Düsseldorf. Gemüsebauer Willi Andree hat sein Leben auf dem Großmarkt verbracht. Am 31. Dezember ist dort Schluss. Wie es weitergeht, weiß er noch nicht.

Der Arbeitsplatz von Willi Andree liegt versteckt, mitten im Bauch von Halle 8 auf dem Düsseldorfer Großmarkt. Es ist kühl und bereits leer im breiten Mittelgang. Nur noch in Andrees Büro, einer kleinen Holzbaracke, brennt noch Licht. Der Mann mit weißem Haar, Strickjacke und kariertem Hemd winkt durch das Fenster. 8.20 Uhr am Morgen, und der 88-Jährige hat gerade den letzten Kunden bedient, jemanden vom Früchtehaus Benrath. Andree hat wieder die ganze Nacht durchgearbeitet: Lieferscheine ausgefüllt, Bestellungen aufgenommen, Aufträge abgearbeitet: „Nur noch Büroarbeit halt, denn der Körper macht nicht mehr so ganz mit.“

Der Großmarkt ist fast so alt wie er. „Seit ich denken kann, arbeite ich hier die Nacht durch“, sagt der Düsseldorfer. Bald soll aber Schluss sein, denn Ende des Jahres macht die Stadt den Großmarkt am Standort im Norden der Stadt dicht. Andree sitzt auf seinem Stuhl, stützt die Hände auf die Oberschenkel und schüttelt traurig den Kopf. „Das hier platt zu machen, ist eine Sünde, eine Katastrophe!“

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Andree ist 1935 geboren, eine Jahr vor der Gründung des Großmarktes. Er hat in den Hallen an der Ulmenstraße im Stadtteil Unterrath fast alle Nächte seines Lebens verbracht. Am 31. Dezember wird dort der letzte Kürbis, die letzte Tomate, der letzte Salat verkauft. Denn die Stadt löst das Handelszentrum nach langem Rechtsstreit auf. Das Gelände soll nach der Auflösung des Großmarktes unter anderem an die Metro gehen. Die Gemüse- und Obsthändler hatten reihenweise gegen den politischen Beschluss geklagt, am Ende aber verloren. „Ich habe Oberbürgermeister Keller auch vier Briefe geschrieben, zu einem habe ich eine Antwort bekommen, die war aber sehr unbefriedigend“, erzählt Andree. Er ist stinksauer auf seinen OB. „Der hätte besser als Stadtdirektor in Köln bleiben sollen.“

Großmarkt: Umzug nach Hilden, aber wer zieht eigentlich mit?

Der Großmarkt zieht im neuen Jahr vom Düsseldorfer Norden hinter die Stadtgrenze an die Siemenstraße nach Hilden. Dort soll es bessere logistische Möglichkeiten geben. Das Urgestein lacht sich darüber kaputt. „Wir werden das nicht mitmachen“, sagt Andree. In Hilden müsse man Zehnjahresverträge unterschreiben, „bei 22.000 Euro Monatsmiete, dazu eine einmalige Kaution von 67.000 Euro“. Er tippt mit dem Zeigefinger auf seine Stirn. „Ich mache da nicht mit“, sagt er. Es hätten auch schon viele der anderen Händler die Idee verworfen, nach Hilden umzuziehen. „Das wird da nichts“, glaubt Andree, der mittlerweile auf einen Rollator angewiesen ist. Er sucht gemeinsam mit seinem Sohn Willi Andree junior einen neuen Ort zum Handel treiben: „Es kann auch eine freistehende kleine Halle sein, die alles hat, unter anderem einen großen Kühlraum.“ Gefunden haben die beiden indes noch nichts.

Willi Andree in seinem Büro auf dem Düsseldorfer Großmarkt, in dem viele Familienfotos an der Wand hängen.
Willi Andree in seinem Büro auf dem Düsseldorfer Großmarkt, in dem viele Familienfotos an der Wand hängen. © NRZ | Stephan Wappner

Für Andree geht mit dem Aus im Düsseldorfer Norden eine Ära zu Ende. Schon als Dreijähriger fuhr er mit seinem Vater Gerd mit zum Großmarkt. „Im Krieg kamen die Menschen dort mit Lebensmittelkarten hin, wir haben den Hungerleidenden geholfen“, erzählt er. Es folgten Schicksalsjahre für die Familie aus Hamm: 1943 traf eine Fliegerbombe den Hof am Aderkirchweg. Alles lag in Schutt und Asche. Vier Jahre später, mitten im Wiederaufbau des Hofs, starb der Vater an Lungentuberkolose. Willi und sein etwas jüngere Bruder Gerd junior mussten die Familie versorgen. Der zwölfjährige Willi schmiss die Schule. „Wir haben vier Stunden geschlafen und zwanzig Stunden gearbeitet“, erinnert er sich. „Was sollten wir machen, wir hatten keine Wahl.“

