Essen. Heftiger Protest Samstagabend in Essen. Magdalena Fuchsbergers Regie zeigt Mozart-Oper als Sektenwelt mit Polizei-Einsatz auf der Bühne.
Einen einzigen Vorhang gab es, dann brach der Schlussapplaus ab, und das bei einem Lieblingsstück wie der „Zauberflöte“. Geschehen Samstagabend am Aalto-Theater. Die Intendanz hatte hoch gepokert. Es sieht freilich nicht danach aus, dass die dringend nötige Wende für das schwächelnde Haus an der Huyssenallee gelingt.
Zauberflöte in Essen. Viele Buh-Rufe, kurzer Applaus
Über die Bühne geht: eine Kopfgeburt. Regisseurin Magdalena Fuchsberger verweigert sich Mozarts Zaubermärchen und erst recht seinen Werten. Nichts bleibt übrig von der weihevollen Welt der Weisheitstempel. Als am Ende Pamina, Tochter der Königin der Nacht, vom Priesterfürsten Sarastro missbraucht wird, singt Fuchsberger ihr eigenes Loblied auf Herbert Reuls hartes Durchgreifen. Denn plötzlich stürmt die Polizei (in Statistenform) die Bühne, stellt den Sektenführer. Es bricht zusammen: das Reich der Desinformation und Ausbeutung. Den lädierten Nerven des Publikums legen die superb agierenden Essener Philharmoniker nach dem Tatü Tata aber rasch noch Balsam in B-Dur auf - mit Mozarts Adagio aus der „Gran Partita“. Seelenmusik!
Regisseurin Fuchsberger: Belehrungstheater trockenster Machart
Seele! Sie fehlt diesem Abend leider durch und durch. Niemand wird daran zweifeln, wie akribisch sich Fuchsberger das Fundament ihrer radikalen Deutung erarbeitet hat. Am Ergebnis ändert das nichts: Da will eine Regisseurin die Flagge der Zeitgenossenschaft hissen - und das Ergebnis ist provinzielles Belehrungstheater trockenster Machart.
„Zauberflöte“ am Aalto: Regie streicht Großteil der Texte
Von den Traditionslinien der „Zauberflöte“ ist (anders als zuletzt in Dortmund) wenig übrig. Von Singspiel-Struktur kann nicht die Rede sein; geschätzte 80 Prozent der Dialoge sind gestrichen. Wer das Stück nicht kennt, ist aufgeschmissen. Warum der spitzbübische Vogelmensch Papageno plötzlich ein Schloss vor dem Mund hat, können Ahnungslose nur raten.
„Zauberflöte“ am Aalto spielt in einer brutalen Sekte
Papageno, Prinz Tamino und seine Pamina betreten auf Partnersuche in Essens Opernhaus ein bizarres Institut der Menschwerdung. Oben, nett cocktailschlürfend (sonst Rivalen): Strippenzieher Sarastro und die Königin der Nacht. Unten: Menschen, die für höhere Weihen ihr Ich aufgeben. Selbst wenn sie später für ihre Liebe durchs Feuer gehen, ist das nur noch eine (sehr billig animierte) Projektion durch die Brille Virtueller Realität.
Magdalena Fuchsbergers Ideen sind bald erschöpft
- Grönemeyers Pferde-Operette: Aufführung wie ein Autounfall
- Sommernachtstraum im Schlosstheater: Frivol und bitterböse
- Robert Wilson auf Walfang: „Moby Dick“ in Designer-Optik
- „Godot“ in Bochum: Vier Stunden Zumutung und Meisterwerk
Das ist so der Stoff, aus dem Fuchsbergers Zivilisationskritik gewebt ist. Vielleicht hätten wir angebissen, wäre der Abend eine gute Inszenierung. Aber bald ist die Idee dauernder Prüfungen (was Fläche und Spiel oft auf wenige Quadratmeter verengt, mit einem Buzzer wie aus einer RTL-Show) ausgelutscht. Die Personenführung ist ohnehin mager, die Szenenbilder (ein Tiefpunkt in Monika Bieglers Bühne ist das geschrumpfte Sixties-Wohnzimmer samt mieser Akustik) sind allenfalls bemüht. Die großen Gruppen („Holde Flöte...“) bewegt Fuchsberger regelrecht dilettantisch.
„Zauberflöte“ in Essen: Sternstunde der Philharmoniker
Umso ambitionierter das Orchester unter der Leitung von Christopher Moulds. Nehmen wir beispielhaft den Zaubermoment, da Pamina und Tamino alle Prüfungen bestanden haben. Da tragen Essens Philharmoniker federnd und mit einer Schönheit nicht von dieser Welt uns wirklich auf Wolken in den Mozart-Olymp. Überhaupt ist das vielleicht das größte Ärgernis dieses Abends: Fuchsberger sammelt Beweise für Ihre menschenverachtende Führer-Welt im Libretto. Für Mozart indes scheint die Regisseurin taub. Seine Musik erzählt von Vergebung, Größe, Güte, Herzensbildung und vor allem von der Macht der Liebe. Kaum etwas davon ist hier zu sehen.
Sänger nicht alle überzeugend in der neuen „Zauberflöte“
Der Sängerriege (Verneigung vor dem Opernchor!) kann nicht durchweg Festspiel-Niveau attestiert werden. Im Gegenteil: Aljoscha Lennerts Tamino opfert das Lyrische für heldische Töne, für eine Pamina klingt Lisa Wittigs Sopran recht rustikal und Sebastian Pilgrim hat zu einem großen Sarastro-Porträt noch ein gutes Stück vor sich. Wer als Papageno nicht ankommt, der versagt beim Elfmeter. Tobias Greenhalgh aber wird vom Essener Publikum geliebt - und bejubelt. Furios gut: Judith Spiessers „sternflammende Königin“, da sitzen die Koloraturen wie Pfeilspitzen im Leib des Gegners. Kein Wunder bei der Eskorte: Ihre drei Damen (Bryndis Gudjinsdottir, Nataliia Kukhar und Bettina Ranch) stehen Majestät in nichts nach, was man von den intonationstrüben drei Knaben kaum sagen kann.
„Die Zauberflöte“ in Essen: keine Publikumsumarmung
Was bleibt? Eine Neuinszenierung der „Zauberflöte“ ist für jedes Theater eine riesige Chance. Mit welchem Stück der Opernliteratur kann man sein Publikum generationsübergreifend so warmherzig und anrührend erreichen? Dem schiebt Fuchsberger einen Riegel vor, ihre Arbeit sei „kein Familienstück“. Das Aalto-Theater hat Samstag eine unschlagbare Gelegenheit zur Publikumsgewinnung vertan. Nein, es hat sie im wahrsten Sinn des Wortes: verspielt.
„Zauberflöte“: Termine und Karten
Wolfgang Amadeus Mozart: Die Zauberflöte. Aalto-Theater Essen. Ca 2h, 45 min, eine Pause.
Nächste Termine: 20., 22., 28.9; 3.10; 10., 29.11.
Karten 17-57€ unter 0201-8122200 oder im Netz