Düsseldorf. Die Düsseldorferin Käthe Lorenz ist an Brustkrebs erkrankt. Und hat darüber ein Buch geschrieben. Warum es kein „rührseliges Psychogramm“ ist.
Der 12. September 2020 hat sich tief eingebrannt in das Gedächtnis von Käthe Lorenz. Es war der Tag, an dem sie ihren Kollegen zurief: „Bin kurz zum Arzt und gleich wieder da!“ Aber die Theaterpädagogin kehrte an diesem Septembertag vor vier Jahren nicht mehr zurück an ihren Arbeitsplatz. Weil sich der Knubbel in ihrer Brust, der von Medizinern jahrelang als Zyste diagnostiziert worden war, plötzlich als bösartiger Tumor entpuppte.
Käthe Lorenz legt ihre Hand auf die Herzseite. Dorthin, wo seit der Operation nichts mehr ist. Keine Brust, keine Brustwarze – kein Tumor. Nur noch eine Narbe, deren Dimension die 44-Jährige mit Daumen und Zeigefinger in die Luft malt. „Vielleicht zehn Zentimeter“, sagt sie und legt ihre Hand zurück auf das fliederfarbene T-Shirt mit der Aufschrift „Love“. Das wird sie noch öfter tun, während unseres Gesprächs. Ihre Finger streichen über die Stelle, um die wir bei unserem Treffen im Düsseldorfer Café Remé kreisen.
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Wie fühlt sich das an, wenn einem die Brust weggenommen wird, die fast vier Jahrzehnte als sichtbares Symbol der Weiblichkeit über dem Herzen gethront hat? Darf man das überhaupt fragen, wenn man zwei gesunde Brüste hat und nicht weiß, wie tief der Schmerz in Körper und Seele des Gegenübers noch sitzt? Käthe Lorenz lächelt mit dem ganzen Gesicht. Dann legt sie beide Hände auf die Brust und sagt: „Für mich fühlt sich das jetzt gut so an. Das gehört zu meiner Biografie.“
„Amazonen Poesie“ heißt das Buch über Brustkrebs von Käthe Lorenz
Es war eine lange Reise bis zu diesem Punkt. Sie, die immer dachte, dass der Mittelpunkt ihres Lebens der turbulente Job am Theater ist, wurde plötzlich aus dem Alltag gerissen. „Ich habe gedacht, mein Leben ist vorbei.“ Sie weiß jetzt, wie krass sich Todesangst anfühlen kann. Aber sie spürt seitdem auch, was für ein Wunder das Leben ist. Und was ein Körper alles schaffen kann.
„Ich bin ein Glückskind. War es immer. Und bin es bis heute geblieben. Ich bin glücklich. Dankbar bis in die letzte Zelle meines Körpers. Dankbar für meinen Körper. Für seine stete Bereitschaft und seinen Instinkt, sich für mich einzusetzen, mit mir gemeinsam weiterzugehen.“
In Sätze wie diese hat Käthe Lorenz ihre Emotionen gegossen. So liest sich das Gefühl, das sie durchflutet, als sie am 24. März 2021 die letzte Chemo geschafft hat. „Amazonen Poesie“ hat die Düsseldorferin ihr Buch genannt, in dem sie die Jahre seit der Diagnose Brustkrebs verarbeitet hat. Eigentlich wollte sie nicht schreiben. Aber dann drängten all die Bilder, Gedanken und Gefühle ihrer Krankheitsgeschichte so heftig ans Licht, dass sie sie nicht mehr bändigen konnte. „Ich musste das rauslassen, um es zu verarbeiten.“
Die Autorin Käthe Lorenz kann für Lesungen aus ihrem Buch über Brustkrebs gebucht werden
Sie schrieb drauflos. In Cafés, im Zug, zu Hause auf dem Sofa. Immer dann, wenn die Erlebnisse hervorkrochen, schenkte sie ihnen Raum, spielte die Situationen im Kopf noch einmal durch und gab ihnen mit Buchstaben einen festen Platz. In einem Rutsch sind die Texte entstanden, in denen Käthe Lorenz ihr Innerstes nach außen gekehrt hat. Dabei sind die 98 Seiten ihrer „Amazonen Poesie“ zu einem Kunstwerk gewachsen.
