschäfte nicht mehr gehalten“, ordnet der Freidemokrat ein.

Dass Fachgeschäfte verschwunden sind, jetzt leer stehen oder oft durch Billigläden, Barbiere, Trinkhallen oder Automatenkioske ersetzt wurden, hätten selbst alle schönen Blumenampeln dieser Welt nicht verhindert.

Wenn Geschäfte in den Fußgängerzonen und Einkaufsstraßen schließen, trifft das die Anwohner aus der fußläufigen Nachbarschaft oft besonders hart.
Wenn Geschäfte in den Fußgängerzonen und Einkaufsstraßen schließen, trifft das die Anwohner aus der fußläufigen Nachbarschaft oft besonders hart. © FUNKE Foto Services | STEFAN AREND

Wenn in Walsum, Rheinhausen oder Homberg etwa Sparkassen, Postfilialen, Supermärkte oder Traditionslokale verschwinden, merken dies vor allem die Menschen vor Ort. Sie fühlen sich ohnmächtig. Umso mehr, wenn wilde Müllkippen, Drogenkriminalität oder randalierende Jugendbanden hinzukommen wie 2023 am Kometenplatz in Aldenrade.

Gute Ansätze und viel Engagement sieht Sonja Dietl allerdings bei den neuen Citymanagern der städtischen Wirtschaftsförderung DBI. Sie seien Fachleute, die die Stadtteile kennen und mit einem digitalen Leerstandskataster neues Leben in freie Ladenlokale einhauchen.

Der Wermutstropfen: zu wenig Personal. Citymanagerin Armağan Doll ist für alle linksrheinischen Stadtteile zuständig und Mehmet Erdoğan neben ganz Walsum auch für den gesamten Stadtbezirk Hamborn.

Städtischer Veranstalter Duisburg Kontor soll sich mehr außerhalb der Innenstadt engagieren

Größere Versäumnisse nehmen linksrheinische Duisburger und sie Walsumer bei Events und Festen wahr. Der städtische Veranstalter „Duisburg Kontor macht in Walsum nichts außer Wochenmärkte“, stellt Sonja Dietl fest; der Bezirk habe zwar eine „sehr, sehr gute Veranstaltungsstruktur“, doch nur aufgrund von Privatinitiative.

In den anderen Außenbezirken ist die Situation ähnlich. Trotz des Homberger Brunnenfestes, der Oldie-Night oder der Hochemmericher Kirmes, das städtische Engagement müsse ausgebaut werden. Ebenfalls das innerstädtische Marketing, damit alle Duisburger mal im Norden oder im Westen zusammen feiern. „Wir müssen mit Duisburg Kontor über tolle Veranstaltungen für die Bezirke sprechen“, kündigt Merve Kuntke an.

Events in den Außenbezirken, wie hier die Hochemmericher Kirmes, gehen meist auf Privatinitiativen zurück. Der städtische Veranstalter Duisburg Kontor konzentriert sich vor allem auf die Innenstadt. (Archivfoto)
Events in den Außenbezirken, wie hier die Hochemmericher Kirmes, gehen meist auf Privatinitiativen zurück. Der städtische Veranstalter Duisburg Kontor konzentriert sich vor allem auf die Innenstadt. (Archivfoto) © FUNKE Foto Services | Oleksandr Voskresenskyi

Die Stadt verteidigt dagegen, dass ihr Hauptaugenmerk rund um die Königstraße liegt. „Die Innenstadt ist das Hauptzentrum der Stadt. Daher liegt es in der Natur der Sache, dass dort auch viele Veranstaltungen stattfinden“, sagt Sprecher Malte Werning unserer Redaktion auf Anfrage. Er verweist aber zusätzlich auf Kulturveranstaltungen in den Bezirken wie Theateraufführungen und Konzerte in der Stadthalle Walsum, der Rheinhausenhalle und in der Glückauf-Halle.

Solche Angebote sprechen Jugendliche kaum an, weiß Sven Benentreu. Und der Nahverkehr ist zu schlecht, als dass Jüngere andernorts bessere Freizeitangebote wahrnehmen könnten. „Der ÖPNV muss dringend ausgebaut werden“ und aus der Perspektive der Außenbezirke gedacht werden, fordert der Bezirksvertreter.

Gerade abends ab etwa 22 Uhr sei Homberg zu schlecht angebunden, knüpft Merve Kuntke an. Aber das städtische Anrufsammeltaxi „MyBus“ sei „eine der größten Errungenschaften, damit du sicher nach Hause kommst“.

Doch die Ambitionen der Duisburger Verkehrsgesellschaft sind größer. Sie verspricht seit vielen Jahren eine Straßenbahn über den Rhein. „Ich glaube nicht, dass ich diese Straßenbahn noch erlebe“, sagt die 30-jährige Sozialdemokratin und lacht.

Mehr Mitsprache für die Menschen in Homberg, Rheinhausen und Walsum

Ganz und gar nicht zum Lachen findet das Politikertrio jedoch, wenn die Wünsche aus ihren Bezirken von der Verwaltung ignoriert werden. „Uns reicht der Wohnraum nicht“, fällt Sonja Dietl, der Vorsitzenden der Walsumer CDU, sofort ein aktuelles Beispiel ein. Im künftigen Flächennutzungsplan weist die Stadt aber in Walsum deutlich weniger Grundstücke für Wohnbebauung aus als die CDU gerne hätte. Weil die Stadtplaner eine gesamtstädtische Quote erfüllen und dafür kaum Wohnbauflächen im hohen Norden brauchen. „6-Seen-Wedau ist nun mal nicht alles“, kritisiert die Christdemokratin die Haltung im Rathaus zum neuen Flächennutzungsplan.

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Aber sie unterstreicht, dass Ideen aus den Bezirken durchaus erfolgreich in die gesamtstädtische Politik einfließen. Dass Akzente gesetzt werden, auch parteiübergreifend. „Aber das funktioniert nie gut mit der Brechstange“. Um die ehemaligen Städte noch besser zu berücksichtigen, wünscht sich Sonja Dietl „mehr Bürgerbeteiligung“ und „mehr Formate, um mitzusprechen“.

Bei allen Streitpunkten zwischen der Stadt und den Außenbezirken bleibt die junge Generation in der Lokalpolitik allerdings zuversichtlich, blickt nach vorn und verliert den Humor nicht. Was ist das Beste der Gebietsreform von 1975, das bis heute anhält? „Wir können uns seitdem“, flachst Sven Benentreu, „alle hinter dem MSV Duisburg versammeln.“

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