Essen. Das Wort „Nazi“ wird inflationär gebraucht, bei Islamisierung zuckt keiner mehr. Das ist kein Zufall. Ein Glossar zur AfD-Sprache.

„Wir versuchen, die Grenzen des Sagbaren auszuweiten.“ Dieses Ziel hat der ehemalige AfD-Vorsitzende Alexander Gauland in einem Interview mit der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ schon 2018 ganz offen ausgegeben. Was in Deutschland wirklich zu sagen verboten ist, sind Beleidigungen (§ 185 Strafgesetzbuch), Üble Nachrede (§ 186 StGB) und nationalsozialistische Propaganda, Holocaust-Leugnung oder andere Arten der Volksverhetzung (§ 130, 3 StGB).

Wenn Gauland die Grenzen des Sagbaren erweitern will, denkt er wohl eher an „politischen Korrektheit“, an die Grenzen, die lange Anstand, Respekt vor der Menschenwürde oder schlicht begriffliche Genauigkeit gesetzt haben. Immer wieder provoziert die AfD mit Sätzen wie Gaulands verharmlosende Bezeichnung der NS-Diktatur als „Vogelschiss“ in der deutschen Geschichte – und spricht dann von Missverständnis oder Fehldeutung. Symptomatisch für die Ausweitung der Sagbarkeits-Zone war schon 2016 Alexander Gaulands Bemerkung, „die Leute“ wollten „einen Boateng“ nicht zum Nachbarn haben – die rassistische Reaktion kommt hier scheinbar nicht von Gauland selber, er macht sich vielmehr zum Sprachrohr einer vorgeblichen Mehrheit.

Die AfD verändert mit ihren Provokationen und ihrer Rhetorik das Verhalten der politischen Gegner

Mit ihren Provokationen verändert die AfD den Sprachgebrauch und das Verhalten ihrer Gegner. Nachdem die Partei 2017 in den Landtag von NRW eingezogen war, verfünffachte sich dort die Zahl der Ordnungsrufe. In Baden-Württemberg hat die Sprachwissenschaftler Prof. Dr. Heidrun Deborah Kämper vom Leibniz-Institut für Deutsche Sprache die 125 Plenarprotokolle des baden-württembergischen Landtags nach Einzug der AfD in der 16. Legislatur (2016 bis 2020) untersucht. Ergebnis: Das Landtagspräsidium musste dreimal so oft um Ruhe bitten wie in der Legislatur zuvor, die Zahl der Ordnungsrufe stieg von 2 auf 137.

In der Studie lässt sich gut nachvollziehen, wie die AfD die Sprache beeinflusst. Der Begriff „Nazi“ fiel drei Mal so häufig im Parlament wie zuvor, nimmt man Zusammenfügungen wie „Nazimethoden“ oder „Nazikeule“ hinzu, waren sie vier Mal so häufig. Auch in NRW gehört die „Nazi“-Vokabel inzwischen zum politischen Sprachbaukasten. Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) und Justizminister Benjamin Limbach (Grüne) haben die AfD gerade als „brandgefährliche Nazi-Partei“ bezeichnet´. Dieser inflationäre Gebrauch verharmlost die NS-Herrschaft. Bei einem Wort, das im politischen Vokabular eigentlich die höchste Alarmstufe auslösen sollte, setzt zudem ein Abnutzungs- und Gewöhnungeffekt ein.

„Nazikeule“ und „Nazimethoden“ gehören auch ins AfD-Vokabular

Das ist genau die Strategie der AfD, sagt Sprachwissenschaftlerin Kämper. Die Partei versuche „mit denselben sprachlichen Elementen und kommunikativen Strategien“ anzugreifen, „mit denen sie angegriffen wird, um so ihrer Abwehr umso mehr Wirkung zu verleihen.“ Begriffe wie „Nazikeule“ und „Nazimethoden“ gehören auch ins AfD-Vokabular. So werde nicht nur der politische Gegner geschmäht, sondern zugleich der Vorwurf an die AfD zurückgewiesen, mindestens aber neutralisiert.

Offensichtlich ist der Versuch der AfD, mit der permanenten Wiederholung von Vokabeln wie „Einheitsmedien“ oder „Islamisierung“ die damit verbundenen Vorstellungen immer mehr zu scheinbaren Fakten zu machen. Der Sprachwissenschaftler Prof. Dr. Thomas Niehr von der RWTH Aachen beobachtet, dass von der AfD „aktiv daran gearbeitet“ werde, den NS-Sprachgebrauch zu normalisieren, „indem man immer wieder sprachliche Tabus bricht mit dem Ziel, dass diese Tabus dann irgendwann keine Tabus mehr sind, dass sich diese Art des Sprachgebrauchs irgendwann normal anhört.“

Unser Schwerpunkt zum „Kampf um die Demokratie“

Als Beispiel nennt Niehr den Begriff „Volksverderber“. So hat Björn Höcke 2016 den damaligen Vizekanzler Sigmar Gabriel bezeichnet. „Hitler hatte Juden als ,hebräische Volksverderber‘ beschrieben“, sagt Niehr. Neben der Normalisierung bewirke solches Vokabular auch ein Signal an die rechtsextreme Szene: „Wir sprechen eure Sprache.“

Hier ein kleines Glossar zur Sprache der AfD und der Rechtsextremen:

„Alles für Deutschland“ – eine scheinbar unauffällige Wendung, war aber eine weit verbreitete Parole der SA. Die Staatsanwaltschaft Halle ermittelt gegen Björn Höcke, weil er diese Wendung in einer Wahlkampfrede gebraucht hat. Anschließend sprach er von einem „Fauxpas“.

