Oberhausen. 5000 Oberhausener Bürger haben auf der Demo am Mittwoch ein dickes Zeichen gegen Rechtsextremismus gesetzt. Mit dabei: Ein Überraschungsgast.
Bundesweit demonstrieren in vielen Städten und Gemeinden Deutschlands Bürgerinnen und Bürger seit knapp zwei Wochen gegen Rechtsextremismus, Rechtspopulismus und Ausländerfeindlichkeit - jetzt, am Mittwochabend, reihen sich auch die Oberhausenerinnen und Oberhausener ein, um Demokratie und Menschlichkeit zu verteidigen.
- Kommentar: Demos gegen menschenfeindliche Visionen reichen nicht
- Oberhausen: Plötzlich taucht NRW-Chef Wüst auf der Demo auf
Gerade einmal mit 500 Demonstranten haben die Veranstalter der Kundgebung „Oberhausen steht auf! Gegen die AfD – Nie wieder ist jetzt“ auf dem Friedensplatz mitten in der Oberhausener Innenstadt gerechnet; die Helferinnen und Helfer des 60 Organisationen umfassenden Oberhausener „Bündnis für Toleranz und Demokratie Oberhausen“ bauten deshalb nur eine kleine Bühne in der Nähe der Alt-Gaststätte „Uerige“ auf.
NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst mischt sich unter die Demonstranten
Tatsächlich aber strömen bereits vor dem offiziellen Beginn der für 18 Uhr angesetzten Kundgebung zahlreiche Menschen auf den zentralen City-Platz vor dem Polizeipräsidium - begleitet von lauten Songs aus den Lautsprechern von BAP und Danger Dan. Sie sind, dem windigen Wetter entsprechend, mit festen dunklen Jacken gekleidet, haben zur Demo sogar kleine Kinder und ihre Hunde mit bunt blinkenden Halsbändern mitgebracht.
Einige halten Pappschilder hoch: „Menschenrechte statt rechter Menschen“, „Aufstehen! Für Demokratie gegen Hetzer und Faschisten“, „Remigriert Euch ins Knie!“ oder auch „Bunt ist hübscher als braun“. Die Menschen stehen rund um den berühmten Brunnen auf dem Friedensplatz - und im leeren Wasserbecken. Die Polizei schätzt die Teilnehmerzahl auf 5000.
Mitorganisator Dirk Paasch, Vertreter des Bündnisses „Runder Tisch gegen Rechts“, zeigte sich ob der Menschenmassen auf dem Friedensplatz gerührt: „Wir sind jetzt hier mehrere Tausend Menschen, die ein wichtiges Zeichen setzen. Die AfD ist Vorreiter der Verrohung, sie schleift die Fundamente unserer Gesellschaft. Es ist klar, dass die AfD eine massive Gefahr für die Gesellschaft darstellt.“
Unter den Demonstranten mischt sich ein sehr bekanntes Gesicht: NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) hat sich wie eine Privatperson in der Menge eingereiht, will so auch aktiv auf einer Kundgebung gegen Rechtsextremismus seine Einschätzung zur AfD untermauern: „Die AfD ist keine konservative Partei und erst recht keine wertorientierte Partei. Die AfD ist eine brandgefährliche Nazi-Partei.“
Fotos von der Oberhausener Demo gegen Rechtsextremismus
Bisher hatte Wüst die anhaltenden Großdemonstrationen gegen Rechtsextremismus unterstützt, nahm aber zuvor an keiner aktuellen Demo gegen Rechts teil. Er ist in Oberhausen ausdrücklich als Privatmann, hält keine Rede vor Ort. Sein Besuch wird mit viel Beifall bedacht.
Geheimtreffen von Rechtsextremisten und Rechtspopulisten in Potsdam
Vor zwei Wochen hatte das Essener Recherche-Netzwerk „Correctiv“ ein Geheimtreffen mit hochrangigen AfD-Vertretern, bekannten Rechtsextremen, Mitgliedern der Werteunion und Unternehmern im November 2023 aufgedeckt. Diese debattierten dort einen Plan zur „Remigration“, zur Abschiebung mehrerer Millionen Zuwanderer auch mit deutscher Staatsangehörigkeit. Die Vertreibungsidee löste eine anhaltende Welle von Empörungen aus.
7000 Menschen waren bereits vor anderthalb Wochen am Montagabend (15. Januar 2024) in Essen auf die Straße gegangen, um gegen die AfD, Ausländerfeindlichkeit, Faschismus und Rechtspopulismus zu demonstrieren. In der Millionen-Metropole Köln nahmen am Sonntag (21. Januar) an der Kundgebung rund 70.000 Menschen gegen Rechtsextremismus teil, in Bonn rund 30.000 - und in Mülheim 7000. Am Samstag, 20. Januar,versammelten sich 30.000 Bürgerinnen und Bürger in Dortmund zum Protest gegen rechtsextremistisches Gedankengut. Auch in Duisburg gab es eine größere Demonstration gegen eine AfD-Veranstaltung.
