Berlin. Ob Instagram oder TikTok: Nutzer sind den Plattformen ausgeliefert. Eine deutsche Firma zeigt, dass es im Streitfall auch ohne Gericht geht.

„Das Internet darf kein rechtsfreier Raum sein“: Dieser Satz stammt aus dem Jahr 1996. Der damalige Bundesforschungsminister Jürgen Rüttgers (CDU) setzte dieses Statement. Seitdem wird es gebetsmühlenartig von Politikerinnen und Politikern wiederholt, gelegentlich begleitet von Gesetzesvorschlägen. Doch die Eindämmung von kriminellen Handlungen, insbesondere wenn es um Hass und Hetze im Netz geht, ist bislang kaum gelungen. Auch, weil sich die sozialen Netzwerke selbst zu wenig bewegt haben.

Ob Instagram oder TikTok: Die Kontrollinstanz fehlte bislang

Bislang konnten diese Plattformen als Privatunternehmen einzelne Beiträge und Nutzer mehr oder weniger nach Gutdünken sperren – oder eben auch nicht. Besonders in der Kritik ist das Geschäftsgebaren der Plattform X (ehemals Twitter). Sie gehört dem umstrittenen Milliardär Elon Musk, der selbst allerlei fragwürdigen Content verbreitet und bald eine wichtige Rolle in der Trump-Regierung spielen wird. Schwer, hier auf Neutralität zu hoffen.

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Von Hass, Hetze und Mobbing betroffene Opfer blieb bislang nur der aufwendige Klageweg vor Gericht. Das hat sich nun geändert. Der im Februar EU-weit eingeführte Digital Services Act soll die Plattformen mehr in die Verantwortung nehmen. Dazu gehören auch „außergerichtliche Streitbeilegungsstellen“. An diese können sich Nutzer wenden, wenn sie mit dem Vorgehen einer Plattform unzufrieden sind. Die Bundesnetzagentur hat die erste deutsche Streitschlichter-Firma mit dem treffenden Namen „User Rights“ zertifiziert.

User Rights GmbH
Instagram, TikTok & Co. galten lange als eine Art rechtsfreier Raum. Die Firma von Sebastian Eder (l.) und Raphael Kneer will das ändern. © FUNKE Foto Services | Reto Klar

Ohne Gericht: So wollen zwei Juristen Opfern von Hass im Netz helfen

In einem schlichten Besprechungsraum in Berlin-Mitte erklären Niklas Eder und Raphael Kneer, wie sie Recht und Ordnung ins Internet bringen wollen. Beide sind Juristen, Eder ist Experte für Verfassungs- und Europarecht, Kneer für deutsches Recht und Legal Tech. Sie sind zwei der drei Gründer von User Rights. „Es geht uns darum, dass unsere Rechtsordnung online genauso wie offline Anwendung findet“, fasst Eder zusammen. Doch damit betreten sie Neuland. „Wir leisten dabei als erste zertifizierte Streitschlichterstelle in Deutschland echte Pionierarbeit, weil es viele Mechanismen bisher nicht gibt“, erklärt Kneer.

Nun könnten Nutzer einen Beitrag mit wenigen Klicks melden. „Dann prüfen die Plattformen das selbst“, sagt Kneer. „Wenn sie dann nichts unternehmen, können wir überprüfen, ob sie hätten handeln müssen.“ Es kommt aber auch regelmäßig vor, dass die Plattformen von sich aus Beiträge löschen oder nur noch eingeschränkt anzeigen, ohne dass die Urheber das nachvollziehen können. Auch in diesem Fall können die Nutzer sich an User Rights wenden.

Wenn das Insta-Reel beleidigt: So läuft ein Verfahren bei User Rights ab

Um ein Verfahren zu starten, reicht es, einige Informationen auf der Website von User Rights einzureichen. Die Streitschlichter fordern dann die Daten bei der Plattform ab und hören beide Seiten an. Dann entscheiden sie, ob die Maßnahmen der Plattform berechtigt waren – oder eben nicht. „Üblicherweise haben wir nach spätestens 14 Tagen alle Informationen und versuchen unsere Entscheidung möglichst zügig zu treffen.“ In Zukunft solle das aber schneller gehen, sagt Eder. „Wir arbeiten an einem besseren Datenaustausch mit den Plattformen.“

Für die Nutzer ist das Verfahren kostenfrei. Die Plattformen tragen die Kosten, die, je nach Komplexität des Falls, bis zu 700 Euro betragen können. Zwei entscheidende Einschränkungen gibt es aber. Zum einen: Bisher bearbeitet User Rights nur Fälle auf den Plattformen LinkedIn, Instagram und TikTok.

Über 700 soziale Netzwerke sind in der EU aktiv

Warum ausgerechnet die? „Weil diese drei Plattformen unterschiedliche Zielgruppen erreichen und unterschiedlichen Firmen gehören. Es müssen also drei Firmen jetzt schon Wege entwickeln, mit uns zusammenzuarbeiten“, erklärt Eder. Wenn sie die Zusammenarbeit verweigern, drohen Kneer zufolge Strafzahlungen von bis zu sechs Prozent des globalen Umsatzes. Für TikTok wären das für das Jahr 2023 über 970 Millionen US-Dollar Strafe gewesen.

Im Falle von TikTok gelang jetzt ein erster Erfolg. Einer aktuellen Pressemitteilung zufolge hat die Plattform aufgrund der Entscheidungen von User Rights gesperrte Inhalte und Profile wieder freigeschaltet. So sei etwa ein Meme, das als Satire unter die Meinungsfreiheit fällt und daher unberechtigt gesperrt wurde, nun wieder zugänglich.

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Die in solchen Fällen gesammelten Erfahrungen helfen. Denn: Innerhalb von zwei Jahren muss User Rights ihr Angebot erweitern. Dann müssen Fälle für alle in der EU aktiven Social-Media-Plattformen mit mindestens 50 Mitarbeitern angenommen werden. Das seien mehr als 700 soziale Netzwerke, zitiert Kneer eine Studie. Viel Arbeit für eine Firma mit aktuell einem Dutzend Mitarbeitern, von denen nur sieben an den Verfahren selbst arbeiten dürfen.

User Rights sieht sich als Wegbereiter für andere Streitschlichter

Die zweite Einschränkung: Nicht in allen Fällen kann User Rights weiterhelfen. So fehlt beispielsweise die Expertise für Jugendschutz oder Urheberrecht, Fälle aus diesen Bereichen werden abgelehnt. Den Nutzern bleibt dann wieder nur der Gang vors Gericht, der auch immer noch offensteht, wenn die Streitschlichter ihre Einschätzung abgegeben haben. Doch das kann dauern und ins Geld gehen.

Deswegen sind Eder und Kneer sogar dankbar, wenn in Zukunft weitere Streitschlichtungsstellen entstehen, die diese Expertise abdecken. Bisher gibt es europaweit kaum Konkurrenz. Eder sieht User Rights daher auch als Wegbereiter: „Wir teilen unser Wissen auch mit anderen, damit weitere Streitschlichtungsstellen entstehen können.“

Und was sagen die Plattformen? Meta, die Mutterfirma von Instagram, reagierte nicht auf eine Anfrage dieser Redaktion. Auch TikTok gab bis Redaktionsschluss kein Statement ab. Ein Sprecher von LinkedIn sagte, man werde auch weiterhin „das Vertrauen unserer Mitglieder in den Mittelpunkt unseres Handelns stellen“. Dazu gehöre auch die Zusammenarbeit mit den Streitschlichtern. Der Weg zu einem rechtssicheren Internet, er kann eben nur gemeinsam gegangen werden.