„Altparteien“ – schon die NPD und die Republikaner bezeichneten mit diesem Begriff die demokratischen Parteien, um zu suggerieren, ihre Zeit sei vorbei, sie seien von gestern. Björn Höcke benutzte den Begriff so oft, dass er irgendwann zu der Variante „entartete Parteien“ griff, was an die Beschimpfung und Vernichtung moderner Kunst durch die Nazis als „entartet“ anknüpft. Die Varianten „Kartellparteien“ und „Konsensparteien“ spalten ebenso in die Lager „wir“ und „die anderen“.

„Bevölkerungsaustausch“ – manchmal auch „großer Austausch“ oder „Umvolkung“ genannt (siehe auch „Islamisierung Deutschlands“): Die Verschwörungserzählung, hinter der Einwanderung nach Deutschland stecke ein groß angelegter Plan, kursiert schon länger in rechten Kreisen. Inzwischen sprechen selbst konservative Publizisten wie Alexander Kissler von einer „Umstrukturierung der Bevölkerung Deutschlands“. Das klingt vornehmer, aber immer noch nach einem Masterplan.

„Denkmal der Schande“ – Björn Höckes bewusst ambivalent gehaltener Ausdruck für das Holocaust-Mahnmal in Berlin. Im Deutschen gibt es zwei mögliche Bedeutungen des Genetiv in diesem Fall: Denkmal für die Schande oder schändliches Denkmal. Höcke forderte in derselben Rede allerdings eine „erinnerungspolitische Wende um 180 Grad“, was den Sinn des Genetivs eindeutig macht.

„Einheitsmedien“ – Oft im NRW-Landtag zu hören: Die Tatsache, dass die extremistischen, manchmal auch nur abseitigen Meinungen und Positionen der AfD in der Presse wenig Berücksichtigung finden (ähnlich wie linksextremistische), wird mit einer verschwörungsmythischen Umkehrung ein Vorwurf an die Medien. Erinnert an den Geisterfahrer, der glaubt, ihm kämen lauter Geisterfahrer entgegen (siehe auch „Systempresse“).

„entsorgen“ – Alexander Gauland wollte die damalige Ausländerbeauftragte der Bundesregierung Aydan Özoğuz (SPD) „in Anatolien entsorgen“. Da die Vokabel im Zusammenhang mit Müll geläufig ist, entwickelt sie ein menschenverachtendes Diffamierungspotenzial.

„Gender“ – der englische Begriff, der es anders als das deutsche „Geschlecht“ möglich macht, die gesellschaftliche Rollenbilder für Männer und Frauen zu unterscheiden von ihrem biologischen Geschlecht (englisch „sex“), ist zunächst von den Grünen in politische Debatten etwa im Bundestag eingeführt worden. Eine Auswertung von hunderttausenden Social-Media-Posts durch den Berliner Tagesspiegel, Democracy Reporting International und das Mercator Research Institute ergab: Heute beschäftigt sich keine Partei mehr mit Gender als die AfD. Henning Lobin, Professor für Germanistische Linguistik in Mannheim und Chef des Leibniz-Instituts für Deutsche Sprache, glaubt, dass die AfD das Thema Gendern systematisch nutzt, um etwa über die Polemik gegen geschlechtergerechte Sprache auch andere Positionen in der Familienpolitik und bei der Gleichstellung zu platzieren.

„Herrschaft des Unrechts“ – eine Lieblingsvokabel der Neuen Rechten, ursprünglich gemünzt auf die Verhältnisse in der NS-Diktatur und im SED-Staat. Das Wort verwischt, angewendet auf die pluralistische Demokratie, den Unterschied zwischen ihr und einer Diktatur. Hochkonjunktur hatte der Begriff in der Flüchtlingskrise ab 2015. Was die einen als Kontrollverlust bezeichneten, bliesen Demagogen zu einer „Herrschaft des Unrechts“ auf. Dass auch der damalige CSU-Chef Horst Seehofer davon sprach, um sich von Angela Merkel abzugrenzen, zeigt, wie rechte Denkfiguren und Vokabeln in die Debatten der gesellschaftlichen Mitte einsickern. Indem andere einer Herrschaft des Unrechts bezichtigt, schwingt man sich selbst zum Hüter des Rechts auf und macht sich damit unangreifbar.

