Duisburg. Hochheide leidet unter den Problem-Hochhäusern. Anwohner und Geschäftsleute geben schonungslose Einblicke. Was die Polizei zur Kriminalität vor Ort sagt.
Hochheide gehört zu den verrufenen Ortsteilen von Duisburg, zu den Brennpunkten. Die Ladenstadt erfüllt im Schatten der Weißen Riesen eine wichtige Funktion als Nebenzentrum. Zuletzt mehren sich Beschwerden über Gewalt, Drogen, Diebstahl und Müll. Die Hochhaussiedlung geriet unlängst durch eine Großrazzia und durch entmutigte Paketzusteller überregional in die Schlagzeilen. Die Zustände in den Hochhäusern überschatten den Ruf der Geschäfte in Hochheide. Doch wie düster ist die Lage dort wirklich?
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„Unsere Ladenstadt ist lebendig, und Hochheide hat sich auf jeden Fall sehr positiv entwickelt“, findet der Düsseldorfer Kerim Kiziltan, der seit gut zwölf Jahren das Eiscafé Palazzo führt. Dass seine Eiskugeln, seine Waffeln und der italienische Kaffee im linksrheinischen Duisburg als kleiner Luxus gelten, merkt er an der geschrumpften Laufkundschaft. „Abends bleiben viele Kunden weg, das ist aber nichts Neues“, sagt der 40 Jahre alte Gastronom und macht dafür maßgeblich die Bewohnerinnen und Bewohner der Weißen Riesen verantwortlich, die „vielen Menschen mit sozialen Problemen“.
„Wir greifen jetzt durch“: Geschäftsleute sehen Aufwärtstrend in der Hochheider Ladenstadt
Dass Senioren von Opfer Dieben oder Blumen herausgerissen werden, komme tagsüber vor, habe jedoch stark abgenommen. „Wir greifen jetzt durch, und wir helfen uns gegenseitig.“ Dies ist eine Nachbarschaftshilfe, die Gastronomen, Kaufleute und die Stammgäste zu schätzen wüssten. „Die Polizei ist präsent, ich fühle mich wohl und sicher“, zieht der Eiscafé-Chef eine positive Bilanz.
Dass es im Stadtteil vorangeht und niemand ernsthaft von einer Abwärtsspirale sprechen könne, findet der stellvertretende Bezirksbürgermeister Dietmar Beckmann (Grüne). Zwar hätten immer noch viele Menschen ein mulmiges Gefühl in Hochheide, doch „da geht es wesentlich um gefühlte Sicherheit“. So erinnert Beckmann an „gewaltige Leerstände“ vor circa 15 Jahren und an Massenschlägereien während Silvesterkrawallen. Alles Vergangenheit.
„Der Weg, auf dem sich Hochheide befindet, kann gar nicht besser sein“, betont der Grüne und verweist auch auf den 2025 geplanten Abriss des dritten Hochhauses. Jedoch ist ihm wichtig, dass vor jeder Sprengung eines Weißen Riesens soziale Fragen geklärt wurden, um nicht „tausende Obdachlose“ zurückzulassen.
Palaver, Pöbeleien, Prügeleien: Mitarbeiter und Anwohner sind erleichtert über verstärkte Polizeipräsenz
Die Mitarbeiterinnen und die Kundschaft der „Artrium Apotheke“ sehen die sozialen Fragen im Viertel dagegen keinesfalls als geklärt, sondern weiterhin ausschlaggebend für Missstände und unschöne Vorfälle. „Das ist hier keine schöne Ecke“, räumt Filialleiterin Barbara Pollmann in Hinblick auf die Ladenstadt und den Bürgermeister-Bongartz-Platz ein.
So gibt es viele Berichte über gelangweilte Jugendlichen, die Böller explodieren lassen. Über Palaver, pöbelnde Alkoholiker und über so manche Prügelei. Im Notdienst bleibt der Apotheken-Eingang bewusst geschlossen, bedient werden Kunden nur noch durch eine Durchreiche, die Notdienstklappe.
Trotzdem fühlt sich Barbara Pollmann „sicher in Hochheide“. Die Ruhrorterin fährt angstfrei mit dem Fahrrad zur Arbeit und joggt auch in ihrer Freizeit durch den Stadtteil. Allerdings meidet sie beim Joggen im Dunkeln möglichst den verrufenen Roten Weg zwischen den Hochhäusern.
Ihr Team berichtet von zerstochenen Autoreifen und dass es Erleichterung bei ihnen auslöst, wenn sie Polizisten und Streifenwagen sehen. Und längst nicht nur in der Apotheke bedauern viele Menschen, dass kleine, schnuckelige Fachgeschäfte aufgegeben haben. Vermisst wird etwa der Bastelladen oder das Schreibwarengeschäft.