Der Hof wurde wieder aufgebaut, das Andree-Imperium wuchs. Heute produziert das Familienunternehmen auf einem großen Hof in Osterath bei Meerbusch: Salate (kein Kopfsalat), Gurken, Wirsing, Rotkohl, Sellerie oder auch Basilikum werden von dort zum Großmarkt geliefert oder an Supermärkte und Gemüsecenter in Düsseldorf und der Region. In Osterath sind dafür zehn Lkw, dazu „fünf bis sechs Sprinter“ stationiert. Aus dem Ausland (Holland, Belgien, Italien, Spanien) ein- und dann weiterverkauft wird alles Mögliche: Tomaten, Karotten, Äpfel, Paprika, Zwiebeln, Kürbisse genauso wie Knoblauch oder Erdnüsse.

Auf den heimischen Hof in Hamm wird nur noch wenig produziert, weil sich die Nachbarschaft über den nächtlichen Gabelstapler-Lärm beschwerte. Überhaupt sind die Gemüsebauern in dem dörflichen Stadtteil so gut wie ausgestorben. Und das hat wohl vor allem monetäre Gründe. „Die Grundstückspreise sind hoch“, erzählt Andree. „Viele Kollegen haben ihr Land an Immobilienfirmen verkauft. Hamm ist heute ein Stadtteil zum Übernachten, nicht mehr zum Arbeiten.“

Seit 46 Jahren auf dem Großmarkt Düsseldorf selbstständig

Willi Andree ist seit 46 Jahren auf dem Großmarkt selbstständig. Seitdem schlägt er sich sechs Tage die Woche die Nacht um die Ohren. Urlaub hat er zum letzten Mal vor fünf Jahren in Schleswig-Holstein gemacht. Aber auch von dort hat er Rotkohl und Wirsing mitgebracht, „weil der dort besser wächst“. Abschalten? Na ja. Nachts wird gearbeitet, tagsüber geschlafen. Diesen Rhythmus wird er nicht mehr aus dem Körper kriegen, glaubt Andree. „Nicht mehr in diesem Leben.“ Zeit für Hobbys? Schwierig bis unmöglich. Der Senior ist Fortuna-Fan. „Fußball ist dann schon interessant. Ich gucke mir die Spiele auf Sky an.“

Das Leben besteht für Andree aus Arbeiten, Arbeiten, Arbeiten. Doch die Tage auf dem Großmarkt sind gezählt. Nicht nur der Düsseldorfer Unternehmer steht dann vor einer ungewissen Zukunft. Auch seine langjährigen treuen Mitarbeiter Keman und Murat - zwei harte Typen mit Schwielen an den Händen, aber gütig blickenden Augen - sind verunsichert. „Es ist nicht gut, was hier passiert, hier gehen auch viele Arbeitsplätze verloren“, sagt Murat und zieht an seiner Zigarette. Sein Chef hat mal in einem Interview gesagt, dass er den Großmarkt nur über die eigene Leiche verlassen würde. Heute sagt Andree: „Ich will weiterleben, wenigstens noch ein bisschen.“

Großmarkt wurde 1936 gegründet

Der Düsseldorfer Großmarkt wurde 1936 gegründet und befindet sich seit dem Jahr 1957 an der Ulmenstraße im Stadtteil Derendorf. Die Gesamtgrundstücksfläche beläuft sich nach Angaben der Stadt auf rund 115.000 Quadratmeter. Den 50 ansässigen Händlern steht eine Verkaufs-, Lager-, Kühl und Bürofläche von 20.000 Quadratmetern zur Verfügung. Ihr Kundenstamm besteht laut Stadt weitestgehend aus Wiederverkäufern und Großverbrauchern. Neben Einzel- und Großhändlern zählen auch viele Gastronomen, Hoteliers und Großkantinenbetreiber aus der Region zur Kundschaft des Großmarktes. Ein wesentlicher Bestandteil des Großmarktes ist auch der ab 5 Uhr früh geöffnete Blumengroßmarkt Düsseldorf. Dort bieten auf über 10.000 Quadratmetern rund 50 Floristik-Betriebe ihre bunte Ware an. Die Hallen des Großmarktes wurde laut Stadtangaben zwischen den Jahren 1978/79 und 1990/91 neu errichtet. Kostenpunkt damals: Rund 30 Millionen Euro.

Am kommenden Samstag wird Willi Andree 89 Jahre alt. Geburstag feiert er natürlich auf dem Großmarkt. Es wird die letzte Geburtsagsfeier in der großen, kühlen Halle 8 auf dem Ulmenstraßen-Areal sein. Der Düsseldorfer hat Familie, Freunde, Bekannte und Presse eingeladen. Die Party beginnt um Mitternacht. Wann auch sonst?

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