„Islamisierung Deutschlands“ – in rechten Kreisen kursiert der Verschwörungsmythos, durch Einwanderung solle die muslimische Minderheit in Deutschland zu einer Mehrheit und die Republik dann ein islamischer Staat werden. Dazu hätten sich die Muslime verabredet. Inzwischen wird die Vokabel oft auch auf geringfügige kulturelle Veränderungen in Deutschland angewendet. Sie ruft aber bei jeder Verwendung die im Hintergrund wabernde Vorstellung einer Verschwörung ab.

„jagen“ – Als nach der Wahl 2017 feststand, dass die AfD in den Deutschen Bundestag einziehen würde, rief Parteichef Alexander Gauland: „Wir werden sie jagen, wir werden Frau Merkel oder wen auch immer jagen!“

„Journaille“ – Die von AfD-Leuten gern verwendete Kombination aus „Journalist“ und „Canaille“ war einer der Lieblingsbegriffe von Reichspropagandaminister Joseph Goebbels.

„Klimahysterie“ – Da es für die AfD und ihre Anhänger keine von Menschen verursachte Veränderung des Klimas gibt, sieht sie auch keine Notwendigkeit, politisch darauf zu reagieren. Der Begriff „Hysterie“ wird heute weder in der Medizin noch in der Psychologie benutzt, weil er auch auf diesen Felder vor allem zur ideologischen Ausgrenzung benutzt wurde.

„Nazi“– In ihrer Auswertung der Plenarprotokolle des Landtags in Baden-Württemberg hat die Sprachwissenschaftlerin Heidrun Deborah Kämper vom Leibniz-Institut festgestellt, dass die AfD dort die häufigen Nazi-Vorwürfe rhetorisch umgedreht hat. Abgeordnete der AfD warfem den anderen Parteien vor, undemokratisch zu sein und unterstellten ihrem Verhalten Parallelen zur Nazizeit. Mit Kalkül immer besonders dann, wenn die Partei bei den anderen auf Widerstand stieß. In den nicht öffentlich tagenden Ausschüssen des Parlaments sollen sich die AfD-Abgeordneten gemäßigter verhalten haben.

„Schmarotzer“ – Die AfD spricht von Schmarotzern, die in unsere Sozialsysteme einwandern. Je öfter man diese Metapher hört, desto stärker wird im Gehirn die reflexhafte Verbindung zwischen Geflüchteten und Schmarotzern, zwischen Einwanderern und abwertenden Wörtern. Diese Assoziation entsteht dann unabhängig von der politischen Einstellung. Die Sozialwissenschaftlerin Elisabeth Wehling beschrieb diesen Prozess als „politisches Framing“.

„Schuld-Kult“ – Der verächtliche Begriff für die deutsche Erinnerungspolitik, die ein moralisches und aus der Geschichte abgeleitetes Fundament der repräsentativen Demokratie ist, war lange Zeit ein Privileg rechtsextremer Kreise. Die konservative Publizistin Liane Bednarz zeigte sich entsetzt darüber, dass im konservativen Magazin „Cicero“ doch „allen Ernstes vom ,Kriegs- und Auschwitzkomplex der Deutschen‘ die Rede“ war, als handele es sich um eine psychische Fehlentwicklung. Bednarz: „Das ist ein Vokabular, das man bisher nur aus der radikal rechten Szene kannte. Da firmiert das alles unter Kriegs- und Auschwitz Schuld-Kult‘. Das hätte vor zwei bis drei Jahren niemand für möglich gehalten, dass in einem Blatt, das sich als seriös versteht, solche Begriffe auftauchen.“

„Systempresse“ – Die Verschwörungserzählung von einer gelenkten Presse gipfelte einst in der Vorstellung, Angela Merkel würde allmorgendlich verordnen, was die Presse zu schreiben hat. Diese etwas phantasiehaltige Vorstellung dürfte sich mit der Kanzlerschaft von Olaf Scholz und der ebenso breiten wie vielfältigen Kritik an der Ampel-Regierung erledigt haben (siehe auch „Einheitsmedien“).

„völkisch“ – Das seit Ende des 19. Jahrhunderts gängige Word bezeichnet eine Ideologie, die ein Volk auf Grundlage der Rassen-Ideologie definiert. Deshalb war „völkisch“ ein Zentral-Begriff der nationalsozialistischen Weltanschauung. Als Frauke Petry noch Vorsitzende der AfD war, stellte sie in einem Interview die Gegenfrage, warum man denn das Wort „völkisch“ eigentlich nicht mehr verwenden dürfe. Diese Strategie der Umwertung rührte aus der Tatsache, dass die AfD immer mehr als völkisch bezeichnet wurde.

„Volksverräter“ – Eine klassische Spaltungs-Vokabel AfD. 2016 beschimpfte der AfD-Abgeordnete Stefan Räpple im Landtag von Baden-Württemberg die Abgeordneten von CDU, SPD, Grünen und FDP pauschal als „Volksverräter“. Der NRW-Bundestagsabgeordnete Rüdiger Lucassen bezichtigte m Frühjahr 2023 allerdings auch zwei seiner Parteikollegen des „Volksverrats“. Wer andere Volksverräter nennt, reklamiert für sich, ein wahrer Volksvertreter zu sein. Unter den Nazis war Volksverrat das schlimmste Staatverbrechen.