„Hochheide ist wunderschön“, bekräftigt eine Anwohnerin, „aber ich bin geschockt, wie sich der Stadtteil entwickelt hat“. Die Seniorin möchte anonym bleiben und verweist auf Einbrüche und auf eine anhaltende „Rattenplage“ wegen weggeworfener Lebensmittel. Unangenehm fallen ihr zudem „zwielichtige Wettbüros“ und deren Klientel auf. Ebenso eine hohe Anzahl an Trinkhallen. Nach 17 Uhr gehe sie derzeit nicht mehr in die Ladenstadt, geschweige denn zu den Weißen Riesen.
Dass ältere Kunden sich im Dunkeln fürchten, bedauert Satilmis Emir vom „Shisha Shop“ an der Moerser Straße. Diese Furcht möchte er nicht kleinreden, aber er macht ganz andere Erfahrungen. Der junge Mann ist oft bis Mitternacht im Laden, der zugleich ein Kiosk ist. Er habe „überhaupt keine Angst“. Der Laden sei noch nicht überfallen worden. Schlägereien im Umfeld gebe es kaum, „und die Polizei ist sehr aktiv“. Die Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen, die bei Satilmis Emir Weingummi, Orangenlimo oder Vapes mit Kirschgeschmack kaufen, scheinen sich ebenfalls wohlzufühlen. Junge Frauen scherzen mit dem jungen Verkäufer, flirten sogar und versprechen, wiederzukommen.
Ist fehlende Sauberkeit das größte Problem von Duisburg-Hochheide?
„Die Probleme der Ladenstadt haben nichts mit Sicherheit zu tun, sondern mit der Sauberkeit“, betont der SPD-Ratsherr Bernd Thewissen, sieht aber das Image von Hochheide durch die Hochhaussiedlung „stark beeinflusst“. Dass Kinder draußen spielen oder dass gerade im Sommer viele Familien ihre engen, kleinen Wohnungen verlassen und lange auf der Straße sind, sieht der Sozialdemokrat „nicht als großes Problem“. Wohl aber, dass das Viertel vermüllt. Wilder landen regelmäßig auf Müllkippen und von Hochhausbalkonen fliegen Abfall und Sperrmüll.
Die Situation im Stadtteil dürfe nicht verharmlost werden, mahnt Uwe Schock von der Initiative „Hochheide Fresh“. „Hier wächst eine schwierige Generation auf“, sagt er und meint Jugendbanden, die meist Migrationshintergrund haben und die weder Autorität fürchten und noch Konsequenzen für ihre Verbrechen. Nicht wenige seien zu jung, um strafmündig zu sein. „Man ist hier in einer anderen Welt.“ Tatsächlich hat Oberbürgermeister Sören Link erst kürzlich die „Armutszuwanderung aus Südosteuropa“ als Grundproblem an den Zuständen in Hochheide benannt.
Bei Geschäftsleuten ist die Ladenstadt weiterhin sehr gefragt
Geschäftsleute halten jedoch der schlechte Ruf und die tatsächlichen Zustände jedoch nicht ab. So stellt die städtische Wirtschaftsförderung DBI auf eine hohe Fluktuation fest. „Die Entwicklung von Hochheide erfordert weiterhin Engagement, Kooperation und kreative Lösungen, um gemeinsam die Leerstandsproblematik anzugehen und die Attraktivität des Quartiers zu steigern“, betont Citymanagerin Armağan Doll.
Aktuell gibt es 16 Leerstände, vergleichsweise wenig für so eine große Ladenstadt. Diebstahl um den Bürgermeister-Bongartz-Platz, Verunsicherung bei Angestellten, Sauberkeit und Ordnung sind laut der DBI die zentralen Themen. Armağan Doll sieht aber „wertvolle Ansätze“ durch die Zusammenarbeit mit Hochheide Fresh sowie durch das Integrierte Handlungskonzept (ISEK) für den Stadtteil.
Für Duisburgs Polizeipräsident ist Angst vor Überfällen unbegründet
Die Polizei Duisburg setzt in Hochheide auf verstärkte Präsenz und auf gemeinsame Streifen mit dem Ordnungsamt. Ein Grund: Allein von Januar bis einschließlich August seien „deutlich mehr als 700 Straftaten“ verübt worden, darunter fast 300 Diebstähle und 70 Körperverletzungen. Polizeipräsident Alexander Dierselhuis bestätigte kürzlich zwar ein schlechtes Sicherheitsgefühl, er stelle in dem großen Viertel aber nicht übermäßig viele Straftaten fest, und „Angst, dass man überfallen wird, muss man dort, statistisch gesehen, nicht haben“.
So optimistisch sieht Anwohner Uwe Schock die Lage nicht. Sie habe sich seit den Neunzigerjahren „rapide verschlimmert“. Er und andere Betroffene möchten nicht hören, dass Hochheide längst nicht so schlimm ist wie Meiderich, Marxloh oder Hochfeld. Für sie ist die aktuelle Situation schon schlimm genug. Daher wollen sie sich weiterhin dafür einsetzen, dass Hochheide wieder lebenswerter wird. Und dass der Stadtteil nicht mehr so stark unter den Zuständen der Hochhaussiedlung leiden muss.