OB Daniel Schranz: Das sind historisch große Demonstrationen
„Das sind historisch große Demonstrationen gegen extremistische Parolen, die wir in diesen Tagen auf deutschen Straßen und Plätzen erleben“, hatte der Oberhausener Oberbürgermeister Daniel Schranz am Dienstagabend beim offiziellen Neujahrsempfang der Stadt gesagt - und alle Bürger aufgerufen, gegen Rechtsextremismus aufzustehen. Am Mittwochabend war das Stadtoberhaupt auch auf dem Friedensplatz. Er wies in seiner Rede darauf hin, dass Oberhausen ohne Zuwanderer gar nicht existieren würde. „Oberhausen steht auf für Toleranz und für die Menschenwürde! Oberhausen steht auf gegen die Spaltung unserer Gesellschaft.“ Niemand habe das Recht, den Familien mit Migrationsgeschichte ihren Platz in unserem Land streitig zu machen.
„Wir stehen hier, weil wir uns einem weiteren Erstarken der Rechtspopulisten und Rechtsextremisten entgegenstellen müssen“, rief Schranz der Menge entgegen. „Wir stehen hier, weil wir zeigen wollen, dass bei uns für die umstürzlerischen Ideen dieser Menschen, diese menschenverachtenden Fantasien einer millionenfachen Zwangsdeportation ganz sicher kein Platz ist.“
Das sagen Demonstranten auf der Kundgebung zu ihren Gründen für den Protest
Lothar Gores ist einer der vielen Oberhausener Demonstranten. Vor mehr als 30 Jahren war er das letzte Mal bei einer Demonstration. Nun ist er auf den Friedensplatz gekommen, „weil es irgendwann reicht“. Denn: „Jetzt ist die Zeit, Flagge zu zeigen. Die schweigende Mehrheit muss jetzt laut werden.“
Die Oberhausenerin Marion, die ihren Nachnamen nicht in einer öffentlichen Publikation lesen möchte, besucht die Kundgebung, weil sie sich große Sorgen um die Demokratie macht. Sie hat ihre zwölfjährige Tochter Mathilda mitgebracht. Warum sie zum ersten Mal demonstriert? „Weil Nazis scheiße sind.“
„Haben Sie Kinder?“, antwortet eine Teilnehmerin auf die Frage nach den Gründen, warum sie heute an der Demo teilnimmt. „Möchten Sie, dass Ihre Kinder in Frieden und Freiheit aufwachsen? Dann erübrigt sich die Frage.“ Auch sie will ihren Namen nicht nennen, nicht öffentlich in Erscheinung treten - wie mehrere andere Demonstranten, die wir befragen. Peter S. erklärt die Ursache dafür: „Ich traue den Rechten mittlerweile alles zu.“ Wenn die AfD trotz der Correctiv-Berichte bei künftigen Wahlen noch zweistellige Ergebnisse einfährt, „dann schäme ich mich für mein Land“.
Schauspielerin Anna Polke: „Kultur kann nur in einer demokratischen Welt überleben“
Auf der Bühne lesen Schauspieler des Theaters Oberhausen aus Werken des deutschen Schriftstellers Erich Kästner, dessen Bücher von den Nazis im Mai 1933 als „undeutsch“ verbrannt wurden. „Kultur kann nur in einer demokratischen Welt überleben“, sagt die bekannteste Oberhausener Schauspielerin, Anna Polke.
Besonders viel Beifall für die Aussagen in ihrer Rede erhielt Nagihan Erdas, die Vorsitzende des Integrationsrates, die sich vor allem um die Entwicklung der AfD drehten. „Die AfD hat sich in den letzten Jahren immer mehr radikalisiert, ist offen und deutlich noch extremer geworden und verbündet sich mit faschistischen Gruppen, Reichsbürgern, NPD-Anhängern und gewaltbereiten Rassisten. Spätestens jetzt müssen wir feststellen, dass es der AfD um einen anderen Staat, um eine andere Gesellschaft geht. Rassistische, antisemitische Parolen bilden den inhaltlichen Kern dieser Partei: Er besteht aus Hass, Hetze und Menschenverachtung.“
Man dürfe deshalb die Wähler der AfD nicht als „Protest- oder Wutwähler“ bezeichnen, dies sei eine Verharmlosung, meint Erdas. „Wir sollten die Wähler wie auch die Funktionäre sehr ernst nehmen, und das bedeutet, sie politisch und rechtlich zur Verantwortung zu ziehen. Mit ihrer Stimme unterstützen sie Demagogen und Demokratiefeinde. Man kann nicht mit anderthalb Beinen auf dem Boden des Grundgesetzes stehen.“
Oberhausener Demonstranten setzen Lichtzeichen mit ihren Handys
Nach 80 Minuten ist die Kundgebung zu Ende, die Polizei meldet keine besonderen Vorkommnisse. Am Ende zeigen die Demonstrantinnen und Demonstranten noch einmal ein beeindruckendes Bild: Sie halten ihre leuchtenden Handys in den Nachthimmel - damit allen Bürgern in Deutschland ein Licht aufgeht.