Hamburg. Flachwassergebiet Kreetsand ist eineinhalbmal so groß wie die Binnenalster. Es schafft neuen Naturraum und mindert Sedimentation.

Jens Kerstan schaut über einen Holzzaun auf eine Uferböschung nahe der Norderelbe hinab. Es ist Ebbe. Dunkler, feuchter Morast tritt aus dem abnehmenden Wasser hervor. Zwei Schwäne ruhen sich am Ufer aus. Ein kleines Rehkitz hoppelt vorbei. „Das hier ist eine Perle“, sagt Hamburgs Umweltsenator Jens Kerstan (Grüne) nach einem kritischen Blick über die weite Uferzone, an deren Rand sich bereits Röhricht ausbreitet.

Zumindest ist das Naturufer teuer wie eine Perle: Knapp 80 Millionen Euro hat die Hansestadt in die Schaffung einer neuen Überflutungszone in Kreetsand im Osten von Wilhelmsburg investiert. Dazu wurde ein altes Spülfeld ausgebaggert. Zwei Millionen Kubikmeter Brachfläche wurden weggeschafft. Entstanden ist eine neue Bucht etwa eineinhalbmal so groß wie die Binnenalster. Auenwälder sollen entstehen und sich der bedrohte Schierlings-Wasserfenchel ansiedeln. Kerstan träumt bereits davon, dass Seeadler hier ihre Horste anlegen.

Hafen Hamburg: Überflutungsgebiet soll Sedimenthaushalt entlasten

Das neue – 30 Hektar große – Flachwassergebiet Kreetsand ist wahrlich eine Naturperle. Durch den Einfluss der Gezeiten steigt und fällt das Wasser regelmäßig. Es ist ein Süßwasserwatt, wie es heute kaum mehr zu finden ist. Das Gelände ist aber viel mehr als das. Es ist eines der wenigen Beispiele dafür, wie Ökonomie und Ökologie an der Elbe einmal nicht gegeneinander, sondern miteinander arbeiten.

Deshalb schaut Kerstan an diesem Freitagmorgen um halb zehn nicht allein auf das Idyll. Neben ihm steht Wirtschaftssenatorin Melanie Leonhard (SPD), die sich von dem neuen Naturraum, an dem sage und schreibe zehn Jahre gearbeitet wurde, ebenfalls vieles verspricht: nämlich Hilfe beim Kampf gegen den Schlick im Hamburger Hafen.

Hafen Hamburg: Anti-Schlick-Projekt kostet 80 Millionen Euro

Leonhard bezeichnet das strombauliche Projekt als außergewöhnlich, weil es von Anfang an von Wirtschafts- und Umweltbehörde gemeinsam betrieben wurde. „Die Elbe ist eine viel befahrene Wasserstraße und zugleich Lebensraum für Pflanzen und Tiere. Dieses Projekt zeigt, dass sich beides nicht ausschließen muss“, sagt sie. „Das Projekt schafft neuen Naturraum und hilft zugleich der Schifffahrt, weil der Sedimenteintrag in der Elbe reduziert wird.“

Wie das geht, erläutert Friedrich Stuhrmann, operativer Geschäftsführer der Hafenbehörde Hamburg Port Authority (HPA), die das Stück Brachland an der Elbe zum Naturraum zurückverwandelt hat. „Mit der an den Elbstrom angebundenen Flachwasserzone hat der Fluss mehr Platz. Der Tidenhub nimmt ab, die Strömung wird günstig beeinflusst, und der sogenannte Tidal-Pumping-Effekt, bei dem durch die Tide hervorgerufen die Sedimentablagerungen zunehmen, wird gemindert“, sagt er.

Hafen Hamburg: Flachwasserbucht als Musterbeispiel für Renaturierung

Die Flachwasserbucht in Kreetsand sei ein Musterbeispiel in Sachen Renaturierung, das ökonomischen und ökologischen Zielen gleichermaßen diene, ergänzt Umweltsenator Kerstan. Sie dämpfe das Tidegeschehen und schaffe neuen Lebensraum.

„Fischlarven finden hier künftig eine Kinderstube und Schutz vor starker Strömung.“ Zudem sollten Fische hierhin ausweichen können, wenn im Hauptstrom im Sommer Sauerstofflöcher entstehen. Im Grunde erhalte die Elbe hier einen Raum zurück, wie sie ihn früher überall gehabt hat, resümiert Kerstan.

Hafen Hamburg: Pilotprojekt soll wertvolle Erfahrungen liefern

Die HPA erhofft sich von dem Pilotprojekt hingegen wertvolle Erfahrungen über die Möglichkeiten der Einflussnahme auf die Tideelbe. Der Strom ist im Zuge der unterschiedlichen Elbvertiefungen immer schneller geworden, der Unterschied zwischen Hoch- und Niedrigwasser immer größer. Also wird nach weiteren Flächen gesucht, die man dem Fluss als zusätzliche Überflutungsgebiete anbieten kann. Derzeit laufen Machbarkeitsprüfungen zur Öffnung der Alten Süderelbe und der Haseldorfer Marsch.

Die Ergebnisse der Untersuchung zur Alten Süderelbe würden bald vorliegen, sagt Umweltsenator Kerstan, zeigte sich aber skeptisch bezüglich der Eignung der Maßnahme. „Ich will den Ergebnissen nicht vorgreifen, habe aber Zweifel, dass Einsatz und Ertrag zueinander in einem günstigen Verhältnis stehen.“ Der Umbau würde hohe dreistellige Millionenbeträge verschlingen, der Tidenhub aber kaum reduziert werden.

Hafen Hamburg: Teil des Bodens stark mit Schadstoffen belastet

Nach dem Blick über den Zaun und den lobenden Worten gibt es Kaffee und Gebäck. Die Sonne kommt hinter den Wolken hervor und bescheint den Kreetsander Hauptdeich und die dahinterliegenden Wattflächen, von denen sich die Elbe für die nächsten Stunden zurückgezogen hat. Ein Drittel des Erdreichs, das man hier zuvor ausgebuddelt hat, war so stark mit Schadstoffen belastet, dass es gesondert behandelt werden musste. Davon ist nichts mehr zu sehen.

So wichtig, wie das Flachwassergebiet Kreetsand jetzt für die Stadt ist, hat es doch einst eine unrühmliche Rolle gespielt: Als die Stadt 2016 die geplante Elbvertiefung gegen die klagenden Umweltverbände vor dem Bundesverwaltungsgericht verteidigen musste, ging es auch um Kreetsand. Die Behörden hatten das Wattenprojekt als Naturausgleich für den Eingriff ins Flussbett angemeldet. Doch der zuständige Richter erkannte sehr schnell, dass die Stadt eine ohnehin als Naturschutzgebiet angemeldete Fläche doppelt verwerten wollte. „Etikettenschwindel“ warf er den Behörden damals vor.

Hafen Hamburg: Stadt wollte vor Gericht schummeln

In der Folge untersagte das Gericht den sofortigen Vollzug der Elbvertiefung und verurteilte die Stadt dazu, weitere Ausgleichsflächen für den bedrohten Schierlings-Wasserfenchel zu entwickeln. Diese entstanden dann in Kaltehofe, und die Baggerarbeiten zur Elbvertiefung konnten beginnen. Die Elbvertiefung ist Geschichte. Ihre Auswirkungen sind bis heute sichtbar – wenn auch nicht in Kreetsand.