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„Das ist kein Seelenstriptease“, stellt sie klar. Das Büchlein ist alles andere als ein rührseliges Psychogramm einer Brustkrebspatientin. „Es ist ein Teil von mir, aber in eine poetische Form gegossen.“ Es ist ein ehrliches, kluges, kreatives und hochemotionales Buch. Eines, das den schmalen Grat zwischen Selbstironie und wahrhaftigem Gefühl trifft. Die tiefe Liebe zu ihrer Frau hat Käthe Lorenz darin genauso verarbeitet wie Absurdes aus dem Klinikalltag einer Krebspatientin.
Wie groß das Spektrum der Texte ist, zeigen die Überschriften der Kapitel. Sie tragen Titel wie „Schock“, „Heidi aus Wilmersdorf ist sehr sensibel“, „Eiertanz“ oder einfach nur „Du“. Es ist ein Buch, das Betroffenen Halt geben kann. Weil die Autorin es schafft, all das in Worte zu fassen, was sprachlos macht. Es ist ein Buch, das Trost spenden kann. „Meine Botschaft ist: Du bist okay! Du darfst mit allem sein, was du grade fühlst.“ Und es ist ein Buch, das Wegbegleitern die Augen öffnen kann und von allen gelesen werden sollte, die Berührung mit an Krebs erkrankten Menschen haben.
Die Lektüre von „Amazonen Poesie“ ist sehr emotional
Aber die Lektüre schüttelt auch durch. Die Gefühle, die zwischen den rosafarbenen Buchdeckeln stecken, durchlebt man beim Lesen. Ein Kapitel wie „Doris“, über die Zimmernachbarin aus der Klinik, bei der der Krebs am Ende wiederkommt, ist so emotional geschrieben, dass es nur schwer auszuhalten ist.
Wie ist das für die Autorin, wenn sie bei ihren Lesungen die eigene Gefühlswelt vorträgt? „Dadurch, dass ich das öffentlich mache, bekomme ich Distanz dazu“, sagt Käthe Lorenz. Hier spürt man, dass sie von der Theaterarbeit kommt. Auf der Bühne ist die 44-Jährige Profi und präsentiert ihre Texte als Gesamtkunstwerk zusammen mit einem Musiker. „Das ist eine Inszenierung.“
Bei unserem Treffen im Café gibt es keine Dramaturgie und kein Publikum. Stattdessen das offene Bekenntnis, dass das Kapitel Brustkrebs für Käthe Lorenz nie abgeschlossen sein wird. Im November steht die nächste große Kontrolluntersuchung an. „Wenn der Termin näher rückt, spüre ich, dass meine Ängste noch da sind.“ Was ihr dann hilft, ist neben dem Vertrauen in ihre Amazonenkraft eine besondere Form der Bewegung. Käthe Lorenz ist Biodanza-Lehrerin. Eine Körpererfahrung, die das Heilsame schon im Namen trägt. Die wörtliche Übersetzung lautet: Tanz des Lebens.
„Amazonen Poesie“ von Käthe Lorenz ist für 18 Euro im Buchhandel erhältlich.
Brustkrebsmonat und Lesung
Der Brustkrebsmonat Oktober macht auf die Situation von Erkrankten aufmerksam. Prävention, Früherkennung und Erforschung rücken jedes Jahr im Herbst weltweit in den Fokus. Brustkrebs ist die häufigste Krebsart bei Frauen. Jedes Jahr erkranken in Deutschland nach Schätzungen des Robert Koch-Instituts 70.550 Frauen und 740 Männer neu. Jede achte Frau in Deutschland ist betroffen.
Käthe Lorenz wird im November in Düsseldorf das nächste Mal aus ihrem Buch „Amazonen Poesie“ lesen. Im Rahmen des Patientinnentags von „ISI e.V.“ (ab 10.30 Uhr im Maxhaus, Schulstraße 1) liest die Autorin gegen 16 Uhr aus ihrem Buch. Sie kann für längere Lesungen auch gebucht werden. Kontakt: www.biodanza-leben-erleben.de.