Dinslaken. Jugendliche haben zwei behinderte Menschen und ihre Betreuerin in der Innenstadt angegriffen. Die Tat sorgt für Entsetzen – und wirft Fragen auf.
Vier Jugendliche greifen zwei körperlich und geistig behinderte Menschen und deren 59-jährige Betreuerin an. Am helllichten Tag auf der Neustraße – mitten in der Dinslakener Fußgängerzone. Sie kesseln die behinderten Menschen ein, schubsen sie, pöbeln, beleidigen und diskriminieren sie, lachen sie aus. Diese Tat, geschehen am Donnerstag, 8. August, 18 Uhr, und von der Polizei eine Woche später veröffentlicht, hat für Entsetzen und Empörung in Dinslaken gesorgt. Warum hat niemand geholfen? Das fragen viele Menschen in Sozialen Medien. In einer Facebookgruppe fordern Bürger Kameraüberwachung und mehr Polizeipräsenz in der Innenstadt – und denken über eine Bürgerwehr nach. Denn vor allem am Neutor gab es in der Vergangenheit immer wieder Probleme mit randalierenden oder pöbelnden Jugendgruppen.
- Die NRZ Dinslaken auf Whatsapp: Hier kostenlos den Kanal abonnieren
- Die NRZ Dinslaken auf Facebook: Hier kostenlos die Seite abonnieren
- Die NRZ Dinslaken auf Instagram: Hier kostenlos die Seite abonnieren
„Was mich wundert ist, dass es keiner gesehen haben will. Schämt euch.“ Das schreibt eine Frau in der Facebookgruppe „Dinslaken aktuell“. Eine andere wird angefeindet. Sie sei zu gebrechlich, um einzugreifen, hat sie erklärt. Zu perplex zu sein, Angst zu haben, selbst verletzt oder gar im Anschluss verklagt zu werden, sind andere Gründe. „Das kann man auch verstehen“, sagt Peter Reuters, Sprecher der Kreispolizei Wesel, und fügt hinzu: „Aber jeder hat ein Smartphone und kann mindestens die Polizei anrufen.“ Oder die Passanten in der Innenstadt laut auf die Situation aufmerksam machen, oder in einem der Geschäfte darum bitten, die Polizei zu rufen, so Reuters.
Wenn Helfer selbst beschuldigt werden
Tatsächlich könne Bürgern, die tätlich eingreifen, am Ende eine Klage drohen, bestätigt Reuters: „Den Leuten steht der Rechtsweg natürlich auch frei, wenn sie von einem Passanten zu Boden gebracht oder geschlagen werden.“ Er berichtet von einem Fall, in dem ihm selbst genau das passiert sei. Er sei privat in Neuss unterwegs gewesen und habe gesehen, dass ein Mann seine Frau und sein Kind mit Benzin übergossen habe und anzünden wollte. „Ich bin dann hin und habe ihn umgehauen“, so der Polizeisprecher. Er sei dann ebenfalls der Körperverletzung beschuldigt worden. „Das ist dann aber selbstverständlich eingestellt worden. Man wird seltenst für Nothilfe belangt.“ Es sei denn, man übertreibe und es sei ein „Notfallexzess“. Seine Bitte: „Wenn man sich zutraut, einzuschreiten und zu helfen, sollte man das auch tun. Das Recht braucht dem Unrecht nicht zu weichen.“
„Es ist falsch, sich an so etwas zu gewöhnen. Man sollte das nicht einfach so hinnehmen.“
Die Polizei ermittelt im aktuellen Fall in Dinslaken wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung. Sie geht davon aus, dass es zu dem Zeitpunkt voll in der Stadt war, bittet Zeugen, die die Situation beobachtet haben, sich auch jetzt noch zu melden. Denn auch das sei bislang nicht geschehen. Auch die Betreuerin selbst war erst zu perplex, die Polizei zu informieren. Zuerst ging es darum, die Betroffenen sicher nach Hause zu bringen und zu beruhigen. Danach hat sie dann Anzeige erstattet – ebenso wie die Eltern der betreuten Menschen. Viele solcher Taten blieben, ähnlich wie Alltagsrassismus oder Angriffe auf Obdachlose, im Dunkeln, weil sie nicht angezeigt würden – aus Scham „oder weil die Leute es für belanglos halten oder sich dran gewöhnt haben“, so Reuters. Er mahnt: „Es ist falsch, sich an so etwas zu gewöhnen. Man sollte das nicht einfach so hinnehmen.“ Anzeige könne man sogar online erstatten.
In diesen Fällen sind Überwachungskameras möglich
Überwachungskameras, wie gefordert, seien an eine Reihe von Rechts- und Datenschutz-Auflagen gebunden. Eine Zeitlang nach der Schießerei habe es am Markt in Hamborn eine mobile Kameraüberwachung gegeben. In den Niederlanden seien Kameras gang und gäbe, in Deutschland sei das „ein Riesenproblem“. Es müssten bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein: So müssten an der Stelle etwa „regelmäßig Straftaten von erheblicher Bedeutung“ verübt werden – also „schwerste Straftaten wie Mord, Totschlag, Raub, gefährliche Körperverletzung“. Zudem müssten die Anlagen selbst überwacht und deren Notwendigkeit immer wieder überprüft werden.
Lesen Sie auch diese Nachrichten aus Dinslaken, Voerde, Hünxe
Dinslaken: Kitas bleiben dicht – Erzieherin: „Personal geht am Stock“
Dinslaken: Weihnachtsmarkt 2024 Dinslaken startet: Das erwartet Besucher
Dinslaken: Dinslaken: Das ist die nächste Baustelle in der Innenstadt
Voerde: Otto-Willmann-Schule in Voerde: Umzug nicht mehr realistisch
Hünxe: Eiserne Hochzeit in Hünxe: Es war Liebe auf den ersten Blick
Lesen Sie hier weitere Nachrichten aus Dinslaken, Voerde und Hünxe.
Dass es auf dem Neutorplatz immer wieder zu Problemen komme, sei der Polizei bekannt. Die Streifen seien in dem Bereich verstärkt worden, auch zivile Einheiten seien dort unterwegs. Allerdings „werden unsere Aufgaben auch nicht weniger“. In Rheinberg habe die Polizei mit Einbrüchen in Edeka-Märkte zu kämpfen, in Neukirchen-Vluyn „mit marodierenden Jugendlichen, die Äpfel und Honiggläser in die Fenster schmeißen und so weiter“, so Reuters: „Es wird nicht weniger und wir können nicht zu jeder Zeit überall sein.“